Iuno und die Ehefrau des Statthalters

  • Mit der Herrin samt ihren Sklavinnen traf Phaeneas am Tempelbezirk der Stadt Mogontiacum ein. Zuerst musste er sich ein wenig orientieren, schließlich war es ihm ansonsten nicht wirklich wichtig zu wissen, wo einzelne Götter ihr Heiligtum hatten.
    Wenn man sich die hier stehenden Tempel ansah, fiel die Zierlichkeit des Sacrum für Iuno, das das Grüppchen jetzt erreichte, besonders ins Auge.
    Phaeneas schien es, als wäre Mars in der Provincia Germania besonders beliebt, von den größeren Städten wusste er, dass dort überall ein Tempel für den Kriegsgott zu stand, in Confluentes hatten sie sogar zwei. Was man, am Rande erwähnt, nicht alles unfreiwillig mitbekommt.



    Jedenfalls ... das Iuno-Heiligtum

  • Paulina hatte in Rom gelebt, bevor sie nach Mogontiacum gekommen war, und sie hielt die Stadt für ein elendes Provinznest. Unverhohlen skeptisch war ihr Blick auf dem Weg zum Tempelbezirk gewesen und das änderte sich angesichts dieses bescheidenen Heiligtums auch nicht ein Bisschen.


    “Das ist das Heiligtum für Iuno? Das da?“


    Die Frage war an Phaeneas gerichtet, der sie und ihre Sklavinnen hierher geführt hatte. Es lag eine gekünstelte Empörung in ihrer Stimme und sehr viel Herablassung.


    “Viele Anhänger hat die Göttin hier wohl nicht, was? Sag' mir die Wahrheit, die meisten dieser...“, sie sah sich um, fand aber keinen Passanten, auf den sie denunzierend zeigen konnte. “...dieser Leute hier, die beten noch immer Schweine und Bäume an und werfen sich auf den Boden wenn es donnert. Ja?“

  • Dass die Gattin des Herrn nicht viel für Germania übrig hatte, war offensichtlich.
    Als hätte Iuppiter gar nichts mit Gewitter zu tun.
    „Die meisten scheinen Mars, die Magna Mater und Isis zu bevorzugen“, erklärte Phaeneas seiner Herrin zu Iunos Anhängern, dabei erwartungsgemäß sachlich. Götter, von denen zwei orientalisch entlehnt waren.
    „Die germanischen Teile der Bevölkerung beten nach wie vor germanische Götter an“, fuhr er diplomatisch fort, „hier in Mogontiacum ist auch der Bau eines germanischen Heiligtums vorgesehen, wie auch immer das aussehen mag. Aber genauso selbstverständlich werden auch die römischen verehrt. Die Bewohner scheinen die beiden Kulte problemlos zu vereinen.“

  • Wie jeder andere, wusste auch Paulina, dass die Götter in fremden Ländern fremd erscheinende Gestalt annehmen konnten und das primitive Völker sie auch nur primitiv zu verehren wussten. Das, so wusste sie, erforderte Toleranz, wodurch der kulturell höher stehende Mensch seine Überlegenheit zeigte – so hatte es sie einst ihr Hauslehrer beigebracht.
    Also rang sie sich ein mildes Lächeln ab, obwohl sie insgeheim dachte, dass man ein solch merkwürdiges Heiligtum verbieten müsste.


    Sie schaute sich um und seufzte: “Einen Priester gibt es hier wohl nicht?“

  • Und prompt schien wieder die Sonne. Phaeneas betrachtete ihr Lächeln.
    Dann folgte er ihrem Blick und fand dabei erneut nichts bestimmtes.


    „Über die Priestersituation in Mogontiacum weiß ich nicht wirklich bescheid, Herrin“, entschuldigte sich der Bithynier.


  • Auch Crinon hatte sich unbemerkt dem kleinen Zug angeschlossen. Doch heute eher im Sekundärauftrag des Legaten, denn als offensichtlicher Beschützer. Allerdings kam er nicht umhin den Kommentar seiner Herrin zu vernehmen. Es begann mal wieder in ihm zu kochen. Mit dem Legaten als Herr war er la ganz zufrieden, aber dieses selbst für eine Römerin gewaltige Ausmaß an Überheblichkeit und Herablassung war kaum zu überbieten. Trotz aller Kultur und Annehmlichkeiten, oder gerade wegen derselben war Crinon das Imperium allmählich leid. Und diese Frau war was Geringschätzung anging nunmal die Verkörperung eines schrecklichen Alptraumes für Crinon.

  • Während es still in Crinon brodelte war Paulina an den Altar getreten.
    Sie ließ sich auf die Knie sinken. Eine Dienerin, die an ihre Seite eilte um sie dabei zu stützen, wehrte sie wirsch ab. “Ich bin doch kein altes Weib!“, zischte sie.


    Dann neigte sie den Kopf und begann murmelnd ihr Gebet zu sprechen.
    “Iuno, o Erhabene, Iuno, o höchste der Göttinnen, Beschützerin der Ehe, Familie und Mütter, o Iuno, erhöre mich. Lass meinen Schoß fruchtbar und empfänglich sein, segne mich, damit ich meinem Mann einen Sohn schenken kann.“


    An der Einfachheit ihrer Worte und der Schlichtheit ihres Wunsches erkannte man: Paulina sprach nicht sehr häufig mit den Göttern.

  • Ah, wieder eine Römerin, die sich nach Vermehrung sehnte. Iuno blickte interessiert auf die üppige Sterbliche und wartete auf was noch kommen möge.

  • Unbeteiligt stand Phaeneas daneben.
    Der Himmel schien ihm tausendmal interessanter, aber ständig hinaufzuschauen, hätte unhöflich gewirkt, also beschäftigte er sich lieber mit seinen Gedanken, denn anderenfalls hätte er sich mit dem zufrieden geben müssen, was vor ihm lag, und das war auch nicht gerade spannend. Ach ja, wenn er schon bei caelum* war, es war erfreulich hier draußen nicht frieren zu müssen. Kaum ein banales Themen hatte Phaeneas jemals so beschäftigt und immer wieder unterhalten, wie das Wetter in Germania. Seit er sich entweder darüber ärgern oder freuen konnte.


    Der Bithynier atmete tief ein. Die hineinströmende Luft fühlte sich so leicht an.


    Müßig zu erwähnen, dass er sich gut fühlte. Besser als zu manchen Zeiten früher. Bei sich selbst zu sein, sich selbst zu fühlen – nicht halb neben sich zu sein. Nicht von Hilflosigkeit betäubt zu sein, nicht müde und kraftlos und nicht nur froh, aus der Situation halbwegs heil wieder herausgekommen zu sein. Einfach ... leichter. Ein ganz anderes Lebensgefühl.


    Sim-Off:

    * Himmel, Klima

  • “O Iuno“, fuhr Paulina fort, aber ihre Worte waren jetzt nur noch ein sehr leises, kaum hörbares Flüstern: “segne mich mit einem Sohn.“
    Sie wusste, dass ihr nur ein lebender Sohn das geben konnte was sie sich erhoffte, nämlich ein finanziell sorgenfreies und gesichertes Leben an der Seite eines einflussreichen und vor allem wohlhabenden Mannes. Ihr Gatte liebte sie nicht, dass war ihr nur zu bewusst. Wenn sie ihm keinen Stammhalter gebar, dann würde er sich irgendwann von ihr scheiden lassen und dann würde sie sich einschränken müssen und im dann fortgeschrittenen Alter – blutjung war sie schon jetzt nicht mehr – kaum noch einmal eine so vorteilhafte Partie machen. Sie MUSSTE schwanger werden, auch wenn sie sich vor einer Schwangerschaft fürchtete, und dafür war sie bereit, alles zu tun.
    “Lass mich Kinder bekommen.“, beschwor sie deshalb die Göttin. “Lass mein erstes Kind ein Sohn sein und mein Zweitgeborenes soll dir gehören. Ich gelobe es, mein zweites Kind wird dein sein. Erhöre mich.“

  • Phaeneas verlagerte das Gewicht auf den rechten Fuß und schob den linken ein wenig vor. Schatten fielen vor ihm auf den Boden. Mit einem kurzen Blick erkannte Phaeneas, dass ein paar Vögel über das Grüppchen hinwegflogen. Elegant der Flügelschlag, den Körper perfekt in Fluglinie ausgerichtet segelten sie gleichmäßig dahin, friedlich und unbehelligt. Ruhe lag in diesem Flug, obwohl es nur ein kurzer Moment war, in dem sich die Vögel über Iunos Heiligtum hinwegbewegten.
    Der Bithynier widmete sich wieder irdischen Gegebenheiten, sprich wandte den Blick ein weiteres Mal vom Himmel ab. Er sah zu den vier jungen Sklavinnen hinüber, streifte beiläufig den germanischen Leibwächter und richtete die Augen auf die Gattin seines Herrn, die nach wie vor mit gesenktem Kopf kniete.
    ‚Was Vögel wohl als ihren Lebenssinn betrachten?’ Mit diesen Gedanken schweifte sein Blick auch schon weiter.

  • Irritiert sah Iuno auf die Sterbliche hinab. Keine Blumen? Keine wohlriechenden Düfte? Kein schmackhaftes Gebäck sollte ihr geopfert werden? Statt dessen das Zweitgeborene? Also das kam wirklich nicht alle Tage vor. Obwohl der Gedanke durchaus seinen Reiz hatte.


    Kurze Zeit überlegte sie, ob sie einen der herumschwirrenden Vögel ihren Willen aufzwingen sollte - das wäre für die oberste Göttin selbstverständlich ein Leichtes gewesen und hätte nicht mehr Mühe gekostet als ein Fingerschnippen - der sich dann vor der Sterblichen niederlassen und von links nach rechts humpeln sollte. Aber sie wusste natürlich, dass dieses Zeichen von den Sterblichen nie und nimmer richtig gedeutet wurde, also beschränkte sie sich darauf, der wirklich üppigen Sterblichen lediglich ein gutes Gefühl zu schicken.

  • Sinn, Sinn, unwillig verwarf Phaeneas sämtliche Gedanken in diese Richtung. Alles lief nämlich nur auf eines hinaus: Wie konnte jemand, der ein durch und durch sinnloses Leben führte, erwarten, dass seine Existenz einen Sinn hatte?
    Der Sinn, das war das einzige, was Phaeneas verborgen bleib. Alles andere in seinem Leben war genauestens durchdacht, nichts tat Phaeneas, ohne nicht genau zu wissen warum. Jede Einzelheit war begründet und gerechtfertigt, alles ließ sich durch Nachdenken erfassen und festlegen. Aber sein Sinn, der Sinn seines Lebens, der erschloss sich ihm nicht. Welchen Nutzen hatte es für diese Welt, dass er lebte?
    Natürlich läge bei einem Sklaven dieser Schluss nahe: „Diene deinem Herrn, tu, was dir jeden Tag aufgetragen wird, das ist dein Sinn.“
    Aber das war Phaeneas schlicht zu wenig, um Sinn zu sein.
    Und vor allem: Wer tagtäglich so viele sinnlose Dinge erledigte, was für einen Sinn sollte dessen Leben schon haben?
    Phaeneas stand hier wie so oft im Leben, wartete, bis die Gemahlin seines Herrn befand genug gebetet zu haben, vertrieb sich die Zeit mit all dem, was sein Kopf an Gedanken hervorbrachte, und stand hier ansonsten sehr sinnlos herum. Er nützte hier wahrhaft niemandem etwas, außer dass er nachher der Gattin des Herrn wieder den Weg nach Hause zeigen würde, aber davon abgesehen war er hier wirklich überflüssig. Gerade diese unsinnige, so oft vorgekommene Situation war doch förmlich ein Abbild seines Lebens, unendliche, dahinlaufende Zeit, ewiges Warten, auf etwas, was nicht von ihm abhing. Das war der Grund, warum in Phaeneas’ Leben nichts eilte, er hatte ja schließlich für alles unendlich Zeit.
    Er ließ geschehen, nahm hin, was andere taten oder wollten, was kümmerte es ihn? Wie konnte man sinnloses auch ernst nehmen? Nur ... wo war zwischen all dem der Sinn, sein Sinn, und gab es ihn überhaupt?

  • Paulina erhob sich fast beschwingt, und diesmal wagte keines ihrer Mädchen, ihr beim Aufstehen helfen zu wollen. Sie hätte wohl kaum zu sagen vermocht weshalb, aber tief in ihrem Inneren war sie davon Überzeugt, dass die Göttin sie erhört und auf den Handel eingegangen war. Zweifellos, da war sie sich nun sicher, würde sie einem Sohn das Leben schenken... und einem zweiten Kind, das noch vor seiner Zeugung Iuno geweiht war.


    Paulina wandte sich an ihren Begleitern zu; ihren Dienerinnen, dem noch immer schmollenden, vierschrötigen Crinon und dem hübschen Phaenas, der wie ein Philosoph sinnierend da stand.


    “Ich brauche etwas Neues zum anziehen!“, verkündete sie. “Etwas gewagtes. Aus Seide! Wo gibt es in dieser Stadt so etwas? Vielleicht in diese großen Handelshaus am Forum, von dem ich gehört habe? Wie hieß es noch gleich...?“

  • Die Gemahlin des Herrn stand auf und wandte sich zu ihnen um. Phaeneas richtete seine Aufmerksamkeit für den Moment wieder auf sie. Tja, den Göttern war genug gehuldigt.
    Ein interessanter Gedankensprung, von Iuno zu einem neuen Gewand. Und dass sie etwas >brauchte< war stark zu bezweifeln. Sie wollte nur.
    „Freya Mercurioque, Herrin“, erklärte der bithynische Sklave nach ihrem langen Monolog. „Ja, dort müssten sie auch Seide im Sortiment haben ...“ Phaeneas erinnerte sich dunkel an den ungefähren Bestand der Freya Mercurioque. Irgendwann einmal hatte er sich flüchtig damit befasst, so wie man eben alles inspizierte, wenn man eine ganze Stadt vor sich hatte – und wenn man Zeit hatte, beschäftigte man sich schließlich erst recht mit allem möglichen.

  • Obwohl Crinon nicht sehen konnte - er hatte sich mit dem Rücken an eine Säule gelehnt und blickte in die entgegengesetzte Richtung - was am Altar vor sich ging, so konnte er jedoch aufgrund der ausnehmend guten Akustik die der Raum bot alles ausreichend laut hören, wenn er sich genügend konzentrierte, was er tat.
    So hochnäsig sie war, umso kriecherischer wurde seine Herrin bei der Anbetung ihrer Göttin. Mit einer gewissen Abscheu vernahm Crinon ihr flehen. Er hatte bei einer Frau ja nichts gegen ein gebärfreudiges Becken, wie bei seiner Adalfrija, doch seine Herrin hatte für seinen Geschmack zu viel auf den Rippen. So schwenkten seine Gedanken alsbald ab und er gedachte seiner Jugend und wie er für die unerreichbare Adalfrija entflammt war.
    Doch dann erinnerte er sich der Gegenwart. Und er ärgerte sich. Er wurde allmählich nachlässig. Früher hätte er seine Gedanken nicht so schweifen lassen. Also schaltete er alle seine Sinne wieder auf volle Leistung. So schnell wie er das zu tun vermochte, so schnell hatte die Herrin das Thema gewechselt. Von der Anbetung der Göttin zum den Nächsten Einkaufsgedanken war es scheinbar ein kurzer Weg. Crinon, der sich nie um die Götter der Römer geschert hatte überlegte ob diese Göttin wohl jene des Einkaufs und des Geldausgebens war. Oder eher die der Repräsentation? Beides schienen die Lieblingsbeschäftigungen und Hauptinteressen seiner Herrin zu sein. Crinon unterdrückte ein Seufzen und den Gedanken an grüne Wälder und Wiesen und machte sich zum Aufbruch bereit.

  • “Gut!“, sagte Paulina. Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Heiligtum. Sie folgte einer lauten, inneren Stimme, einer höheren Eingebung, ja, sie war quasi davon überzeugt, dass ein göttlicher Wille ihre Schritte lenkte. Wie anders wäre es auch zu erklären gewesen, dass sie diesmal den Weg praktisch von allein fand und zwar so schnell, dass die anderen Mühe hatten ihr zu folgen?

  • Crinon, der sich hinter der Gruppe durch die Menge schlängelte war belustigt ob des Tempos mit dem die Frau des Stadthalters zielstrebig ihren Weg fand. Wie der Bug eines Schiffes teilte sie das Menschenmeer, da alle die sie erblickten eiligst zur Seite stoben und gar unaufmerksame andere Passanten beiseite zogen, um ihr und ihrem Gefolge Platz zu machen. Wenn es darum ging Geld auszugeben, so war sie stehts die erste in der Stadt. Insbesondere wenn es sich um Luxuxgüter handelte. Soweit zumindest Crinons Meinung. Ab und an verlor er den Blickkontakt zur Gruppe, die der Herrin kaum folgen konnte, doch da er sich ausreichend gut auskannte und wusste wohin der Weg sie führen würde, war es für ihn weniger ein Problem die Gruppe wieder zu entdecken, als es für die Angehörigen der Gruppe ein Problem war mit ihrer Führerin Schritt zu halten.

  • Ihre Regel war ausgeblieben!
    Dafür konnte es mehr als nur einen Grund geben, aber Paulina war sich sicher, dass die Göttin Iuno es bewirkt hatte. Bestimmt war Iuno dabei, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen. Das die Göttin dazu überhaupt Gelegenheit hatte, dafür hatte Paulina gesorgt. Denn sie war zu ihrem Ehemann gegangen und zwar an einem ihrer mutmaßlich empfänglichen Tage.
    Waren das jetzt die Anzeichen dafür, dass ihr Tun mit Erfolg gekrönt wurde? Ihre Hoffnung war groß.
    Ganz aufgeregt lief sie zum Tempel der Göttin Iuno. Nur zwei ihrer Mädchen begleiteten sie.


    Die ließ sie draußen in der Kälte warten, als sie das eher bescheidene und kleine Heiligtum betrat. Sie kniete vor dem Altar nieder und streckte die offenen Hände vor.


    “O Iuno, du hast mich erhört. Ich bin guter Hoffnung, ich spüre es. Ich werde mein Versprechen einlösen, so wie ich es geschworen habe. Ich danke dir, Iuno. Ich danke dir... Ich danke dir...“

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