[Insula Tiberis] Die Tiberinalia


  • An diesem Tage feierte Rom die Tiberinalia, die zu Ehren der Gaia und des sagenhaften Königs Tiberinus Silvius stattfanden. Jener sollte einst der König Alba Longas, jener Ahnenstadt der Römer, gewesen sein, jedoch während einer Schlacht in den Strömen des Flusses Albula ertrunken sein sollte. Dieser war daraufhin in Tiber umbenannt worden und Tiberinus zum Genius dieses Flusses geworden. Doch nicht nur die sagenhaften Gründer Roms, sondern auch alle Tiberier führten ihre Gens den dritten Sohn jenes sagenhaften Königs, Tiberius Allodius, zurück.
    Aus diesem Grunde war es Manius Tiberius Durus eine besondere Ehre, als Pontifex jenem rituelle Opfer zu Ehren seines Ahnen vor. Oft hatte sein Vater ihm von der ruhmreichen Vergangenheit seiner Gens erzählt, von einem Tiberius Allodius, seiner Niederlassung in Misenum, über all jene Geschichten, die schließlich dazu geführt hatten, dass die Tiberier letztendlich mit den anderen Nachkommen der anderen Ahnen des Tiberinus zusammenkamen und sich in Rom niederließen.


    Um diese alten Geschichten und Legenden kreisten seine Gedanken daher, als er an den mit Blumen geschmückten Kai auf der Tiberinsel trat. Hinter sich spürte er die Anwesenheit einiger Priester und Opfergehilfen, während auf der linken Tiberseite bereits die Gladiatoren und anderen Teilnehmer der Pompa für die Spiele bereit standen, denn nach dem Opfer würde direkt ein Zug zum Amphitheatrum Neronis gehen, wo die Tiberier zu Ehren ihres mythischen Ahnen Spiele ausrichteten. Doch zuerst musste dieses Opfer unter Dach und Fach gebracht werden, um den Tiber auch für den kommenden Frühling milde zu stimmen und Hochwasser zu verhindern.

  • So legte Durus einen Zipfel seiner Toga praetexta er den Kopf und nahm einem der Opferdiener einen Strauß wunderbarer, blauer Blumen ab. Langsam hob er die Pflanzen in die Höhe, dann ließ er das wunderbare Gesteck plötzlich fallen, sodass es in die Ströhmung des Tibers fiel. Während der Strauß nun rasch der Strömung in Richtung Meer folgte, sprach der Pontifex mit lauter Stimme.


    "O Tiberine, Genius dieses Flusses! Durch das Opfer dieser Blumen bitte ich Dich um Deine Gunst für das römische Volk der Quiriten."


    Er drehte sich langsam nach rechts, wo ein weiterer minister erschienen war, der eine auf Hochglanz polierte Bronzekanne an den Opfernden reichte. Dieser nahm das Gefäß und hob es ebenfalls hoch. Während der rote Wein sich dann im schmutzigen Grau des Tibers verlor, sprach Durus weiter.


    "O Tiberine, Genius dieses Flusses! Durch das Opfer dieses Weines bitte ich Dich um Deine Gunst für das römische Volk der Quiriten."


    Wieder hüllte Schweigen den Platz (abgesehen von dem Klirren einiger Gladiatoren-Rüstungen, das aber nur aus der Ferne herüberklang). Durus aber war völlig konzentriert und ließ sich von einem minister die Hände waschen, während er leise das Purgations-Gebet sprach. Dann sah er plötzlich wieder auf. Ein weiterer Helfer brachte einen Schafbock herbei, dessen Hörner wie üblich vergoldet worden waren. Durus hingegen trat etwas zurück, sodass vor ihm genügend Platz war, um den Widder seiner Bestimmung zuzuführen. Doch zuerst galt es, das Gebet zu sprechen. Daher meldete sich der Herold zu Wort:


    "Favete linguis!"


    Dann endlich konnte der Pontifex das Gebet sprechen:


    "O Tiberine,
    Genius dieses Flusses,
    Gatte der Rhea Silvia,
    der Du Romulus und Remus gefunden hast,
    der Du die beiden der Wölfin gabst, die sie säugte,


    indem wir Dir am heutigen Tage,
    wie auch in jedem Jahre opfern,


    bitten wir Dich, o Tiberine,
    dass Du das Volk der Quiriten beschützen mögest,
    es nähren mögest mit den Früchten deiner Wellen,
    dass Du Deine Fluten nicht über die Ufer treten lassen mögest
    und Schaden fernhalten mögest von uns.


    So Du uns dies gewähren mögest,
    werden wir Dir danken, nicht nur heute,
    sondern in alle Ewigkeit und Deinen Kult pflegen!


    Damit hatte er die rituelle Anrufung des Genius beendet, auch wenn er in Gedanken manche Bitte für seine Gens und Familie anfügte, die jedoch nicht in ein öffentliches Opfer gehörten. Daher trat er nach kurzem Innehalten auf den Widder zu und nahm das prunkvolle culter aus seinem Gürtel (denn dort trug es der Pontifex üblicherweise). Langsam strich er über den Rücken des Widder, der ängstlich blökte - aber wer würde das nicht tun angesichts des Todes und der Versenkung in den ungemütlichen Wellen des Tibers? Mit weiterem Wein und Mola Salsa wurde die weiße Wolle des Bockes nun leicht rötlich gefärbt und er damit den Göttern geweiht. Dann kam auch schon die obligatorische Frage des Opferschlächters:


    "Agone?"


    und Durus erwiderte


    "Age!"


    Schon setzte der Mechanismus ein, der Hundertemale pro Jahr in zahlreichen Tempeln im ganzen Reich vollzogen wurde: Ein Messer wurde durch die Kehle des Tieres gezogen, sodass sich sofort das warme Blut über die Hand des Opfermetzgers und dann auf den leicht abgeschrägten Boden ergoss. Langsam floss das Blut in Richtung des Kais, über dessen Kante es direkt in den Tiber hinabfloss.
    Nun wurde gewartet, während immer mehr Blut seinen Weg auf den Marmorboden und dann in den Tiber fand. Erst als das Tier gänzlich entfärbt war, trat ein Haruspex heran und man begann, das Tier auszuweiden.


    Mit konzentriertem Blick betrachtete der Mann etruskischer Abstammung die Leber des Schafbocks, ehe er mit zufriedenem Blick zu Durus, dann zum Herold sah und leicht nickte.


    "Litatio!"


    rief dieser und obwohl es in den seltensten Fällen diese nicht gab, ging ein leichtes Aufatmen durch die Reihen der Priester und des Opferherren Tiberius. Nun konnte der angenehme Teil des Familienfestes folgen. Langsam nahm er die Toga vom Kopf, während die Opfermetzger den Schafbock zerlegten und einige, besonders schmackhafte Teile für das Abendessen im Hause Tiberia einpackten, während die Innereien und einige andere Teile von Priestern aufgehoben und ebenfalls in den Tiber geworfen wurden. In einem kurzen Anflug von Impietas am Durus der Gedanke, dass verrottendes Fleisch den Tiber nicht gerade gesünder und sauberer machte, aber dann kehrte seine Ernsthaftigkeit zurück und er verließ zu Fuß die Tiberinsel in Richtung Pompa...

  • Mars war mitgekommen, als Tiberinus sich das Opfer angucken ging. So eine schöne zeitnahe Gelegenheit, auf Iunos Wunsch hin Ärger zu machen, gab es schließlich nicht immer. Die beiden Götter hatten eine Münze geworfen. Tiberinus hatte gewonnen und sich dann für die Milz entschieden. Mars nahm die Galle, die hätte er sowieso genommen. Dass der Haruspex nur die Leber betrachtete, ärgerte beide damit gleichermaßen.


    "Vollidiot!" brummte Mars. Tiberinus sah es praktischer und gestattete sich, den Fluß als Urinal zu benutzen. Es war schließlich sein Fluß, mit dem konnte er machen was er wollte. Wenn der blöde Seher schon nichts sehen wollte, sollte er es zumindest riechen. Und der Rest von Rom auch.

  • Nicht nur brachte der Tiber frisches Wasser nach Rom hinein, er schwemmte ebenso den Unrat daraus hinfort, fungierte zudem als Handelsweg zum Hafen Ostias, von wo aus Waren aus aller Welt ihren Weg in die Stadt fanden. Gracchus konnte dem Fluss an sich indes nur wenig abgewinnen, fließendes Wasser, welches nicht durch ein Aquädukt oder eine Leitung war eingefasst, erinnerte ihn an Unbeständigkeit, an das schwankende Grauen des Meeres, zudem stand der Fluss in seinem Sinne weniger für die Quelle des Lebens, denn für dessen Abwasserkanal. Jedoch konnte der hauchzarte Schleier des Nebels, welcher an frostigen Tagen sich über dem Wasser durch die Stadt hinweg schlängelte, die sieben Hügel umschmeichelte und die Stadt mit einem diffusem Schleier belegte, dazu gereichen, Gracchus' Sinne zu erfreuen. Das gesamte Jahr über fasste die Konsistenz des Flusses weit mehr als nur Wasser, doch zumindest in den winterlichen Monaten hielt sich der Odeur ungustiösen Ausmaßes doch zumeist in Grenzen. Nicht so jedoch an diesem festlichen Tage der Tiberinalia, da es schien, der Fluss hätte sich gar bemüht, den Unrat in den Grenzen der Stadt zu halten. Ob dessen war Gracchus einigermaßen froh, dass er seinem Magen nicht allzu viel Nahrung hatte an diesem Tage zugeführt, in weiser Voraussicht hinsichtlich der noch anstehenden Gladiatorenspiele eigentlich, doch wie sich zeigte war dies auch in Bezug auf das Gewässer nicht fehl gewesen. Doch ohnehin bedingte die Pflicht, sich der Prozession am Festtage des Tiberinus anzuschließen, ungeachtet jeglicher Ausdünstung geduldig dem Opfer beizuwohnen, den Fluss und dessen Numen zu zelebrieren, wie dies ihm zustand. Da hernach Spiele durch den Praetoren Tiberius waren angesetzt worden, wurde Gracchus an diesem Tage von seiner Gemahlin Antonia begleitet, auch und insbesondere, um dem noch nicht allzu lange bestehenden neuen sozialen Status gerecht zu werden, denn auch von der Gattin eines Senators forderte solcherlei Zugeständnisse.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ursus war natürlich auch anwesend. Gerade jetzt im Moment waren Opfer sehr wichtig. Und es war nur richtig, daß möglichst viele Menschen daran teilnahmen, damit die Götter sahen, daß ihnen die Sache wichtig war.


    Der Gestank allerdings, der sich ausbreitete, kaum daß das Opfer vollzogen war, schien Ursus kein gutes Zeichen zu sein. War es wirklich Zufall, daß gerade jetzt übelriechende Abwasser vorbeigeschwemmt wurden?


    Neugierig verfolgte er die weiteren Tätigkeiten der Opfernden. Doch sie schienen mit dem Ergebnis ganz zufrieden und wandten sich ab, ohne sich an dem Gestank zu stören. Nun, dann hatte Ursus sich wohl geirrt. Trotzdem warf er nochmal einen zweifelnden Blick auf den Tiber, bevor er den anderen zu den Spielen folgte. Ob das wirklich alles mit rechten Dingen zuging hier?

  • Wie es sich für einen amtierenden Magistraten gehörte, hatte ich mich auch zu jenem öffentlichen Opfer eingefunden, das zu Ehren des Tiberinus angesetzt worden war - zum einen eine günstige Gelegenheit für die gens Tiberia, Rom zu zeigen, warum sie es verdiente, zu den Patriziern dieser Stadt zu zählen, nämlich in einem großen Einsatz für das Volk, zum anderen auch ein geschätzter Feiertag, denn es ging auf die Saturnalien zu und jeder geschenkte, freie Tag war ein guter Tag, die meisten Familien begingen diesen Tag doch sehr opulent.


    Sehr weit vorn stand ich nicht, aber ich zweifelte auch nicht daran, dass das Opfer korrekt und stimmig ausgeführt würde - so verlegte ich mich wie viele andere der Schaulustigen darauf, aufmerksam zu sein und an der richtigen Stelle zu jubeln - irgendwo weiter vorn musste gerade die 'Litatio!' verkündet worden sein und wie stets wurde diese erfreut begrüßt. Vor allem jetzt. Rom konnte wirklich günstig gestimmte Götter gebrauchen. Ein anderes Ergebnis hätte auch gar nicht sein dürfen - letztendlich erwartete man bei den öffentlichen Opfern die 'Litatio!' geradezu. Und dennoch - als es voran ging, die Menge sich zu bewegen begann, zog ein nicht gerade angenehmer Geruch von Seiten des Tibers zu uns herüber und ich musste mir große Mühe geben, nicht zu würgen.


    Anderen erging es anscheinend ähnlich, und trotz des Festtages sah ich die ein oder andere ziemlich gequält wirkende Miene - angenehm war das wirklich nicht. Konnte es wirklich sein, dass die 'Litatio!' nicht so eindeutig gewesen war wie ausgerufen? Ich warf einen zweifelnden Blick auf den Fluss und beschloss, später mit Gracchus darüber zu sprechen, wir hatten uns immerhin bei den Spielen verabredet ... er hatte es weit mehr mit solchen ominösen Zeichen als ich, und hoffentlich wusste er Rat. Gemächlich schritt ich voran, und mühte mich, möglichst nicht so auszusehen, als müsste ich gleich kotzen - auch wenn mir ehrlich gesagt ziemlich danach war.

  • Der scharfe Geruch aus dem Tiber blieb auch Macer nicht verborgen. Angesichts der Tatsache, dass er schon einmal die Kanäle unter der Stadt inspiziert hatte, nahm er ihn allerdings eher beruflich wahr. Sorgenvoll dachte er darüber nach, ob sich da wohl wieder irgendwo ein Stau von Fäkalien in einem Kanal gelöst hatte, der bisher nicht bemerkt worden war. Oder ob es an den Temparaturen der Jahreszeit lag. Ein Techniker hatte ihm einmal erklärt, dass kaltes Wasser anders riecht als warmes.


    Er würde sich wohl in Zukunft wieder genauer mit dem Abwasser befassen müssen, nahm sich Macer vor, bevor er weiter ging in Richtung Amphitheater.

  • Brav, still, interessiert. So stand Antonia neben ihrem Gatten und blickte suchend nach vorne, in der Hoffnung, zumindest ein wenig vom Opfer zu sehen. Kein allzu leichtes Unterfangen, denn obwohl sie dank Gracchus’ Stellung bereits weit vorne standen, gab es noch immer einige hochaufragende Gestalten, die ihr die Sicht versperrten. So lenkte schließlich auch die Claudia irgendwann den Blick zum Tiber, welcher jedoch gänzlich andere Gefühlsregungen in ihr auslöste, als bei ihrem Gatten.
    Sie liebte Wasser. Sie liebte Flüsse. Sie liebte das Meer. Vermutlich hauptsächlich deswegen, weil man darauf am schnellsten von Punkt A nach B kam. Ginge es nur nach ihr, sie hätte den Rest ihres Lebens damit zugebracht, das Imperium zu bereisen. Doch die Parzen hatten anderes vorgehabt.
    Als der Zug sich in Bewegung setzte, riss sie sich vom trübe plätschernden Fluss los und setzte sich in Bewegung. Allerdings…
    “Bei allen Göttern…“, murmelte sie leise und hielt sich möglichst unauffällig einen Zipfel ihrer Palla vor Nase und Mund. Was stank hier nur so?
    Ein vorwurfsvoller Blick traf den Fluss.

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