Nördlich von Puteoli | Wahnwitzige Ferien

  • Bereits nach dem ersten Tag war mir klar, dass mir ein solcher Fehler niemals wieder passieren durfte. Ich hatte mich gut gelaunt gegeben, doch in Wirklichkeit war ich der ganzen Angelegenheit bereits überdrüssig gewesen, noch ehe wir Rom verlassen und uns südwärts gewandt hatten. Dennoch! Man musste mir zumindest zugute halten, dass ich mich redlich bemühte. Es kratzte an meinem Ego, dass ich nicht fähig sein sollte, einen guten Ehemann zumindest zu mimen, und auch wenn es mir schwer gefallen war, Rom während dieser Phase der Kandidatur und nicht nur deswegen überhaupt zu verlassen, so hatte ich es dennoch getan. Und das aus einem einzigen Grund: Ich wollte, dass Celerina keinen Grund mehr hatte, mir Vorwürfe zu machen. Es reichte, dass ich sie mir selbst machte.


    Irgendwann waren wir dann an einem kleinen, beschaulichen Heim angekommen. Im Südosten lag, nicht einmal zwei Stunden entfernt, die Stadt Puteoli. Im Nordwesten befand sich Cuma, und wir hockten sozusagen mitten dazwischen. Keinerlei Gedanken hatte ich daran verschwendet, dass Celerina vielleicht auf den Gedanken kommen mochte, das Sibyllinische Orakel aufzusuchen und sonstwas zu fragen. Und als es mir an diesem lauen Abend auf der Terrasse sitzend in den Sinn kam, hoffte ich, dass sie mich nicht mitnehmen würde, wenn sie es denn tat.


    Wir waren inkognito gereist. Eine toga hatte ich nur für den Notfall mitgenommen, sonstiger Ringschmuck war sorgfältig verwahrt. Mitgenommen hatten wir nur Sklaven, die sich in ihrer Treue und im Schweigen ausgezeichnet hatten. Einerseits war ich froh darüber, andererseits fehlte mir etwas. Das war Celerinas Idee gewesen, also hatte ich ihr diesen Wunsch gelassen. Mit fünf Leibwachen und einer Handvoll Sklaven, welche die übrigen anfallenden Arbeiten erledigen konnten, verzichteten wir damit auf das Übermaß an Luxus, das uns in Rom zur Verfügung gestanden hatte. Deswegen musste ich mich selbst aufrichten, um mir Wein nachzuschenken. Ich trank ihn, während ich, in eine wollene Decke gehüllt, auf der Terrasse saß und dem Licht zusah, das sich langsam rötlich färbte. Dies war die erste Nacht hier mitten im Nirgendwo. Und ich wusste, dass es eine Nacht voller Erwartungen werden würde.

  • Ach, das war ja alles so romantisch! Schon die Hinreise war schön gewesen. Marcus hatte meine Idee aufgegriffen und veranlaßt, daß wir inkognito und mit so wenig Begleitung wie möglich gereist waren. Ein paar Tage so leben, wie die einfachen Leute, das hatten wir uns vorgenommen. Ich fand diese Idee einfach verlockend. Charis hatte ich damit betraut, nur das nötigste einzupacken. Höchstens eine etwas feinere Tunika hatte ich dabei, falls es mal einen Anlaß dafür geben sollte. Ansonsten hatte ich recht 'normale' Sachen dabei. Auch das Wetter hatte mitgespielt.
    Ich war ja unglaublich darauf gespannt, was uns an unserem Urlaubsort erwartete. Wir hatten uns ein kleines Häuschen auf dem Land gemietet, nahe Puteoli. Dort sollten wir ganz für uns sein. Keine neugierigen Nachbarn, die ständig darauf achteten, was wir machten. Ein wahres Liebesnest also, vollkommen ungestört.
    Und auch die nähere Umgebung bot viel Anlaß zur Kurzweil. Neben Puteoli waren auch Baiae und Misenum nicht sehr weit weg. Die Solfatrara, so fand ich, war ein Muß und schlußendlich nicht zu vergessen die Grotte der Sybille bei Cumae! Selbstredend mußte ich dort hin! Und Marcus würde mich begleiten. Dort konnten wir dann unsere gemeinsame Zukunft ergründen. Ach, war das aufregend! Ich konnte es kaum erwarten!
    Das Häuschen war schließlich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Abgelegen und idyllisch. Natürlich war es nicht so luxuriös, wie die Villa in Rom. Doch es bot den nötigen Komfort, den man brauchte, um vom Alltag auszuspannen.
    Nach unserer Ankunft hatte ich mich etwas frisch gemacht. Ich hatte auch etwas bequemeres angezogen und spazierte nun, schon weitaus entspannter zu meinem Mann hinaus auf die Terrasse. Der Sonnenuntergang stand unmittelbar bevor. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Mit etwas Glück würde man bei guter Sicht am nächsten Morgen von hier aus den Golf von Neapolis erahnen können.
    Ich war richtig zufrieden mit unserer Wahl der Unterkunft und auch der Art zu Reisen. Mit einem gelassenen Seufzer setzte ich mich neben Marcus. "Das hier ist wunderschön! Nicht wahr?"

  • Während ich so dasaß und Ruhe hatte vor meiner Frau, die sich seit - wie es mir vorkam - Stunden frisch machte, dachte oich darüber nach, was ich mir von diesem Kurzaufenthalt in andersartiger Umgebung erwartete. Die Ehe würde wohl ganz gewiss nicht besser verlaufen, überlegte ich mir. Doch vielleicht konnte ich Celerina zumindest meinen guten Willen zeigen. Als sie nun auf die Terrasse kam und sich zu mir setzte, beschloss ich, diese Absicht sogleich in die Tat umzusetzen. Je früher, desto besser. Also wandte ich mich ihr zu, gab ihr meinen Weinbecher und fragte, in der Hoffnung, dass sie sich an ihren Vorwurf diesbezüglich erinnern würde, artig: "Ja. Wie geht es dir eigentlich?"


    Von ihren Besichtigungsplänen ahnte ich ja noch nichts, sonst hätte es mich vermutlich jetzt schon zu einem ergebenen Seufzen hingerissen. Diese Bank, auf der wir saßen, schien für alte Leute gemacht. Sie war aus sehr fein verarbeitetem Holz gemacht, mit floralen Aussparungen und geschwungenen Linien. Zwischen dem Holz und unseren Hintern befanden sich purpurfarbene Kissen mit goldenen Quasten. Ich schob einen Arm um Celerinas Schultern, weil man das eben so machte. Noch ging es mir erstaunlich gut dabei, auch wenn ich glaubte, dass ein falsches Wort von ihr genügte, um das ins Gegenteil zu verkehren. Ich dachte an den Sonnenuntergang. An guten Wein, gutes Essen und eine Mütze voll Schlaf. Und solange das so blieb, war vermutlich alles in bester Ordnung.

  • "Oh, danke", sagte ich lächelnd, als er mir einen Weinbecher herüberreichte. War es nicht genau das, was uns in Rom gefehlt hatte? Genügend Zeit und genügend Abstand zum Alltag. Ich bewunderte den wunderschönen Sonnenuntergang, die rote Scheibe, der im Westen allmählich versank. Ich mir hundertprozentig sicher, daß wir hier zueinander finden konnten, wenn wir nur wollten. Keine Frage, ich war bereit dazu gewesen.
    Zu meiner freudigen Überraschung hatte unsere letzte Unterredung auch Wirkung gezeigt, wie Marcus plötzliches Interesse nach meinem Befinden zeigte. Ja, ich war mir sicher am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein.
    "Mir geht es gut, Marcus. Sehr gut sogar! Ich bin so froh, daß wir weggefahren sind!" Ich fühlte so etwas wie innere Ruhe und Gleichklang, so wie es schon immer hätte sein sollen. Dann schob er auch noch seinen Arm um meine Schultern. Daraufhin lehnte ich mich an ihn. Für nichts in der Welt wollte ich diese Momente ungeschehen machen, dieser schöne Sonnenuntergang und unsere Eintracht, auf dieser hölzernen Bank, die für uns gemacht schien. Ja, so wollte ich alt werden. Das war der Inbegriff des Glücks. So hätte ich noch ewig hier sitzen können. Doch dann war auch der letzte Rest der roten Scheibe verschwunden und langsam senkte sich die Nacht über uns. Mit dem Verlust der Sonne sanken auch die Temperaturen, bis es mich schließlich zu frösteln begann.
    "Laß uns besser nach drinnen gehen, bevor wir uns noch erkälten", meinte ich und erhob mich dann, was mir wirklich schwer fiel, denn mit ihm alleine zu sein, war angenehm gewesen.
    "Warte noch!", sagte ich plötzlich und wandte mich zu ihm hinunter, um ihn zu küssen.

  • Sehr gut also, na, dann war ja alles wunderbar! Ich lächelte, auch wenn es nicht recht die Augen erreichte, und wandte mich der scheidenden Sonne zu, damit sie es nicht bemerkte. Celerina lehnte sich an mich. Eigentlich war daran nichts Besonderes, und doch schnürte sich mir beinahe augenblicklich die Kehle enger. Es fühlte sich so falsch an, und doch war es richtig. Richtiger als andere Dinge, zumindest. Ich musste mich überwinden. Es gab keine andere Lösung für dieses Dilemma. Ich wusste das inzwischen, immerhin hatte ich lange genug Zeit gehabt, um mir dessen bewusst zu werden. Und dennoch haderte ich mit mir. Wie gern hätte ich mich aus meinem eigenen Körper zurückgezogen, um dieser Nacht nicht beiwohnen zu müssen!


    Ich schloss die Augen, als die Sonne hinter dem fernen Horizont verschwand. Celerina war nicht hässlich. Sie verlangte auch nichts, das unmöglich gewesen wäre. Und ich war mir der Pflichten und Obligenheiten schließlich auch bewusst gewesen, als ich sie geheiratet hatte. Celerina erhob sich plötzlich, und ich taxierte aus den Augenwinkeln heraus den Weinkrug, der neben einer niedrig brennenden Öllampe stand. Ich würde mir in dieser Nacht, in diesen Tagen fernab von Rom, Mühe geben, ein gute Ehemann zu sein. Ganz gleich, was es mich kosten mochte. Celerina war meine Frau, und sie hatte meinen Respekt und mein Vertrauen verdient, so wie sie mich damit bedachte. Einen Becher Wein nur noch, dann würde ich ihr folgen. Doch sie beugte sich plötzlich zu mir hin und küsste mich. Erneut schloss ich die Augen. Ließ die Gedanken schweifen. Und erwiderte den Kuss. Obwohl sich alles in mir sträubte, stand ich dann doch auf, verzichtete auf den Wein, und hob, ohne den Kuss zu unterbrechen, meine Frau auf die Arme, um sie hinein und zum Bett zu bringen, um dort, nach langer Zeit, endlich wieder meiner Pflicht nachzukommen.


    Als der Morgen graute, lag ich wach auf der Seite und sah hinaus. Schlieren von rötlichgrauem Licht durchzogen die Schwärze. Erste Vögel sangen, und hinter mir waren Celerinas gleichmäßige Atemzüge zu hören. Wir hatten in dieser Nacht mehrere Male miteinander geschlafen. Ich fühlte mich ausgelaugt und leer, auch wenn das vermutlich nicht nur davon kam. Währenddessen war mir stets bewusst gewesen, dass ich vielleicht gerade meinen Erben zeugte. Von der Entspannung, die mich zumindest für die kleinen Moment überrollt hatte, war da nicht allzu viel geblieben. Ich hoffte, dass zumindest sie nun glücklich war. Ich plante gedanklich bereits den nächsten Schritt zur Vervollkommnung dieses Aufenthalts. Träge bewegten sich die halb durchsichtigen Vorhänge vor dem Fenster im Wind. Eben ging die Sonne auf. Ein neuer Tag begann.

  • Das war eine Nacht gewesen! Davon würde ich sicher noch lange zehren können! Endlich hatte ich erfahren dürfen, was es hieß, verheiratet zu sein. Und auch Marcus, schien einiger Ballast von den Schultern genommen worden zu sein. Er hatte sich als ein wahrer Gott entpuppt, was ich selbst in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet hatte. Ich hatte es genossen, so sehr hatte ich mich danach verzehrt. Endlich, wenn die Götter es gut mit uns meinten, dann war es vollbracht. Innerlich betete ich zu Iuno, sie möge mein Bitte erhören und uns mit einem Nachkommen beglücken.
    Völlig erschöpft, aber dennoch glücklich war ich irgendwann neben Marcus eingeschlafen. Eine erholsame Nacht mit angenehmen Träume hatte vor mir gelegen. Vergessen war all der Zwist, der hinter uns lag. In mir keimten nur noch positive Gedanken, wenn ich an uns dachte.
    Als die Sonne aufging und ihre ersten Strahlen in unser Schlafzimmer drangen, wurde ich langsam wach. Die Vögel sangen bereits. Es war so warm und gemütlich im Bett, so daß ich auf ewig hätte liegen bleiben können. Meine Augen öffneten sich und blinzelten bei dem hellen Licht, an das sie sich erst noch gewöhnen mußten. Ich fragte mich, ob Marcus schon wach war. Langsam drehte ich mich zu ihm. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Meine Hände bahnten sich ihren Weg zu ihm, damit sie ihn umschlingen konnten. Meinen Körper schmiegte ich sanft an seinen.
    "Guten Morgen, mein Liebster! Ich hoffe du hast auch so gut geschlafen wie ich." Dann küsste ich ihn sanft auf die Wange und sah zum Fenster und den Vorhängen, die der Wind schwach in Bewegung versetzte. Auch heute schien es, ein schöner Tag zu werden. Bereits jetzt schon schossen mir die Gedanken in meinem Kopf herum, was wir heute tun konnten. Den Tag zum Einkaufsbummel zu nutzen stand außer Frage. Das würde mir Marcus niemals verzeihen! Vielleicht sollten wir heute nach Cumae um unsere Zukunft zu ergründen. Oder den Tag doch besser zu nutzen, um Noch mehr zu entspannen. Zum Beispiel in den Bädern in Puteoli und der Solfatara und anschließend ein Besuch im dortigen flavischen Theater. Ich würde Marcus entscheiden lassen, damit er nicht das Gefühl hatte, ich würde immer alles bestimmen wollen.
    "Wozu hättest du heute Lust?", fragte ich. Mit jeder Antwort würde ich zufrieden sein, selbst wenn er heute den Tag mit mir im Bett verbringen wollte.

  • Träge glitten meine Gedanken dahin, verweilten bei der Erinnerung an die Enttäuschung wegen Sivs Flucht und flogen weiter zu jenem Moment, in dem ich ihr gesagt hatte, dass sie von nun an in der Kammer neben meinen Gemächern wohnen würde.


    Es raschelte leise hinter mir, und ertappt dachte ich an Celerina, die an meiner Seite schlief. Oder geschlafen hatte, denn soeben schob sie einen Arm unter meinem hindurch und schmiegte sich an mich. Warme Haut an warmer Haut, ihr Atem in meinem Nacken. Ich schloss die Augen und seufzte leise. Ich würde diese Zeit hier überstehen. Ich würde meine Rolle spielen. Und ich würde sie perfektionieren.


    Als ich die Augen wieder öffnete, stand ein Lächeln auf meinem Gesicht. Langsam wälzte ich mich auf den Rücken, was angesichts der Umarmung Celerinas gar nicht so leicht war. Sie lag zu meiner Linken, zur Rechten befand sich die Fensterfront mit Blick in den Garten und der angrenzenden Terrasse. "Tief und fest", bestätigte ich. Nun, zumindest für eine kleine Weile. Ich schob einen Arm unter den Schultern meiner Frau hindurch und drückte sie leicht an mich. "Hmm..." machte ich nachdenklich. Wenn ich vorschlug, wieder nach Hause zu fahren, würde sie vermutlich aus dem Bett springen und mich beschimpfen, ganz gleich, wie gut ihr diese Nacht gefallen haben würde. Und ich sollte nun also wählen, wo wir uns langweilten? Ein wenig ratlos sah ich zur gekalkten Decke des Raumes hinauf, die Mundwinkel zuckten kurz in Ermangelung einer Idee. "Was immer du dir ausgedacht hast, machen wir", sagte ich zu ihr. "Du hast sicher schon die ein oder andere Idee gehabt." Und neun von zehnen waren vermutlich sterbenslangweilig für einen Mann. Ich sehnte mich nach Rom zurück. Nach ihr. Diesen Gedanken begrub ich, sobald er aufgetaucht war. Ich setzte mich auf, wandte den Kopf und sah Celerina an, deren Haar eine recht wuschelige Corona auf dem hellen Laken bildete. "Aber zuerst muss ich was essen." Ich schmunzelte. Normalerweise war ich jemand, der morgens nichts oder nur wenig hinunter bekam. Heute hatte ich allerdings tatsächlich Hunger.

  • Ich wußte nicht warum, doch etwas sträubte sich in mir, ihn danach zu fragen, wie ihm die letzte Nacht gefallen hatte. Vielleicht war es die Angst vor der Enttäuschen, er könne etwas abwertendes sagen was in Nullkommanichts mein gutes Gefühl wie eine Seifenblase zerplatzen ließ. Nein, ich lächelte nur zufrieden und hoffte, auch er sei zufrieden gewesen.
    Fast hatte ich ja schon mit einer solchen Antwort gerechnet, was immer du dir ausgedacht hast, machen wir. Eigentlich konnte es mir ja nur recht und billig sein, bei so wenig Eigeninitiative und deshalb wiedersprach ich auch nicht. Denn fürwahr sah ich uns schon schwitzend und brütend in einer der puteolischen Badeanstalten. Anschließend konnten wir uns informieren, welche Unterhaltungsmöglichkeiten die Stadt bot oder wir konnten in einer der vielen netten Tavernen die unvergleichliche campanische Küche kosten. Aber halt! Marcus war keine meiner Freundinnen, die ich im Bad treffen konnte. Er war ein Mann, wenn auch mein Mann. In die Badeanstalten zu gehen bedeutete zwar von gutaussehenden Masseuren bedient zu werden, doch es hieß auch, daß wir getrennte Wege gehen mußten. Nein, das wollte ich nun schon gar nicht!
    "Was hältst du davon nach Cumae zu fahren und dem Orakel eine Frage zu stellen?" Ob er das für eine gelungene Idee hielt? Vor allem, welche Frage würde er stellen wollen? Sicher gab es einiges, was wir gemeinsam fragen konnten.

  • Und es kam, wie es kommen musste. Im Grunde hatte ich es ja schon vorher gewusst. Gib einer Frau einen kleinen Finger, und sie wird dir den ganzen Arm entreißen. Wie wahr! Hier hatte ich noch das Glück, dass ihr der Arm allein nicht ausreichte und ich damit vorerst verschont blieb. Ich kniff die Augen zusammen, so als ob ich ernsthaft überlegen würde. "Zur Sybille von Cuma?" hakte ich nach und sah nachdenklich auf Celerinas unter der dünnen Decke verborgenen Füße hinunter. Dann kniff ich die Augen zusammen und sah kurz darauf meine Frau wieder an. "Das könnten wir machen. Nur welche Frage stellen wir dem Orakel? Du weißt, dass wir nur eine Frage stellen können?" Die Brauen waren hinauf gerutscht. Dann klopfte es und ein Sklave trat ein. Er hätte unsere Stimmen gehört, sagte er, und wollte uns das Frühstück bringen. Ein Tablett mit süßen Dingen stellte er auf den Nachttisch auf Celerinas Seite, dann verließ er uns wieder.


    Eine gute Stunde später saß ich, fertig eingekleidet und mit zweifelhaften Gedanken im Sinn, auf der Terrasse und wartete darauf, dass Celerina fertig war. Überhaupt bestand ein Großteil der Tätigkeiten eines Ehemannes wohl daraus, auf seine Frau zu warten, die - wenn sie sich nicht gerade einkleiden ließ - geschminkt wurde oder sich umentschied, was sie anziehen sollte. Zu einem Ergebnis waren wir bisher nicht gekommen, was die Frage betraf. Ich wollte, wenn ich denn schon dorthin mitgehen musste, zumindest wissen, ob ich bald den Erben bekommen würde, den ich mir wünschte. Doch die Art der Frage schien bei Celerina eher weniger auf Gegenliebe zu stoßen. Und solche Dinge wie ob ich bei der Wahl gewinnen würde, betrafen nur mich und waren für den gemeinsamen Orakelbesuch auch eher unpassend. "Wie wäre es mit 'Wie viele Kinder werden wir haben?'" rief ich über die Schulter ins Zimmer hinein, vermutete aber, dass diese Frage ähnlich auf Ablehnung stieß wie die Frage nach dem Erben.

  • Ob er auch nur die leiseste Ahnung hatte, welche Entbehrungen ich für ihn hinnahm? Keinen Einkaufsbummel, weder in Puteoli, noch in Baiae geschweige denn in Misenum. Und das, obwohl es dort wundervolle Geschäfte gab. Ebenso war ein gemeinsamer Besuch in den Bädern ausgeschlossen, was ich als sehr bedauerlich empfand. Besonders in Baiae gab es die vortrefflichsten jungen Masseure, die das Imperium vorweisen konnte.
    Wenigstens war uns die Option mit Cumae geblieben. Und bevor wir uns einig wurden, was wir fragen sollten, war ein gutes Frühstück von nöten. Ein Sklave, dem es nicht entgangen war, daß wie aufgewacht waren, brachte uns das Frühstück ans Bett. Dabei fiel mir ein, dies war eine Premiere. Zum ersten Mal seit unserer Hochzeit, nein überhaupt, frühstückten wir miteinander und diesmal hatte ich auch richtigen Appetit. Sonst hielt ich mich nicht lange damit auf, doch hier zelebrierte ich es ausgiebig.
    Dafür brachte ich dieses Mal weitaus weniger Zeit auf, um mich herzurichten. Hier kannte mich niemand. Deswegen war es auch nicht so enorm wichtig, wie gut ich geschminkt war und ob meine Frisur der aktuellen Mode entsprach. Auch mit der Kleidung hielt ich mich eher zurück. Ich wollte nicht gleich als die patrizische Senatorengattin aus Rom entlarvt werden, die ich ja nun einmal war.
    Ich war fast fertig mit allem, oder besser gesagt meine Sklavin, als von der Terrasse Marcus Stimme zu mir drang. Nein, er wollte nicht entnervt wissen, wann ich endlich fertig war. Es war ein Vorschlag zu einer Frage an die Sybille. Ich mahnte Charis zur Eile, damit ich zu ihm hinaus treten konntre, was sie dann auch tat.
    "Das ist eine hervorragende Frage!", antwortete ich strahlend. Ja, wir beide waren auf ein und derselben Linie angekommen. Den Göttern sei dank!

  • Während ich draußen wartete, versüßte ich mir die Zeit mit ein paar frischen Feigen. Ich tauchte sie in Honig und aß sie dann. Damit, dass Celerina diese Frage gut fand, hätte ich im Traum nicht gerechnet. Dementsprechend verwundert war der Ausdruck auf meinem Gesicht auch, mit dem ich sie bedachte, als sie heraus kam. "Ja?" fragte ich sicherheitshalber einmal nach. Von der Feige, die ich gerade zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, troff der Honig ganz allmählich hinunter. Statt sie selbst in den Mund zu stecken, hielt ich sie Celerina hin. Das war ganz gewiss ein kluger Schachzug.


    "Tja also, wenn du wirklich meinst...?" bot ich ihr die allerletzte Möglichkeit, doch noch einen gescheiteren Vorschlag zu machen. Die Götter allein wussten, wie viele Nachkommen wir zusammen haben würden, und ich war zumindest so sehr Realist, dass ich nicht nur darauf vertraute, sondern auch auf meine Fähigkeiten und die ihren. Denn wir hatten auch noch ein Wörtchen mitzureden, damit aus keinem viele wurden. "Bist du dann soweit?" fragte ich und gab mir Mühe, nicht vorwurfsvoll oder entnervt zu klingen - obwohl ich mir auf Anhieb zehn Dinge hätte vorstellen können, die ich lieber unternommen hätte. Aufmerksam musterte ich Celerina, ließ den Blick an ihr entlang wandern. "Gut schaust du aus." Mein Plan schien tatsächlich aufzugehen. Celerina wirkte tatächlich glücklich. Oder spielte sie das Spiel gleichsam mit mir, ohne dass ich es ahnte? Ich unterdrückte es, skeptisch die Augen zusammenzukneifen, und stand dann auf. "Dann können wir."


    Draußen wartete schon eine Sänfte auf uns. Keine große, luxuriöse, sondern eine kleine, aber feine. Ich hatte die Miete noch an demselben Abend beauftragt, an dem wir hier angekommen waren. Stämmige Träger waren inklusive. Ich reichte Celerina eine Hand, um ihr den Einstieg zu erleichtern, dann setzten sich unsere Träger in Richtung Cuma in Bewegung. Langsam zockelten wir dem Orakel entgegen, und, bei Iuppiter, ich hatte kein besonders wohliges Gefühl dabei.

  • Kaum hatte ich die Terrasse erreicht, erwartete mich auch schon eine von Honig triefende Feige, die sich mir in den Weg stellte. Wie sinnlich, diese Frucht und wie betörend der, der sie mir entgegenhielt! Genießerisch lies ich sie in meinem Mund verschwinden und schloß die Augen dabei. Mhhm, lecker!
    "Ich bin mir ganz sicher," versicherte ich ihm noch einmal. Wieso auch sollte ich mir nicht sicher sein? Hatte Marcus etwas zu verbergen? Ganz sicher nicht, denn er war es doch gewesen, der diesen Vorschlag machte.
    "Ja, ich bin so weit", sagte ich, ohne genervt zu wirken, denn das war ich auch nicht. Er wiederum entgegnete dies mit einem Kompliment. Was wollte man noch mehr?
    "Danke sehr! Du schaust auch gut aus. So losgelöst und entspannt." Uns beiden schien dieser Urlaub gutzutun, denn wir beide hatten uns verändert. Zum Guten versteht sich.
    Es war Zeit zu gehen und zu meiner Überraschung wartete auch schon eine Sänfte auf uns, dachte ich doch, wir würden den Weg mit einem Wagen zurücklegen. Doch schließlich war die Sänfte doch die angenehmste Art zu reisen.
    Unterwegs beschlichen mich plötzlich gewisse Gedanken, die mir ein ungutes Gefühl bescherten. Was, wenn uns die Sybille eine unbequeme Antwort gab, wie zum Beispiel, wir könnten keine Kinder haben. Natürlich würde dann gleich mir die Schuld anhafte, ich sei unfruchtbar oder dergleichen. Je näher wir unserem Bestimmungsort kamen, desto intensiver wurden die Bauchschmerzen. Nun aber gab es kein Zurück mehr!

  • Puteoli. Ich war hier noch nie gewesen. Von dem, was ich allerdings bisher so gesehen hatte, war das aber auch nicht unbedingt schlimm gewesen. Der Markt hier war wie der in Rom, nur ein wenig kleiner. Die Geschäfte konnte ich nicht beurteilen, allerdings schien es hier weniger exklusiv zu sein als in Rom - dafür eben auch übersichtlicher und weniger teuer. Ich selbst ließ den Großteil meiner Kleidung von einem vertrauensvollen Sklaven besorgen. Neben der Zeit, die ich nicht zum Einkaufen verschwenden wollte, fehlte mir auch die Lust, mich stundenlang in engen Läden herumzudrücken um dann mit Stangenware nach Hause zu gehen. Was die Togen betraf, kam der Schneider direkt in die villa. Immerhin sollten die auch entsprechend sitzen und angemessen aussehen.


    Heute hatte ich mich allerdings selbst verbannt. Die Sänfte hatte Celerina und mich in das Feriendomizil gebracht, und von dort aus waren wir mit einer Kutsche nach Puteoli gefahren. Das ging weitaus schneller als mit einer Sänfte und sparte nicht nur uns Zeit, sondern den Sklaven wunde Füße. Am Stadtrand waren wir dann wieder auf eine Sänfte umgestiegen, die uns soeben am Südende des Marktes absetzte. Einer der Träger half Celerina beim Aussteigen, ich kletterte hinterher und bot ihr dann meinen Arm. "Wo möchtest du zuerst schauen?" fragte ich sie ergeben.

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