Des Caesars Gebrechen

  • Fernab vom Schlachtenlärm im fernen Parthia ging im Castrum der Legio XIV Flavia jedermann seinem gewohnten Tagwerk nach, nichts ahnend von den Geschehnissen am Chaboras. Doch auch hier in Singidunum spielte sich Tragisches ab.


    Gaius Ulpius Aelianus Valerianus verließ seine Gemächer schon seit Tagen nicht mehr. Er fühlte sich schwach, zu schwach um vor seine Männer zu treten. Des Nachts hielt ihn das Fieber in seinen Klauen, von Beginn des Tages an quälten ihn der ständige Husten und Brechreiz, dazu die Schmerzen in all seinen Gliedern, so permanent, dass er sie fast schon manches mal vergessen konnte. Das schlimmste von allem jedoch war die anhaltende Appetitlosigkeit. Nur noch mit Mühe konnte sich Valerianus zwingen, überhaupt etwas zu essen und nicht selten verstrich ein Tag, an dem er jede Nahrung verschmähte. Die kläglichen Versuche der Linderung seines Leidens durch seines Leibarztes, der ihn mehrmals am Tag aufsuchte, erfüllte ihn zudem mit Sorgen. Der Arzt versuchte offensichtlich sein Bestes, doch beschlich den Caesar schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass der Mann nicht allzu viel Ahnung von der Schwindsucht hatte. Daher ließ er Boten nach Viminacium und Sirmium schicken, die einen Spezialisten suchen sollten. Doch bisher war keiner zurück gekehrt. Valerianus dachte mittlerweile schon ernsthaft über eine Rückkehr nach Rom nach.


    Seine Frau Lucilla erahnte seine Gedanken, lange sprach sie mit ihm über das Für und Wider einer solchen beschwerlichen Reise. Valerianus entschied sich schlußendlich noch zu warten, doch wollte er in der Zwischenzeit mit dem Statthalter Illyriens, seinem Freund Potitus Vescularius Salinator, sprechen. An einem nasskalten Wintertag, der Valerianus die Schmerzen heftiger als sonst in seine Lungen trieb, ließ er nach ihm schicken und gab sich aufs Neue mit der Rolle des Wartenden zufrieden.

  • Unzufrieden blickte Potitus Vescularius Salinator am Tor der Legio Flavia auf die Torwachen hinab, die im feinen Nieselregen ihrer Pflicht nachkamen. Der Regen weichte die Legionäre auf und ließ die Scharniere ihrer Rüstungen rosten. Potitius mochte den Winter hier lieber, wenn es statt zu Regnen so kalt war, dass feiner, weißer Schnee vom Himmel fiel. Doch es fragte ihn niemand, wie er das Wetter gerne hätte.


    "Potitus Vescularius Salinator, Legatus Augusti Pro Praetore Illyriens, auf Befehl des Caesars hier." kündigte sein Adjutant ihn an, ehe man ihn durch das Tor und auf der schnurgeraden Straße bis zum Haus des Legaten reiten ließ. Im Vestibulum des für den Caesar und seine Familie prächtig eingerichteten Hauses streifte er seinen nassen Mantel von den Schultern und warf ihn einem Sklaven hin. Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel und wischte die Tropfen fort. Manchmal hatte es durchaus seine Vorteile, keine Haare mehr auf dem Kopf zu haben, die sich nur unangenehm mit Nässe vollsogen und dann noch unangenehmer um die Stirn herum klebten.


    "Wie geht es ihm?" fragte der Legat den treuen Sklaven des Caesar.


    Der alte Mann zuckte nur ratlos mit den Schultern. "Nicht besser als die letzten Wochen."


    "Mhm."


    Potitius klopfte und trat in Valerianus' Arbeitszimmer. Auf die Aufforderung Einzutreten und das Salutieren verzichtete er schon lange. Zumindest solange sie sich in einem ihrer Lager oder im Feld befanden. Valerianus nannte ihn seit langem einen Freund. Sie hatten auch schon zu viel zusammen erlebt, als dass Potitius durch den Anblick des kranken Caesars abgeschreckt werden würde. Valerianus sah blass aus, die Wangen eingefallen, die Augenhöhlen hohl und leer. Neben dem Tisch, an dem der Caesar saß, stand eine Blechschüssel. Ihr Boden war gefüllt mit schleimigem Auswurf, der von roten Blutschlieren durchzogen war. Potitius hatte schon seit Wochen nicht mehr erlebt, dass die Schüssel leer war, mindestens seit Nahen des Winters nicht mehr.


    "Du wolltest mich sprechen?" Er nahm auf einem Stuhl Platz.

  • Nur ein müdes Lächeln hatte Valerianus für den Legaten übrig.


    "Ich habe mit Lucilla gesprochen. Wir bleiben, vorerst. Ich möchte nicht, dass die Truppe unruhig wird. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann, Salinator. Die Männer der XIVten folgen dir ebenso wie mir, wenn es sein muss. Doch meine Abreise würde sie verstören. Ich bin zudem guter Hoffnung, dass bald ein fähiger Arzt eintreffen wird, irgendwo in dieser Provinz wird es schon einen geben. Mein Stab sorgt hier für die reibungslosen Abläufe, doch ich möchte, dass du ein Auge auf ihn hast, dass du in ständigem Kontakt mit der XIVten bleibst. Ich will ehrlich zu dir sein, Salinator, diese feuchte Kälte macht mir zu schaffen. Ich werde an den Kalenden des Januarius wieder vor meine Männer treten, doch ich brauche deine Unterstützung."


    Seit Jahren hatte sich sein treuer Freund an der Spitze der Legio VII und schließlich als Statthalter bewährt. Dies machte es Valerianus leicht, ihm indirekt auch seine geliebte XIVte anzuvertrauen, denn sein Tribunus Laticlavius war ein unfähiger Bürokrat, ein junger Mann auf dem Weg durch den Cursus Honorum, und seinem Praefectus Castrorum hatte er noch nie recht vertraut.


    "Gibt es in Viminacium neue Nachrichten von den Legionen des Augustus?"

  • Ärtze waren nach Potitus' Ansicht reine Zeitverschwendung. Ein Römer sollte auf dem Schlachtfeld sterben, aufrecht, das Gladius im Herz, bevor ihn das Dahinsiechen in den Griff bekam. Doch er sagte nichts dazu, denn für Valerianus war es bereits zu spät, das Dahinsiechen hatte ihn fest in seinen Klauen. Ohne einen fähigen Arzt würde Valerianus womöglich nicht mehr auf ein Schlachtfeld gelangen. Er würde vielleicht noch lange leben, immerhin hatte ihn die Schwindsucht schon sehr lange in ihren Griffen, doch eine Schlacht würde er kaum durchstehen.


    "Keine Neuigkeiten."


    Seit Wochen hatte sie keine Nachricht mehr von der Front in Parthien erreicht. Der Imperator hatte dem Caesar vom Sieg über Edessa berichtet, ausführlich und detailliert. In einer späteren Nachricht hatten sie vom Verlust des Legatus Decimus erfahren. Doch danach war nichts mehr bis zu ihnen durch gedrungen. Auch nicht über Rom. Manche Soldaten unter den Männer spekulierten bereits, dass mindestens eine der Legionen im Frühjahr nach Parthien marschieren würden, weil der Feind zu stark war. Doch Potitus wusste, dass Valerianus keinen Marsch nach Parthien durchstehen würde. Ebenso wie Valerianus es wusste. Sie würden weiter die Grenzen nach Norden sichern.

  • Als hätte er dies bereits erwartet, nickte Valrianus. Obwohl er in schlechter Verfassung war, gingen Nachrichten aus Rom und Parthien noch immer zuerst durch seine Hände. Trotz allem war er noch immer der Caesar des Imperium Romanum.


    "Lass die Grenzpatrouillen verstärken. Ich möchte keine Überraschungen von Seiten der Iazyges solange wir nicht wissen, wie es in Parthien aussieht. Wir haben sie im Sommer gut zurück gedrängt. Ich glaube nicht, dass sie die Mittel haben, jetzt im Winter Krieg zu führen, aber bei diesen unbändigen Völkern kann man nie wissen, wie verzweifelt sie sind."


    Im Grund gab es außer ein paar Scharmützeln seit Monaten keinen Kontakt mit dem Feind. Das Volk der Iazyges hatten sich allmählich an die Grenze gewöhnt, und obwohl Salinator des öfteren darauf drängte, weiter in ihr Gebiet vorzustoßen, begnügte der Caesar sich damit diese Grenze zu halten. Das Imperium konnte sich keine zwei Fronten gleichzeitig erlauben und der Augustus hatte seine Prioritäten in den Osten verlagert.

  • Potitus faltete die Hände ineinander. Das Land der schwachen Iazygen trieb sich wie ein Pfeil in römisches Gebiet. Es wäre ein Leichtes für zwei Legionen entlang des Flusses Tisia weiter in den Norden vor zu dringen und die Grenze neu in einer Geraden von Parolissum in Dacia bis Aquincum in Pannonia zu ziehen. Doch diese Diskussion hatten sie schon zu oft geführt und nun im Winter war es sowieso keine Möglichkeit.


    "Du solltest den Männern zum neuen Jahr ein kleines Fest gönnen. Ich sorge dafür, dass ein Ochsen aus Singidunum gebracht wird. Verbinde das Janus-Opfer mit dem Treueschwur und verteile das Fleisch hinterher mit gutem Wein. Die Männer haben es sich verdient und an den Grenzen brauchen wir nur wenige Wachen. Die Iazygen feiern selbst den Jahreswechsel und wenn du nicht vor hast, die Gelegenheit zu nutzen, um sie anzugreifen, dann sollten wir die Gelegenheit zum Feiern nutzen."

  • Rund sechs Wochen war der Bote unterwegs gewesen. Sechs Wochen, um aus den Tiefen des feindlichen Landes der Parther bis nach Moesia zu gelangen und in die Stadt Singidunum, wo die Legio XIV ihr Standlager hatte.
    Sechs Wochen für einen Brief, den der Senator Aelius Quarto an seinen Bruder, den Caesar geschrieben hatte.


    Nun, am Neujahrstag, stand er endlich vor den Gemächern des Caesars und verkündete dem davor wachenden Miles:
    “Ich überbringe einen Brief an den Caesar Gaius Ulpius Aelianus Valerianus! Er ist von seinem Bruder, dem Senator Lucius Aelius Quarto und für den Caesar persönlich bestimmt.“
    Der Prätorianer überreichte dem Wachposten das Schreiben und war mehr als froh, dass er seine Aufgabe erfüllt hatte.


    An den Caesar
    GAIUS ULPIUS AELIANUS VALERIANUS
    Castra Legio XIV Flavia
    Singidunum, Moesia Superior


    Salve mein lieber Bruder!


    Ich schreibe Dir aus einem staubigen, wenig einladenden Land. Wie Du sicherlich schon weißt, begleite ich den Imperator Caesar Augustus bei seinem Feldzug gegen die Parther. Wir haben Edessa erobert! Ein glücklicher Erfolg der uns mit Stolz erfüllen kann.
    Aber noch so viel Land liegt vor uns.


    Du kannst Dir bestimmt vorstellen, dass ich inmitten dieses Heeres nicht so recht passen will. Ich bin kein Soldat und war es nie, so ganz anders als Du. Aber ich bemühe mich und klage über keine Strapaze und keine Unanehmlichkeit, die ich auf dieser beschwerlichen Reise auf mich nehmen muss.
    Doch, natürlich, für Dich wäre dieser Feldzug eine Freude, wo er mir Sorge und Pein bereitet. Ich wünschte Du wärst hier, an der Seite des Kaisers und würdest ihm gut raten.
    Denn ich fürchte, seinen Beratern mangelt es an dem richtigen Einfluss. Sie meinen es bestimmt gut mit ihm und mit dem Imperium, aber sie raten ihm schlecht. Sie bestärken ihn in der Absicht, immer weiter in das Land des Gegenspielers vor zu rücken.
    Wir haben ein stolzes Heer und im Norden kämpft ein zweites, aber wissen wir nicht alle, dass selbst mit dieser gewaltigen Anstrengung das riesige Partherreich nicht erobert werden kann? Wissen wir nicht alle, dass es irgendwann zu Verhandlungen mit Oroes, dem listenreichen König der Parther kommen muss?
    Iulianus, nur Dir wage ich das so offen zu sagen, scheint dies vergessen zu haben. Ungestüm wie ein junger Alexander treibt er uns voran, ohne einen Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Ich bin alt und zögerlich von Natur, dass weiß ich wohl. Aber ich fürchte, er könne in sein und in unser aller Verderben rennen. Er wäre nicht der erste römische Feldherr, dem diese verfluchte Gegend zum Verhängnis wird. Du musst wissen; wir lagern heute gar nicht weit entfernt von der Stadt Carrhae, einem Ort der Schande und der Trauer, wie Du sicherlich weißt.
    Oh ich wünschte Du wärst jetzt hier und könntest dem Kaiser gut zureden. Aber zugleich bin ich froh, Dich fernab dieses Krieges in Sicherheit zu wissen. Weil ich Dich liebe, mein Bruder, und weil es an Dir wäre, Iulianus' Erbe fort zu führen, wenn das Schlimmste in diesem Feldzug eintritt, von dem niemand hofft das es je geschehen und worum jeder Mann die Götter anfleht, dass es niemals sein wird: Das nämlich der Kaiser verstirbt.
    Dann wäre es an Dir, dass Imperium zu führen. Gut das Du nicht hier bist, und der gleichen Gefahr ausgesetzt bist wie er und wie wir alle.
    Mögen die Götter Dich wohl behüten und mögen uns Mars und Fortuna im neuen Jahr zulächeln!


    Dein Bruder Lucius Aelius Quarto



    In der OSROENE - ANTE DIEM XI KAL DEC DCCCLVII A.U.C.
    (21.11.2007/104 n.Chr.)

  • "Ein guter Vorschlag, mein Freund." Valerianus lächelte matt. "Bereite alles vor. Auch deine Männer sollen ein kleines Donativum aus meinen Privatgeldern erhalten."


    Plötzlich krampfte der Körper des Caesar sich zusammen. Er sog tief Luft ein, begann zu Husten und beugte sich über die Schüssel. Als er sich wieder aufrichtete, bedeckte Schweiß seine Stirn, sein Gesicht war noch blasser als zuvor.


    "Das war alles. Ich werde mich ein wenig ausruhen."

  • Ohne eine Regung ließ Potitus den Hustenanfall des Caesar an sich vorbei ziehen. Nach dessen Worten erhob er sich.


    "Ich kümmere mich um alles, sei unbesorgt."


    Er verließ das Haus. Es gab einiges zu tun. Draußen nieselte es noch immer.

  • Die Ianuarkalenden waren vorüber. Vescularius Salinator hatte sein Wort gehalten und für einen prächtigen Ochsen, eine große Weinlieferung und frisches Brot aus Singidunum gesorgt. Wie zum neuen Jahr üblich war der weiße Ochse dem Ianus geopfert worden. Obwohl der Caesar als Opferherr aufgetreten war, hatte sein Tribun für die notwendigen Handgriffe gesorgt. Nur das Age! hatte er noch selbst ausgesprochen.


    Nach dem gelungenen Opfer und während das Fleisch für die Soldaten zubereitet worden war, hatte der Caesar zu seinen Männern gesprochen. Wenige Worte waren es gewesen. Dass er stolz auf sie war. Dass sie einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Imperium Romanum leisteten. Dass die Iazyges durch ihren dauerhaften Einsatz so gut wie befriedet waren und sich womöglich bald ohne Krieg dem Imperium anschließen würden. Womöglich hatte er noch mehr sagen wollen, doch ein Hustenanfall hatte ihn unterbrochen. Danach forderte er seinen Tribun auf, den Eid abzunehmen.


    Die Soldaten hatten Rom als ihrer Heimat die Treue geschworen. Die Soldaten hatten dem Kaiser als ihrem Imperator die Treue geschworen. Die Soldaten hatten dem Caesar als ihrem Kommandanten die Treue geschworen. Beim anschließenden Fest jedoch hörte man immer wieder auch den Namen Vescularius, auf welchen die Soldaten anstießen. Angeblich hätte der Caesar den Jahreswechsel vergessen, wenn nicht der Legatus Augusti ihn darauf aufmerksam gemacht hätte. Und war es nicht nur ihm zu verdanken, dass überhaupt noch ein Ochse aufgetrieben worden war? Ein, zwei Soldaten wagten sogar zu behaupten, dass auch das Donativum nur auf Drängen Salinators ausbezahlt worden war, da der Caesar zu beschäftigt mit sich selbst und seiner Schwindsucht war, um noch an seine Männer zu denken.

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