Hortus | Im Reich der Rosen

  • Der Brief lag auf dem Tischchen neben meiner Kommode. Seitdem der Sklave ihn vorgestern gebracht hatte, musste ich ihn immer und immer wieder lesen. Er freute sich, mich wieder zu sehen! Eigentlich hatte ich ja gehofft, er würde unangemeldet hier erscheinen, um mich zu überraschen. Doch die Vorankündigung seines Besuches erlaubte es mir, einige Vorbereitungen treffen zu können.
    Ich hatte ein Plätzchen im Garten für uns herrichten lassen, nahe den Rosenbeeten. Den Gärtner hatte ich bestochen und mir einige Rosen erbeten. Ich versicherte ihm, er würde allerhöchstens mit einem blauen Auge davon kommen, würde man das Verschwinden der betreffenden Rosen bemerken. Ylva hatte ich mit meinen Wünschen betreffend, in die culina geschickt, damit man uns eine Kleinigkeit kredenzen konnte. Auch vor den Sklaven, die uns bedienen sollten, hatte ich nicht halt gemacht. Für den heutigen Tag hatte ich veranlaßt, daß sie roséfarbene Tuniken trugen. Selbst Chimerion hatte ich angehalten, dem nachzukommen. Einen Widerspruch duldete ich nicht, von keiner Seite!
    Zu guter letzt wollte ich Corvinus auch nicht unvorbereitet gegenübertreten. Bereits am Morgen nach dem Aufstehen hatte ich Ylva damit beauftragt, meine Garderobe für den Nachmittag zu richten. Es bedurfte einer sorgfältigen Auswahl des Kleides, der Schuhe, dem passenden Schmuck und natürlich auch der Kosmetika. Ich war der Empfehlung Antonias gefolgt und hatte den Laden jenes geheinmisvollen Janpau L’Gautis aufgesucht, der mich anschließend mit einem Sortiment ägyptischer Kosmetika, Cremes, Parfums und Seifen ausstaffiert hatte.
    Seit nun fast schon zwei Stunden, war Ylva mit mir beschäftigt. Nachdem sie mir die roséfarbene Tunkia angezogen hatte, begann sie mich, ganz nach ägyptischer Manier, zu schminken. Doch das war schnell geschehen. Was wirklich viel Zeit gekostet hatte, war die ausgefallene Frisur, die Ylva auf mein Haupt zauberte und aus mir kurzerhand eine zweite Cleopatra gemacht hatte.
    Unwillkürlich musste ich daran denken, wenn ich einst eine Tochter haben würde, falls ich eine Tochter haben würde, was ich sie im Bezug auf Männer lehren wollte. Er ist der Mann, aber du bist die Frau! In der Öffentlichkeit mögen wir vielleicht im Hintergrund stehen, doch zuhause führen wir die Zügel! Wir sind es, die ihn lenken und wir sind es, die ihn dazu bringen, das zu tun, was wir wollen.
    Unglücklicherweise hatte mir dies meine Pflegemutter verheimlicht. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weswegen meine erste Ehe gescheitert war. Doch beim nächsten Mann würde alles anders werden!
    "Fertig, Herrin!" sagte Ylva stolz, als sie tatsächlich ihr Werk beendet hatte. Ich besah mich sofort im Spiegel und war zufrieden damit. "Sehr schön Ylva! Ich verspreche dir, wenn er mich heiratet, werde ich dich frei lassen!" Das war nicht nur so daher gesagt. Sie hatte es sich nach all den Jahren redlich verdient.
    Ich erhob mich, um in den Garten zu gehen. Eine freudig erregte Ylva folgte mir dorthin und hatte ein Auge auf mein Äußeres, damit ja nicht vorzeitig zerstört wurde.
    Wohlwollend stellte ich fest, alle meinen Wünschen, bezüglich der Vorbereitungen waren entsprochen worden. Nahe den Rosenbeeten hatten die Sklaven zwei roséfarbene Klinen aufgestellt. Auf einer der beiden Klinen nahm ich Platz, Ylva im Hintergrund wissend, wartete ich auf sein Kommen.

  • Rosa. Diese Farbe schien vorherrschend zu sein. Ob das ein neuer Trend im Hause Flavia war? Bisher hatte ich keinen Flavier angetroffen, doch ich vermutete, dass die Farbe nur der Sklavenschaft zu Glanz verhalf. Mir Aquilius in schweinchenrosa vorzustellen oder gar Gracchus, das überstieg meine Vorstellungskraft einfach bei weitem.


    Eines der Mädchen hatte sein Körbchen schon geleert, ehe wir den Garten betraten, kurz schienen sie zu streiten, ob sie sich nun beide aus einem Korb bedienen sollten, dann streuten sie einvernehmlich weiter und verteilten Blütenblätter auf dem Weg vor mir. Ich folgte ihnen einfach und versuchte, nicht weiter über die Bedeutung dieses Empfanges nachzudenken. Meine größte Sorge war gegenwärtig, dass jemand von der Acta davon erfuhr, doch glücklicherweise hatte es gewisse Vorteile, der auctor zu sein.


    Inmitten einer Wolke aus Blüten - wie hätte es auch anders sein können, rosa überwog bei weitem - befanden sich zwei rosafarbene Liegen samt umherstehender rosagewandeter Sklaven und einer rosafarbenen Celerina. Nur flüchtig stockte mein Schritt. Warum hatte es ausgerechnet rosa sein müssen? Ich zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht und ging an den beiden Mädchen vorbei auf Celerina zu. Die ägyptische Aufmachung an ihr fiel mir sogleich ins Auge. "Verzeih mir, wunderschöne Cleopatra, ich suche Flavia Celerina", grüßte ich sie und blieb stehen, um sie anzuschmunzeln. Es war gewiss kein Fehler, dieses Treffen mit einem Kompliment zu beginnen.

  • Ich für meinen Teil fand die Dekoration gelungen. Überall sah man Rosen über Rosen. Selbst in der Luft lag der vage Hauch von Rosen und in diesem Reich der Rosen war ich die Königin. Zugegeben, für den Außenstehenden mochte das sehr überzogen scheinen, doch mir war das Beste gerade gut genug. Außerdem liebte ich es, mich zu verkleiden und was lag da näher, in die Rolle der Cleopatra zu schlüpfen. Solange mir kein Actium bevorstand!
    Von Weitem hörte ich schon das drollige Lachen der beiden Sklavenkinder, die die Ankunft meines Gastes ankündigten. So brachte ich mich noch in die richtige Positur. Meinen Kopf hatte ich auf meinen angewinkelten Arm gestützt. Natürlich hatte ich den ägyptischen Schmuck angelegt. Goldene Armreife in Schlangenform schlängelte sich an meinen beiden Armen und ein Collier, ebenfalls aus Gold und mit verschiedenen Edelsteinen besetzt hatte seinen Platz um meinem Hals gefunden.
    Es dauerte nicht lange, da waren die Kinder da und mit ihnen war auch Corvinus gekommen. Den Kindern gab ich einen Wink, damit sie sich entfernen durften. Belohnen wollte ich sie später. Obwohl war dieses Spiel nicht schon Belohnung genug?
    Er kam auf mich zu und fragte nach einer gewissen Flavia Celerina.
    "Das tut mir leid, Fremder," gab ich ihm erhaben mit ernstem Gesicht zur Antwort. "Eine Frau dieses Namens ist mir gänzlich unbekannt. Aber bleib doch und nimm neben mir Platz." Natürlich konnte ich nicht eine Minute ernst bleiben. Lachend begrüßte ich ihn schließlich. "Herzlich willkommen, lieber Marcus. Bitte setz dich doch!"

  • Es roch sogar nach Rosen. Gut, mich hätte dieser Umstand noch am wenigsten gewundert, denn wo Rosen wuchsen, roch es eben nach Rosen. Celerina gab sich allen Anschein, eine ägyptische Prinzessin zu sein. Sie rührte sich nicht bei meinem Erscheinen, wobei ich auch dies weniger schlimm fand. Doch sie trug eine tunica von der gleichen Farbe wie sie den Weg hierher geprägt hatte - rosa - wenngleich ihr Stoff wohl um ein Vielfaches hochwertiger war als der, den man den Sklaven zugedacht hatte. Um ihre Arme ringelten sich goldene Schlangen, die mein Bauchgefühl als außerordentlich passend befand. Gepaart mit den Edelsteinen und dem üppigen Schmuck auf ihrem Dekolletté erschien sie mir beinahe etwas zu überladen, aber nun ja, sie schien auftrumpfen zu wollen, was ich allein schon hinsichtlich der Ausstaffierung dieses Plätzchens bemerkte. Selbst die clines waren mit roséfarbenem Brokat bezogen.


    Nach ihrer Aufforderung kam ich näher, ergriff ihre Hand und ließ die Lippen kurz die Haut auf ihrem Handrücken streifen. "Du siehst bezaubernd aus, Celerina. Mehr noch als der Garten, den du in ein..." rosafarbenes Wattemeer getaucht hast? Ich suchte nach Worten, die passend erschienen. "...angenehmes Ambiente gehüllt hast." Kurz flackerte in mir die Hoffnung auf, dass die villa Aurelia wohl niemals in pink und rosa gehalten sein würde. Spätestens Brix würde das freundlich, aber bestimmt zu unterbinden wissen. Ich nahm Platz. "Wie geht es dir?"

  • Charmant wie immer! Er trat näher und küsste meine Hand. "Oh, gefällt es dir?" fragte ich freudestrahlend. "Ich dachte, es paßt ausgezeichnet zu den Rosen." Da war ich doch sehr erleichtert. Ich hatte schon befürchtet, die Ausstattung sei 'zu' roséfarben geraten. Aber ich wußte es ja, wie üblich, mein Geschmack versagte einfach nie!
    Corvinus nahm neben mir Platz und meine Augen folgen ihm. Ich hatte sehnsüchtig jene zwei Tage herbeigesehnt seitdem ich sein Antwortschreiben erhalten hatte und nun war es endlich so weit. Er war hier neben mir!
    "Danke, der Nachfrage, mein Lieber. Mir geht es ausgezeichnet! Aber wie steht es mit dir? Wie man so hört, hat man dich in den Senat berufen. Meinen Glückwunsch!"
    Wo war eigentlich Saba? Sie war doch nicht schon wieder entwischt! Aber nein, das konnte sie ja gar nicht. Seit ihrer Flucht war sie an eine Leine gelegt worden, die ihr allerdings einen gewissen Freiraum ließ. Nachdem ich leicht an der Leine gezogen hatte, kam sie unter meiner Kline hervor, räkelte sich an dem Stoff des Bezuges und begrüßte mit einem Miau Corvinus. Dann sprang sie zu mir hoch auf die Kline und nahm vor mir Platz.
    "Oh, ihr kennt euch wahrscheinlich schon! Das ist meine liebreizende Saba." Saba hatte wirklich Glück gehabt. Als einzige in meinem Umfeld war sie von der roséfarbenen Phase verschont geblieben. Sie schmückte nur ihr goldenes, mit Lapislazuli besetztes Halsband, an dem seit einigen Tagen nun eine blaugefärbte Lederleine befestigt war.

  • Vorsorglich erwiderte ich nichts außer einem Lächeln auf ihre Frage nach dem Gefallen des rosaroten Blütentraumes hin. Ehrlicherweise fand ich die Farbe ganz schrecklich, doch das konnte ich ihr schließlich schlecht direkt ins Gesicht sagen. Zunächst blieb ich sitzen auf der cline, und beantwortete ihre Fragen. Dass sie mich ihren Lieben nannte, verwunderte mich nach der Küsschen-Aktion bei ihrem letzten Besuch nicht weiter. "Ich danke dir. Ja, ich bin nun Senator. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Vor mir gab es nur wenige Senatoren in meiner Familie. Es ist demnach eine ganz besondere Ehre, dass man mich berufen hat. Dementsprechend guter Dinge bin ich auch, selbst wenn nun etliche obligatorische Termine mehr anstehen als zuvor", erzählte ich und lächelte Celerina kurz an. Die Flavia zog dann plötzlich an einer blauen Schnur, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, und an dieser Schnur hing die Katze, die ich ihr geschenkt hatte. Mauzend strich sie am Polster der Liege entlang, den Schwanz hoch empor gereckt, und sprang dann hinauf.


    Katzen waren mir schon immer lieber gewesen als Hunde, obgleich beide Spezies auf ihre Art nützlich waren. Ich streckte den Arm aus und ließ das Tier meine Finger beschnuppern, kurz darauf rieb es seinen Kopf an mir und begann laut und ratternd zu schnurren. "Salve, Saba." Kaum ausgesprochen, schockierte mich der Umstand, dass ich mit einer Katze redete, auch noch vor den Augen Celerinas. Andererseits hatte sie damit angefangen und mir das Tier vorgestellt. So war gewiss nichts Verwerfliches daran. Ich räusperte mich und wandte mich nun wieder Celerina zu, die inzwischen die volle Aufmerksamkeit der Samtpfote inne hatte. "Ich vermute, all meine Verschleierungstaktik war sinnlos angesichts deines Intellekts. Du musst sofort herausgefunden haben, von wem das Tier stammt. Aber es freut mich, dass sie dir gefällt. Und der Name passt wirklich außerordentlich gut."

  • Das war in der Tat eine besondere Ehre! Besonders, weil ich dann die Frau eines Senators sein würde. Bravo! Das sollte man doch eigentlich begießen! Unglücklicherweise war es noch keinem der Sklaven eingefallen, uns mit Getränken zu versorgen. Ein Fauxpas der noch seine Folgen haben sollte, so schwor ich mir. "Darauf müssen wir anstoßen!" Ich klatschte in die Hände und eine der Sklavinnen in den roséfarbenen Tuniken, die sich am Rande des Geschehens postiert hatten, eilte davon um die Getränke zu besorgen. "Ich habe mir auch erlaubt, einige Köstlichkeiten herrichten zu lassen." Daraufhin schnipste ich mit den Fingern und eine weitere Sklavin sprang auf, um den Imbiss zu holen. Kurze Zeit später kehrten beide zurück und versorgten und mit gewürztem Wein. Die Besonderheit dieses Weines war, daß er nach einem Hauch von Rosen schmeckte.
    Ich erhob meinen gefüllten Becher. "Auf die Zukunft!" Ich trank nicht sofort, denn ich wollte warten, bis er den ersten Schluck genommen hatte, um dann besser seine Reaktion beobachten zu können. Währenddessen strich ich Saba sanft über ihr seidiges Fell. Sie dankte es mir mit ihrem Schnurren. Corvinus hatte sie doch tatsächlich begrüßt. Der Umstand, daß er mit meiner Katze sprach, erfreute mich sehr. Wie sollte ich denn mit einem Mann zusammen leben, der meinen kleinen Liebling nicht mochte? Saba war zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden und sie begleitete mich fast überall hin.
    Es war für mich nicht schwer, zu erraten gewesen, wessen Geschenk sie war. Schließlich hatte ich nur ihm von meiner Vorliebe für Katzen erzählt. "Du schmeichelst mir! Nur du du konntest wissen, wie man mein Herz gewinnt," entgegnete ich lächelnd, mein Blick wich aber unvermittelt von ihm ab. Meine Augen waren auf der Suche nach meinem Sklaven. Ich hatte nicht bemerkt, ob er mittlerweile auch anwesend war. Womöglich hatte er ein Problem mit seiner Garderobe. Selbstverständlich war auch er mit einer roséfarbenen Tunika ausstaffiert worden.

  • Celerina schien sich beinahe noch mehr zu freuen als ich selbst. Dabei dachte ich mir allerdings nichts. Sie war schließlich nicht auf den Kopf gefallen und musste meine Absichten daher schon längst erraten haben. Vielleicht sollte ich die ganze Sache vorziehen, überlegte ich kurz, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Schließlich hatte ich mir eine Kleinigkeit ausgedacht, und es wäre schade darum. Nicht nur des Geldes wegen, auch weil ich mir selbst einen angenehmen Abend versprach wenn... Doch nein, ich sollte nicht weiter darüber nachdenken. Hinterher plauderte ich noch aus, was ich mir überlegt hatte. :D


    Einen Moment später hielten wir beide kostbare Gläser in den Händen. Ich vermutete, dass auch sie aus Ägypten stammten, nicht allein des sonstig arrangierten Ambientes wegen, sondern auch aufgrund der Machart der Kelche. Zudem waren die Ägypter bekannt dafür, Meister der Glasbläserei zu sein, und unsere eigenen Glasgefäße bezogen wir ausschließlich von einer kleinen Meisterwerkstatt bei Alexandrien. "Auf die Zukunft", erwiderte ich, wobei ich mehr an die Karriere dachte als an die Ehe, die wir - so denn alles glatt verlief - irgendwann führen würden. Wie es sich gehörte, opferte ich den Göttern den ersten Schluck Wein, der sogleich im Gras versank, und trank erst dann. Celerina hatte einen sehr angenehmen Wein ausgewählt und traf damit vollauf meinen Geschmack. Andererseits, solange er nicht allzu süß oder gar zu bitter war, konnte man im Grunde nichts falsch machen. Den Abgang des Rebensaftes konnte ich zunächst nicht recht einschätzen.


    Das rhythmische Schnurren Sabas war eine Weile das einzige Geräusch, das man vernahm, und ich musterte Celerina und ihre Katze noch einmal genauer. Es mussten wahrhaftig echte Edelsteine sein, welche sie dem Tier zugestanden hatte. Da fiel es mir plötzlich ein: Der Wein hatte einen Nachklang von Rosen. Überrascht blickte ich das Glas an und kostete gleich noch einmal, derweil Celerina sprach. Was ich von diesem Wein halten sollte, war mir noch nicht ganz klar, er schmeckte nicht übel und war anders, und augenblicklich stellte ich mir die Frage, ob die rosafarbene gekleidete Sklavin wohl auch rosenblättrige Köstlichkeiten heranbringen würde. Nun, das an sich war nichts Ungewöhnliches, kandierte Rosenblätter gab es bisweilen auf jedem festlichen Empfang, wenngleich es diesen Rahmen wohl sprengen würde - doch nach der Blüte im Haar des ianitor, der vorherrschenden Farbe und den beiden Blumenkindern sollte es mich nicht wundern, wenn Celerina auch bei den Häppchen beim Thema dieses Tages verblieben war. "Dabei hatte ich mir solche Mühe gegeben", erwiderte ich, ohne es recht ernst zu meinen, und schmunzelte. Wenigstens schien ich ihren Geschmack mit dem Mäusefänger getroffen zu haben. Die Flavia wirkte kurz darauf etwas abwesend und sah sich um, was mir erneut Gelegenheit verschaffte, sie zu mustern. "Ich hörte, Claudia Antonia habe vor kurzem ihr Kind zur Welt gebracht?" fragte ich sie, in der Annahme, dass alle Frauen gern über kleine Kinder sprachen. "Sie und Gracchus müssen sehr stolz sein. Sag, magst du Kinder?"

  • Da Corvinus mir die Möglichkeit eingeräumt hatte, mich auf diesen Nachmittag vorzubereiten, konnte ich mich natürlich kaum zügeln, noch einige Besonderheiten vorbereiten zu lassen. Doch dafür war noch Zeit. Schließlich wollte ich nicht mit all meinen Geheimnissen zu Beginn heraus rücken.
    Der erste Höhepunkt des Nachmittags waren die kleinen Häppchen, die ich reichen ließ. In der Tat handelte es sich um kandierte Rosenblätter. Doch dies war nur der Anfang, einer Kaskade kulinarischer Köstlichkeiten. Daneben wurde Austern, Artischocken und gefüllte Drosseln gereicht. Ein leicht verdaubarer Happen, eben.
    Auch ich nahm schließlich einen Schluck des Rosenweines, nachdem ich den ersten Schluck den Göttern geopfert hatte. Offenbar hatte ich mit diesem Wein seinen Geschmack getroffen. Er war auch wirklich äußerst vorzüglich. Ich hatte den Rosenwein speziell für seinen Besuch herstellen lassen. Wenn er nun auch mit den Speisen zufrieden war, so wollte ich dem Koch ein Lob aussprechen.
    Ich griff nach einem Rosenblatt und ließ es in meinem Mund zergehen. Es war unglaublich vorzüglich. Innerlich strahlte ich, ja dieser Nachmittag war einfach perfekt. Er würde ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Villa Aurelia sein. Ich war, seit seiner Zusage so selbstsicher geworden und wähnte mich bereits an meinem Ziel angekommen zu sein. Zwar hatte noch immer kein Gespräch zwischen ihm und meinem Onkel stattgefunden und von Verlobung wurde auch noch nicht gesprochen, doch hätte ich mich denn wirklich so irren können? Dies war nicht nur das Resultat gemeinsamer Interessen. Dies war viel mehr! Es war die Planung der gemeinsamen Zukunft. Ich konnte mich schon ganz deutlich an seiner Seite sehen. Zwar kannten wir uns nur wenige Monate, aber was machte das schon? Wir waren uns sympathisch. Liebe würde sich eines Tages auch noch dazu gesellen. Da war ich mir sicher.
    Im Moment aber galt meine ganze Liebe meiner schönen Saba. Natürlich sollte sie auch nicht hungern. So nahm ich mir eine gefüllte Drossel und fütterte die Katze damit. Saba war nur exquisite Nahrung gewöhnt. Sogleich widmete sie sich der kleinen Köstlichkeit. Mit dem Happen im Maul verschwand sie unter der Kline und ließ es sich schmecken.


    Unsere Unterhaltung streifte natürlich auch den neuen kleinen Bewohner der Villa. Die Geburt des kleinen Flaviers war kein Geheimnis. Wahrscheinlich wußte bereits halb Rom davon, damit auch die andere Hälfte davon Kenntnis erhielt, hatte ich Vorsorge getroffen, um nicht zuletzt den stolzen Eltern eine Freude zu machen.
    "Oh ja, der kleine Gracchus. Ein liebes Kind und so niedlich. Ich habe Antonia vor einigen Tagen besucht und habe mir den kleinen Sonnenschein angeschaut." Ich hatte bei diesem Besuch so einiges über Kinder gelernt. Sie sahen nicht nur niedlich aus, nein von ihnen konnte zuweilen auch ein unangenehmes Odeur ausgehen. Hätte man mich vor meinem Besuch bei Antonia gefragt, ob ich Kinder wollte, so hätte ich mit Freuden ja gesagt. Nun war ich mir da nicht mehr so sicher. Aber, aber! Wofür hatte man denn Sklaven? "Natürlich mag ich Kinder! Ich hege sogar den Wunsch, selbst einmal Kinder zu haben."

  • Die Sklavin war bald zurück und brachte tatsächlich Rosenblätter mit. Solche Schmankerl waren nicht viel mehr als ein Hauch auf der Zunge, der meist zu schnell verging, als dass man etwas mehr als Süße schmecken konnte. Dementsprechend schnell waren sie vergriffen, als Celerina den Anfang gemacht hatte. Ein wenig keimte wieder dieses Unbehagen in mir, das Schweigen zog sich für meinen Geschmack ein wenig zu lange hin, nur unterbrochen von der nächsten Platte, die kredenzt wurde. Inzwischen befand ich mich in einer bequemen liegenden Position. Was allerdings als nächstes serviert wurde, ließ mich schon etwas stutzen. Austern. Ich blickte flüchtig zu Celerina hin. Ja glaubte sie denn, ich brachte es nicht? Mein Blick glitt zurück zu den Schalentieren, die mir die Sklavin so eindringlich vor die Nase hielt. Mein Appetit war nun etwas gesunken. Das war eine eindeutige Anspielung. Ich nahm mir nicht ohne grimmige Entschlossenheit vor, Celerina das deutliche Gegenteil zu beweisen, später, sobald es eben möglich sein würde. Mit langsamen Bewegungen nahm ich mir zwei Hälften und lutschte sie aus, bei der zweiten taxierte ich Celerina aus den Augenwinkeln. Sie fütterte gerade ihre Katze mit einer Drossel. Kaum hatte ich die leeren Schalen fortgelegt, bot die Sklavin mir erneut Muscheln an, doch ich schüttelte nur den Kopf. Als ob ich Austern nötig hätte. Das kratzte doch an meinem Ego. Ich ließ mir lieber Wein nachschenken und versuchte, nicht weiter daran zu denken. Austern...


    "Wem sieht er denn ähnlicher?" wollte ich wissen, dankbar über die gelieferte Ablenkung, die mir ihre Antwort auf meine Frage bot. Wenigstens kurzzeitig konnte ich die Muschelsache vergessen. Ich nickte aber nur zu ihrer Äußerung, selbst einmal Mutter sein zu wollen. Vermutlich deswegen die Austern. Darüber vergaß ich sogar um ein Haar die Farbgestaltung. Die Drossel wirkten appetitlich, also ließ ich mir eine reichen und zerlegte sie allmählich. "Du hast dir wirklich große Mühe gegeben mit diesem Arrangement", meinte ich. Gelegentlich blickte ich zu Celerina, aber sie schien vollauf beschäftigt mit dem Essen zu sein. Angestrengt überlegte ich ein Thema, das wir fortführen konnten. "Wie stehst du eigentlich zur Musik? Soweit ich weiß, verfügt die villa Flavia über äußerst fähige Musikanten." Bei den Saturnalia beispielsweise hatten sie ihre Fähigkeiten schon in meiner Anwesenheit unter Beweis gestellt.

  • Alles was heute geschah, was man servierte, was ich noch geplant hatte, war wohl durchdacht gewesen. So natürlich auch die Speisen. Ich hatte die Sklavinnen angewiesen, ein besonderes Augenmerk auf meinen Gast zu haben. Nicht umsonst hatte ich mich für Austern entschieden. Wußte ich doch um ihre Wirkung. Damit konnte man nicht früh genug beginnen! Ich selbst genoß auch einige Austern, ging aber dann schnell zu den Artischocken über, die den Weg für die Drosseln frei machen sollten. Einfach köstlich, diese Komposition! Ich fragte mich, wie mein Gast das Mahl empfand.
    "Ich hoffe es schmeckt dir, mein Lieber! Wie findest du die Austern? Möchtest du nicht noch einmal zugreifen?" Sicher war sicher! Selbst wenn ich mein Ziel erreicht hatte, den Platz an seiner Seite eingenommen hatte, so ergab sich bereits ein neues Ziel. Jenes Ziel, welches nach geraumer Zeit Mama und Papa zu sagen pflegte.
    Corvinus Frage, hinsichtlich der Ähnlichkeit des Kleinen, hatte mich in Antonias Anwesenheit in einen Gewissenskonflikt gestürzt. Schließlich wollte ich sie nicht verärgern. Hier jedoch konnte ich meine freie Meinung kundtun.
    "Die Nase ist eindeutig von Gracchus, jedoch die Augen hat er von Antonia." Herrje, die Ärmste! So ganz ohne Augen! Ich mußte über diese Vorstellung grinsen. :D Offensichtlich begann der Rosenwein seine Wirkung zu entfalten.
    Ja, noch einmal mußte ich mir selbst ein Lob aussprechen. Doch damit war es nicht getan. Sein Kompliment ließ mich erstrahlen. Es hatte ihm bisher alles gefallen! Natürlich, ich hatte es gewußt, mein Geschmack versagte nie!
    "Oh, ich danke dir! Es freut mich, wenn es dein Gefallen gefunden hat!"
    Seine nächste Frage ließ mich aufschrecken. Hatte er einen der Sklaven bestochen, damit er ihm verriet, was ich noch geplant hatte? "Musik? Aber ja! Und nicht nur das!" Ich klatschte dreimal in die Hände und ein Ensemble aus drei Musikanten, ein Flötist, ein Lyraspieler und eine Tympanumspielerin, erschien, gefolgt von einer Gruppe junger Tänzer und Tanzerinnen. Die selbstverständlich auch, richtig, in roséfarbenen Tunkien oder Lendenschürzen auftraten.

  • Eben noch war ich auf dem Weg des Vergessens gewesen, was die Austern betraf. Doch dieser unmissverständliche Kommentar von Celerina hatte jedwede Hoffnung zunichte gemacht, dass die Muscheln vielleicht doch schlichtweg unbeabsichtigt den Weg auf den Speiseplan gefunden hatten. Einen flüchtigen Moment lang sah ich sie nur entrüstet an. Glücklicherweise blickte Celerina in just diesem Moment nicht zu mir, sondern auf ihr Essen. Also bemühte ich mich, nicht allzu entsetzt zu wirken, und entgegnete souverän und schlicht: "Ah, Muscheln sind nicht so mein Fall." Das wär ja noch schöner, wenn ich hier den Anschein gab, ich hätte solche Mittelchen wahrhaftig nötig und würde sie auch noch gern essen. Das Unbehagen wuchs weiterhin an, sozusagen proportional zu den Anspielungen Celerinas. Darüber halfen auch die einigermaßen neutralen Informationen nicht hinweg, die sie mir nun zukommen ließ. Im Grunde konnte man doch bei einem Säugling gar nicht sehen, wer seine Eltern waren. Zumindest nicht so knapp nach der Geburt. Deswegen war es ja auch so einfach, einem Vater einen Bastard unterzuschieben, sofern der echte Vater kein Africaner war.


    Während Celerina erzählte, quälte ich meine Drossel ein wenig unnötig. Aber besser, ich fasste die Drossel ein wenig harscher an, als ein unbedachtes Wort zu äußern. Wobei ich mich lediglich darauf berief, dass ich den Moment nicht zerstören wollte. Wenn wir uns näher kannten und vielleicht bereits durch eine Verlobung verbunden waren, würde ich Celerina sagen, dass ich rosa ganz grässlich fand und kein Anhänger von übertrieben pompösen Veranstaltungen war. Und dazu zählten auch die Musikanten und Tänzer, die so plötzlich auftauchten, dass mir die Drossel halb im Halse stecken blieb. Zum Aufwärmen schlugen die Herrschaften zunächst einen langsamen Takt an. Ich würgte den Fetzen Drossel hinunter und spülte mit reichlich Wein nach. Kaum war der Kelch leer, ließ ich mir nachschenken. Ich argwöhnte, dass ich nur mit genug Wein diesen Tag würde überstehen können. Aber, so sagte ich mir, gewiss wollte sie nur auftrumpfen - was ihr bereits bei der Blüte in Acanthus' Haar gelungen war. Dies alles wäre nicht nötig gewesen. "Ich bin..." begann ich, als die Tänzer einen weiten roséfarbigen Kreis um uns herum beschrieben. Wie sollte ich den Satz bloß vollenden? Bedient wäre eine weitaus bessere Wahl als entsetzt gewesen, doch hier keinesfalls angebracht. "...beeindruckt. Aber das wäre doch gar nicht nötig gewesen." Dies war dann die sehr viel mildere Variante, die sogar eine durchweg positive Interpretation erlaubte. Ein wenig unsicher sah ich zu Celerina, die Gefallen an den Tänzern und der Musik zu finden schien, ich selbst konnte mich nicht so recht fallen lassen, damit dies möglich gewesen wäre.

  • Chimerion stöhnte innerlich auf. Die Musik dieser Römer war ja kaum auszuhalten, wo hatte die Herrin diese schlechten Musiker nur aufgegabelt?
    Während des ganzen Essens hatte er sich im Hintergrund gehalten, falls die Herrin ihn brauchte. Diese schien sich jedoch aufgezeichnet zu unterhalten, inmitten ihrer Rosen und den rosafarbenen Dekorationen.
    Als er an sich herunterblickte, kam ihm beinahe das Würgen. Da hatte man ihm doch tatsächlich in eine roséfarbene Tunika gesteckt, die überhaupt nicht zu seinem gebräunten Körper passte.


    Während er also neben einem Strauch stand, bereit, jeden Wink der Herrin zu befolgen, kam er sich sehr weibisch und unpassend gekleidet vor. Ihm stand es zwar nicht zu, aber er fand diese Farben schrecklich, vom Essen der beiden scheinbar Verliebten ganz zu schweigen. Man aß also schleimiges Getier aus dem Meer und unterhielt sich über Kinder.
    Chimerion blickte weiter ausdruckslos geradeaus und wünschte sich ein Loch, dass ihn in seinem Gewand verschluckte.

  • Schrittweise kam ich zur Überzeugung, daß meine Bemühungen nicht ganz seinem Gusto entsprachen. Selbstverständlich wollte er die nicht offen zugeben. Wahrscheinlich war dies der derselbe Grund, weswegen ich mich bei meinem Besuch nicht über seine impertinente Sklavin beschwert hatte.
    Daß er die Austern nicht mochte, nun ja, das kam vor. Auch ich hatte für gewisse Speisen eine Abneigung. Womöglich hatte er mich aber auch durchschaut und meine Taktik hinter den Austern erkannt. Zur gegebenen Zeit wusste ich schon Mittel und Wege, wie er in den Genuß von Austern kam, ohne daß ihm bewußt war, diese zu konsumieren, falls dies denn notwendig sein sollte.
    Allmählich begannen ich mir einige essentielle Fragen zu stellen. Was, wenn nicht nur die Austern fehl am Platze war? Was, wenn er diese bezaubernde Farbe, die der Inbegriff einer Rose war, nicht mochte? Was, wenn diese ganze Inszenierung an seinem Geschmack vorbei schlitterte? Dies wäre die größte anzunehmende Kastastrophe! Und ja, es war eine Katastrophe! Man konnte sie apokryph seiner Äußerung entnehmen. Dies wäre doch nicht nötig gewesen! Ich besann mich und je länger ich das tat, verlor ich das Vergnügen, mich noch länger der Musik und den Tänzern zu widmen.
    Ein Klatschen in meine Hände, beendete schlagartig die Veranstaltung. Die tanzenden und musizierenden Sklaven sahen sich ganz verdutzt an, trollten sich aber dann und räumten schnellstens das Feld, da sie bereits glaubten, sich einen Fehltritt geleistet zu haben und nun meinen Zorn fürchteten. Nur die Serviersklaven und meine Ylva blieben noch. Ich hatte beschlossen, mich nun auf konventionellen Wegen weiter zu bewegen.
    "Mein lieber Marcus, was hälst du davon, laß uns doch nach all den leckeren Speisen nun etwas lustwandeln." So konnten wir uns wieder unserer gemeinsamen Leidenschaft hingeben - den Pflanzen. Ich machte schon Anstalten, mich zu erheben, meine Tunika glatt zu streichen und nach meinem Sklaven Ausschau zu halten. Ich entdeckte ihn schließlich im hintersten Hintergrund, an sich selbst hinunter schauend und fast schon würgend. Ich hoffte schon, er hatte sich nichts ernsthsaftes eingefangen!
    "Chimerion, komm!" Er sollte uns bei unserem Spaziergang begleiten. Corvinus sollte ihn kennenlernen!

  • Es war ein sonniger, milder Tag, geradezu geschaffen, um der Zukunft dieser Welt die Schönheit der Harmonie näher zu bringen, gleich, ob die Zukunft dieser Welt an solcherlei bereits interessiert war oder dem auch nur die geringste Beachtung wollte schenken, sofern die Harmonie nicht auf ein harmonisch, gleichmäßiges Atmen im Schlafe der Gerechten sich bezog. Es war nicht einfach gewesen, Antonia davon zu überzeugen, den kleinen Manius für einen halben Tag aus den Augen zu lassen, doch letztlich hatte Gracchus sie überreden können, ihren Sohn in der Obhut des Vaters zurück zu lassen, während sie sich zu den Thermen begab, um einen Kind-freien Tag mit allerlei Entspannung, Massage, Creme und Tinktur sich zu gönnen. So kam es, dass Manius Maior mit Manius Minor auf dem Arme durch den Garten wandelte, in respektvollem Abstand gefolgt von einigen Sklaven, welche jederzeit bereit waren, dem flavischen Stammhalter jegliche Hege und Pflege zukommen zu lassen, welche dieser möglicherweise aufgrund seines natürlichen Lebensrhythmus' mochte bedürfen, gleichsam folgten sie in solchem Abstand, dass Gracchus Maior sie bereits beim Betreten des Garten hatte vergessen, was auch mit daran mochte liegen, dass er selbst von klein auf daran war gewohnt, ohnehin stets von Sklaven umgeben zu sein, welche bei der kleinsten Regung bereit waren, herbei zu springen. Nachdem sich Gracchus davon hatte überzeugt, dass das kleine Kind auf seinen Armen sicher und bequem war untergebracht, spazierte er mit ihm zwischen den noch immer in sattem Grün leuchtenden Büschen und den allmählich verblassenden Sommerblumen hindurch zu den Rosen des Felix hin, wobei er leise summte - eine alte Weise aus Achaia. Es mochte dies ein überaus ungewöhnliches Bild abgeben, doch Gracchus machte sich dieser Tage kaum Gedanken über seinen Anschein, gleichsam wie er sich in seinem eigenen Hause und Garten stets sicher fühlte. Es war der Anflug klandestin klingender Musik, welcher ihn, zuerst unbewusst, doch je näher er dem Klangspiel kam, desto bewusster, allmählich zu eben jenem Fleckchen Garten zog, in welchem Aurelius auf Celerina war getroffen und beide sich an einem kleinen Mahl gütlich taten. Verwundert und ein wenig verwirrt, da er sich nicht im geringsten konnte vorstellen, was dies Spiel zu bedeuten hatte, trat Gracchus unter einem Rosenumränkten Spalier hindurch, als eben auf ein Klatschen hin der Ton verstummte, Musiker und Tänzer mit gesenktem Blicke eilig an ihm vorbei entschwanden. Blinzelnd, mit verwirrtem Blicke bedachte er die beiden übrig gebliebenen Patrizier, welche umwölkt von einer roséfarbenen Atmosphäre eben das Mahl hatten beendet, mit gewölbter Augenbraue. Allfällig war dies eine geschäftliche Zusammenkunft, allfällig verhandelten seine Nichte Celerina und Senator Aurelius über Land, Weintrauben, Fische oder Pferde, allfällig entsprach die Aufmachung Celerinas, die Musik, die roséfarbene Atmosphäre nur weiblicher Verhandlungstaktik - Gracchus wollte dies nicht mit Bestimmtheit ausschließen, da er niemals mit Frauen hatte verhandelt -, allfällig mochte dies alles einen plausiblen, rationalen Grund habend - doch mochte Gracchus auch in mancher Hinsicht ein wenig weltfremd sein, mochte er gerne die Augen verschließen vor allerlei Geschehen auch und insbesondere innerhalb der Villa Flavia, so war er nicht debil, gleichsam sein Geist nicht dermaßen noch benebelt, dass er nicht sah, welcher Art diese Zusammenkunft tatsächlich war. Seine linke Braue wanderte unwillkürlich weiter noch in die Höhe, als wolle sie seiner Stirne entfliehen und dem Himmel entgegen streben, ehedem er sich vernehmlich räusperte, in der Hoffnung, jene Situation würde sich in einer plausiblen Explikation lösen - gänzlich sicher war Gracchus immerhin sich nicht, dass er allfällig die Verlobung der beiden mochte verpasst, vielleicht sogar sie nicht unbedingt verpasst, doch vergessen haben.
    "Salv', Au..relius. Cel'rina"
    , grüßte er die beiden, als gäbe es nichts natürlicheres in dieser Villa, als dass ein Pontifex und Senator sein Kinde im Garten spazieren trug und auf seinem Wege die merkwürdig roséfarbene Zusammenkunft seiner Nichte und eines familienfremden Senators und Septemvires tangierte.

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  • Etwas in Celerinas Lächeln ließ mich sie aufmerksamer mustern. Eben noch war es voller Überschwang und Freude gewesen, bald schon leuchteten nicht einmal mehr die Augen mit. Ein Zeichen, dass es unecht war. Eine kleine Falter erschien auf meiner Stirn und ich fragte mich schon, ob dieser Umschwung ihres Gemüts wohl an meinem Kommentar gelegen hatte. In jenem Moment fanden Celerinas Hände zueinander, sie klatschte, und abrupt erstarb die Musik, ebenso wie die Tänzer augenblicklich verharrten und zunächst erschrocken, dann betrübt zu Celerina hinsahen. Der erste trollte sich, und rasch folgten ihm die anderen. Ich sah ihnen kurz hinterher, wie sie hinter einem rosafarbenen Rosenbusch verschwanden, und wandte mich dann wieder Celerina zu, die soeben den Vorschlag machte, einen kleinen Spaziergang zu tätigen.


    Dem Vorschlag kam ich nur zu gerne nach, konnte ich doch so den Austern und der gesamten kuriosen Situation entfliehen, ohne dass es zu offensichtlich geworden wäre, wie unwohl ich mich fühlte. Dementsprechend nickte ich. "Sehr gern", erwiderte ich, tat es Celerina gleich und erhob mich, auch wenn im Gegensatz zu ihr kein Schmuck leise an mir klingelte. Jede ihrer Bewegungen wurde von einem feinen Klingen untermalt. Ich fand, dass ihr das einen sehr orientalischen Anklang gab, der definitiv zu Celerina passte. Gegenwärtig beschäftigte sie sich mit einem Sklaven, der wie alle anderen ebenfalls diese grausige Farbe trug. Ich musterte diesen Chimerion genauer und stellte augenblicklich fest, dass es wohl das viele Haar auf Kopf und im Gesicht war, das ihm seinen Namen vermacht hatte. Mir persönlich missfiel ein solch mächtiger Haarschopf bei Sklaven, es konnte nur Ungeziefer sich dort einnisten. Zumal er ein Mann war, und die männlichen Sklaven viel eher zur Verwahrlosung neigten als Sklavinnen. Zudem sah es einfach nicht akkurat aus. Da fiel es mir ein... Dieser Mann war einen Parther. Er sah genauso aus wie diejenigen, die man jüngst auf dem Sklavenmarkt erwerben konnte. Das gleiche harte Gesicht, die kantigen Züge. Ich glaubte, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben - was auch stimmte, da er für kurze Zeit in meinem eigenen Hause gelebt hatte, was mir aber nicht einfallen wollte. Und ich hatte auch gar keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, da just in diesem Moment sich jemand räusperte und meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.


    Gracchus stand ein wenig entfernt, musterte die Situation mit erhobener Braue, seinen Kleinen im Arm. Dieses Erscheinungsbild irritierte mich zutiefst. Gracchus, der Inbrgriff der römischen Tugenden, seines Zeichens angesehener Senator und pontifex Roms, hielt seinen Sohn auf dem Arm. Die kleinen Fingerchen hatten sich in den Stoff seines Gewands gekrallt, was in mir die Assoziation mit einem dieser langfingrigen Primaten aus Africa auslöste. Ich sah ihn vielleicht eine Spur zu lang verwundert an, wandte dann kurz den Blick zu meiner Gastgeberin - war dies geplant? - und realisierte dann, welch wunderbare Rettung aus einem roséfarbenen Alptraum Gracchus darstellte. Augenblicklich erschien ein Lächeln auf meinem Gesicht, und ich trat auf ihn zu. "Gracchus", grüßte ich ihn, ohne erneut in die höflichste aller Anreden zurückzufallen - darüber war ich spätestens seit seinem Besuch der Acta wegen hinweg. Vor ihm blieb ich stehen und richtete den Blick von seinem Gesicht auf das des Säuglings in seinen Armen. Wie alle kleinen Kinder es bisweilen tun, verursachte der kleine Flavius mit etwas Spucke und seinen winzigen Lippen ein paar kleine Bläschen vor dem Mund. Ich unterließ es, den Kleinen anzufassen, und sah stattdessen wieder zu Gracchus. "Meinen herzlichen Glückwunsch, Gracchus, zu diesem Prachtjunge", beglückwünschte ich ihn. Dann suchte mein Blick wieder Celerina, der es im Grunde oblag, Gracchus auf den kleinen Spaziergang einzuladen.


    Gewiss hatte sie ihre Familie wissen lassen, dass ich am heutigen Tage eingeladen war. Dennoch war es wohl nicht verkehrt, noch einmal selbst darauf hinzuweisen, das ich heute ohne bestimmtes Ziel hier eingeladen worden war. Nun, zumindest ich hatte für heute nichts weiter geplant als diesen Besuch hier. "Celerina ist so freundlich, mir euren prächtigen Garten zu zeigen." Wer den aurelischen Garten je gesehen hatte, seitdem ich vor Jahren aus Griechenland heimgekehrt war, der wusste, dass mir seltene Pflanzen gefielen.

  • Die Glückwünsche bezüglich seines Nachwuchses verflüchtigten sich bereits, als Corvinus zu einer Erklärung ansetzte, weshalb schlussendlich nur diese, doch diese um so deutlicher, in Gracchus' Geiste widerhallte.
    "Ist sie das?"
    fragte er willentlich gedehnt, so dass gleichsam kein einziger Buchstabe ihm dabei abhanden kam. Der Aurelier mochte sich durchaus mit Celerinas Absichten aus seiner prekären Situation heraus manövrieren zu suchen, doch gleichsam konnte er nicht verhehlen, dass er bereits eine ganze Weile in ihrem Beisein hatte verbracht, allein mit ihr, ganz ohne dem Anstand Rechnung zu tragen. Natürlich war die Flavia kein junges, unbedarftes Ding mehr, hatte bereits eine Ehe hinter sich, und doch lebte sie in der flavischen Villa, lebte damit gleichsam im flavischen Familienverbund, womit gänzlich obsolet war, wie ihre Vergangenheit aussah, da in dieser Villa fortwährend andere Gesetze herrschten. Es oblag Caius' Pflichten, dafür Sorge zu tragen, dass seiner Nichte ein einer Flavia angemessenes Leben würde angedeihen, doch da Gracchus vor langer Zeit schon die Sorge über alles und jeden in dieser Villa hatte übernommen, da auch Arsitides' Rückkehr daran nichts hatte geändert, auch nicht, dass Gracchus bisweilen das Gefühl hatte, das Leben in der Familie würde gänzlich an ihm vorbei laufen, und da er zudem seinen Vetter Caius kannte, mehr als nur kannte, und wusste, dass dieser allfällig ein wenig zu sorglos in solcherlei Hinsicht wäre, so sah Gracchus auch bezüglich Celerina sich in seiner familiären Pflicht gefordert. Bisweilen hatte er sich noch keinerlei Gedanken über ihre eheliche Zukunft gemacht, da sie selbst bei ihrer Ankunft hatte geäußert, diesbezüglich nichts überstürzen zu wollen, doch bedeutete dies nicht, dass er sich ob dessen keinerlei Gedanken über die Sittsamkeit ihrer Besuche würde machen, und Männerbesuch ohne Anstandsbegleitung, dies bereitete ihm durchaus Gedanken, mehr noch, da Corvinus ihm nicht unbekannt war. Dass jener jedoch zu versuchen schien, ihm glauben zu machen, dass entgegen der verräterischen Spuren des Mahles, entgegen der erst verklungenen Musik dies eine Art Führung aus rein naturwissenschaftlichem Interesse sollte sein, kränkte Gracchus durchaus ein wenig in seinem Stolze, gereichte gar in seinem derzeitigen Zustand dazu, ein wenig Ärger in ihm empor zu treiben, da er argwöhnte, der Senator könne ihm ob seiner Schwierigkeiten bezüglich der Aussprache gleichsam die Vigilanz seines Geistes absprechen. Sein Tonfall war bedingt freundlich, als er dem Aurelier antwortete, sein Blick trotz der Schmach der Wortzerstückelung starr auf sein Gegenüber gerichtet.
    "All..fäll'g hat sie ver..gess'n, ... wer sie ist und ... wo sie ist. Dies ist das Hau' einer ... ehr..bar'n, stol..zen und an..ständ'gen Familie. ... Wenn du den Gart'n besi'h..tigen willst, ... Caius nenn' di'h sein'n Freund, eb'nso ... wie i'h ni'ht denke, dass i'h je..mal' dir An..lass gegeb'n habe ... zu glau..b'n, dass i'h eine ... sol'he Bitte dir würd' ab..schlag'n."
    Die Hand des kleinen Manius strich ziellos über den Stoff Gracchus' Tunika, als wolle er sich zu Worte melden oder gleichsam alle Aufmerksamkeit zurück auf sich forcieren, doch sein Vater war noch nicht am Ende seiner maroden Rede angekommen, senkte die Stimme, so dass Celerina allfällig seine Worte nicht würde hören können.
    "Do'h versu'he ni'ht, ... mi'h zum Narr'n ... zu halt'n, Au..relius."
    Dass Gracchus erneut in die formelle Anrede gegenüber Corvinus war verfallen, lag gleichsam nicht an der augenblicklichen Lage, sondern daran, dass er sich zur persönlichen Anrede familienfremder Personen musste regelrecht überwinden, da mit der Distanz der Anrede stets auch die zwischenmenschliche Distanz schwand, und mit ihr ein Teil der Fassade, hinter welcher Gracchus fortwährend seine zahlreichen Schwächen zu verbergen suchte.

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  • Die fehlende Freundlichkeit auf Gracchus Gesicht machte sich schlagartig bemerkbar, als ich hörte, mit welchem Ton er sprach. Eisig war wohl noch die netteste Umschreibung dessen. Allmählich verblasste auch mein Lächeln. Ich fühlte mich urplötzlich zurückversetzt in unser Gespräch wegen einer Ausgabe der Acta Diurna, als er bei mir gewesen und sich beschwert hatte. Wie damals, so war ich auch jetzt vollkommen überrascht von seinen Worten, und wie seinerzeit stand ich selbst vor ihm und spürte leichten Ärger aufwallen, gleichwohl die Ursache dessen diesmal ein anderer war. Dachte Gracchus denn, ich würde mich ungesehen an Celerina vergehen? Glaubte er, ich wüsste nicht, was zum guten Ton gehörte, sui iuris hin oder her? Auf meiner Stirn zeichnete sich nun die erste Falte ab, und Gracchus fuhr fort. Ich zwang mich, ihn nicht in einer seiner ungewollten Pausen zu unterbrechen, sondern ließ ihn sagen, was er zu sagen hatte. Ich hoffte nur, Celerina würde mir mit einer Antwort nicht zuvorkommen, was ich ihr durchaus zutraute, war sie doch eine selbstbewusste Frau. Doch hätte ich wohl das Gefühl, mein Gesicht zu verlieren, wenn sie hier für mich einschritt und mit Gracchus sprach. Ich vermied es daher, sie anzusehen, um zu verhindern, dass sie selbst einen flüchtigen Seitenblick als hilfesuchende Aufforderung missverstand. Derweil griff der kleine Flavius immer wieder ins Leere, schloss die kleine Hand zu einer Faust und öffnete sie wieder. Ihn sah ich kurz an, er würde schließlich nicht einschreiten, doch dann fixierte ich erneut Gracchus mit meinem Blick.


    "Selbst wenn sie sich nicht dessen bewusst sein sollte, so kannst du dir doch dessen versichert sein, dass ich mir vollauf darüber im Klaren bin, wo und in wessen Gegenwart ich mich befinde", erwiderte ich möglichst ruhig, auch wenn ich dabei eher klang wie Gracchus selbst. Ärger zu unterdrücken, war bisweilen nicht einfach, besonders, wenn mir jemand indirekt unterstellte, falsche Absichten zu hegen. Ich räusperte mich und fuhr fort, ohne die Stimme zu senken, wie er es zuvor getan hatte. Schließlich ging es um Celerina, da konnte sie zumindest von meiner Warte aus wissen, was ich dachte. Auch, wenn mir im Grunde die eigentlich geplante Überraschung damit ein wenig vergällt wurde. "Es ist mitnichten ein Geheimnis, dass ich derzeit nicht verheiratet bin. Ebensowenig ist es ein Geheimnis, dass ich die Sitten und Traditionen meiner Vorväter achte. Wenn ich mit meinem Besuch hier gegen die der deinen verstoßen haben sollte, bitte ich um Entschuldigung. Das habe ich nicht beabsichtigt, und ich hatte auch nicht mit einem solchen Empfang gerechnet." Sollte sich Gracchus weiterhin brüskieren, würde ich gehen und erst nach dem Gespräch wiederkommen, das ich ohnehin noch mit Aquilius führen wollte, ehe es in Bezug auf Celerina weiterging. Immer noch nicht sah ich Celerina an. Warum war es immer Gracchus, bei dem ich mich missverstanden fühlte? Es mochte an seiner Eigenart liegen, die Familie über alles zu stellen, selbst über das eigene Dasein. Aber lag nicht gerade darin unsere größe Konvergenz? Es musste ihm doch, nach allem, worin wir bereits verwickelt waren, klar sein, dass ich weder die Ehre Celerinas oder die ihrer Familie, noch die meine beflecken würde.

  • Schon hatte ich mich erhoben und strich meine Tunika glatt. Eigentlich war ich bereit, zu gehen, mir mit Corvinus ein wenig die Beine zu vertreten. Intuitiv war ich zu Plan B übergegangen, der ihm wohl eher behagte. Ich spürte die Erleichterung in seiner Stimme. Vielleicht hatte ich mich ja ein klein wenig zu weit über den Tellerrand hinaus gewagt, mit dem, was ich mir für den heutigen Nachmittag ausgedacht hatte. Doch ich war ein Mensch, der die Abwechslung und das Besondere liebte. Sicher würde er es mir nicht übel nehmen.


    Doch dann vernahm ich eine Stimme, die mir wohlbekannt war und die ich auch sehr schätzte, doch in diesem Augenblick, ließ sie mir doch glatt das Blut gefrieren. Gracchus Maior war mit Gracchus Minor auf dem Arm im Anmarsch. Eigentlich ein idyllisches Bild, welches die beiden, Vater und Sohn abgaben. Doch wer die Hintergründe kannte, wußte wie tief ich soeben im Schlamm meiner eigenen Machenschaften versank. Natürlich oblag es meinem Onkel, einen geeigneten Kandidaten zu finden, der den Platz an meiner Seite einnehmen sollte. Bisher hatte ich mich nur Antonia anvertraut. Gemeinsam hatte man einen geheimen Strategieplan erarbeitet, wie man dem Onkel meine Wahl des zukünftigen Ehemanns schmackhaft machen konnte. Inwiefern unser Plan bereits gefruchtet hatte, war mir in jenem Moment vollkommen unklar. Aber eines war mir bewußt, Gracchus wanderte noch immer im Tal derAhnungslosen!
    "Oh, lieber Onkel!" rief ich scheinbar erfreut aus, doch in Wirklichkeit war ich mehr als verlegen. Zu dumm, ich hatte mich ob Corvinus` Besuch vorher nicht abgesichert. Ich hatte es darauf ankommen lassen. Wer hätte denn gedacht, daß ausgerechnet heute Gracchus einen Spaziergang im Garten unternahm!
    Doch bevor ich noch etwas zu meiner Verteidigung vorbringen konnte, verselbstständigte sich die Situation. Corvinus hatte sich noch verlegen aus der Sache herauszuziehen versucht, doch Gracchus konterte sofort. Der Ton dieses Schlagabtausches war alles andere als nett. Mittlerweile hatte ich diesen beschaulichen Nachmittag zu Zweit ad acta gelegt. Allerdings lag es mir in diesem Moment fern, mich deswegen zu grämen. Vielmehr quälte mich die Sorge, die Situation würde gleich eskalieren. Dann würde mein Traum wie eine Seifenblase zerplatzen.
    Nur der kleine Manius schien seinen Spaß zu haben. Er spielte mit dem Gewand seines Vaters und griff mit seinen kleinen Händchen ins Nichts. Wie gerne hätte ich in jenem Augenblick mit dem kleinen Flavius getauscht!
    Schließlich sah mich Corvinus so an und ich suchte nach einer Erklärung. Doch ich konnte vorerst nur mit einem verlegenen grinsen dienen.
    Aber eine plausible Erklärung mußte her und zwar schnell! Alleine deswegen schon, um den verärgerten Onkel zu besänftigen.
    "Lieber Onkel, ja es stimmt, ich habe Aurelius Corvinus eingeladen, um ihm unseren wunderschönen Garten zu zeigen. Da wir kürzlich bei einem zufälligen Treffen in der Stadt feststellen konnten, wie sehr wir die gleiche Passion teilen. Es ist mein Versäumnis, Aquilius oder dich nicht davon unterrichtet zu haben. Ich bitte um Entschuldigung deswegen!" So, hoffentlich war das ausreichend! Sonst würden mir die Argumente ausgehen.

  • In der Tat war es nicht im Geringsten so, dass Gracchus dem Senator falsche Absichten unterstellte, nicht einmal sonstige Absichten bezüglich seiner Nichte, und wäre er tatsächlich nur deswegen gekommen, den flavischen Garten zu besichtigen, allein dies mit Celerina zu tun wäre noch eben so verwerflich gewesen, wie die augenblickliche Situation. Kurz glitt Gracchus' Blick zu der jungen Flavia hin, verharrte auf ihrem verlegenen Lächeln, welches das Blut ihm in den Adern gefrieren ließ, mehr noch, als die sanfte Bewegung ihrer Lippen ihre gar unschuldige Erklärung folgen ließ. Gracchus' Atem beschleunigte sich unmerklich, wie Blitzschläge durchzuckten Bilder und Worte seinen Geist, verschwammen zu einer Erinnerung, welcher er sich nicht wollte erinnern. Sie war eine Flavia, und obgleich ihr allfällig die anerzogene Gewissheit über die Gewichtigkeit dessen mochte fehlen, so war deren Art doch tief in ihrem Blute begründet, jene Art, mit ihrer Umgebung zu spielen, mit ihrer Beute zu spielen, nach Dingen und Personen zu greifen als wären es Puppen, welche nach ihrem Gutdünken sollten tanzen, dies alles in Perfektion der Unschuld, nicht nur des vorgetäuschten Unwissens, sondern in tatsächlich unbewusster Unschuld. Es war der Fluch der Flavia, und wie die Söhne dieser Familie den ihren Fluch zu tragen hatten, so blieben auch die Töchter ob dessen nicht verschont. Als hätte seine eigene Stimme seinen Geiste gefrieren lassen, als würden die Eiskristalle bereits seine Augen trüben blickte Gracchus zu seinem Sohn hinab, welcher ebenso an seinem Schicksal würde zu tragen haben, gleich wie gut die Absichten seines Vaters auch immer würden sein, und es dauerte ihn, dass gerade Manius Minor als Erstgeborenem die gleiche Schuld würde letztlich auf Schultern liegen wie Gracchus selbst, welcher nicht einmal der Erstgeborene seines Vaters gewesen, durch die Wirren des Schicksals nur in diese Position war hinein gepresst worden. Er hatte seine Schwester in den Dolch getrieben, aus similären Gründen wie sie hier mochten vorliegen, obgleich dies nicht gänzlich war verifiziert. Sie hatte ihr Spiel getrieben mit allen um sie herum, und ihr Tod war letztlich nur Krönung dieses Spieles gewesen. Zurück blieb seine Schuld, jene Schuld die er zu tragen hatte ob der Familie, und obgleich sie ihn bisweilen zu erdrücken suchte, obgleich sie ihn bisweilen in den Wahnsinn trieb, obgleich er Tag um Tag daran zerbrach, so würde er jene Schuld an jedem Tage wieder auf sich nehmen, um die Schande und Schmach von der Familie abzuwenden, erst recht nun, da auch seinem Familienzweige eine Zukunft war beschert. Obgleich der Aurelier niemals sich dem Spiel hätte hingeben dürfen, so wusste Gracchus darum, dass er von Anfang an keine Chance hatte gehabt, hätte nichts lieber getan, als ihm dies zu erläutern, doch es wäre dies nicht nur eine Schmach für ihn selbst, sondern war gleichsam eine Angelegenheit, welche die Familie betraf und Corvinus war bei all dem nur zwischen die Fäden dessen geraten wie es jedem anderen Manne hätte ebenso geschehen können.
    "I'h ak..zeptier' dein' Ent..schuld'gung, ... obglei'h du es hätt'st ni'ht 'rst ... so weit komm'n lassen d'rfen."
    Jene Erklärung, welche Gracchus im Begriff war anzufügen, dass es einer Flavia nicht ziemte, sich allein in Gegenwart eines Mannes, welcher nicht der Familie angehörte, im hinteren Teil eines Gartens zu tummeln, wurde durch ein Quietschen unterbunden, als der kleine Manius Kund tat, dass er ebenfalls noch anwesend war und in jedem Falle mehr Aufmerksamkeit hatte verdient als irgendwer sonst, gleich was irgendwer sonst auch hatte getan, und nur allzu gern hätte der große Manius an seiner statt in den Armen des Vaters gelegen, unwissend ob der patrizischen Komplexität der Welt und des Lebens an sich. Für einige Augenblicke schien Gracchus abgelenkt von seinem Sohne, ein feines Lächeln umspielte seine Lippen und er stupste den Jungen mit seinem Zeigefinger vor die Brust bis dieser mit seinen kleinen, zierlichen Händen danach griff. Warum konnte die Welt nicht stets so simpel sein wie aus den Augen eines Kindes betrachtet?
    "Wir werden spä..ter dar'ber ... spre'hen"
    , wandte er sich kurz nur an Celerina, um hernach seine Aufmerksamkeit zurück zu Corvinus zu lenken.
    "Denn es wäre un..höfli'h, dein'm Gast seinen ... Wunsch abz'schl..ag'n, so..fern es no'h immer dein'm Wunsch entspri'ht, Au..relius, ... dies'n Garten in Aug'n..schein zu nehm'n."
    Immerhin gab es in ganz Rom keine größere Vielfalt an Rosen, allfällig vielleicht nirgendwo sonst im Imperium, und solange Celerina und ihr Besuch nicht sich zwischen die Büsche würden schlagen, wäre nichts weiter dagegen einzuwenden. Doch Gracchus wusste nichts über Corvinus' Passion, nichts über den aurelischen Garten, denn selbst wenn er irgendwann einmal wäre dort gewesen, so hätte er kaum sich daran in besonderem Maße erinnert, da Pflanzen nur selten seine Aufmerksamkeit erregten, und daher wusste er nicht, ob jener Vorwand auch nur einen Funken von Wahrheit hatte enthalten, und wollte ob dessen Corvinus im anderen Falle zumindest die Möglichkeit bieten, sich nun ohne weitere Ausflüchte zurück ziehen zu können.

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