Kapeleion zum Phoenix

  • Vor der sengenden Hitze flüchtend, hatte ich mich unter das Vordach einer Taberna begeben. Zum Markt konnte ich auch noch später. Sattgrünes Weinlaub rankte sich um die Streben einer verschnörkelten Pergola und beschirmte die Gäste vor der Sonnenglut. Ich ließ mich an eines der zierlichen Tischchen sinken und streckte die Beine lang von mir, bestellte einen Wein und ließ meinen Blick schweifen, über die Gäste, die Vorübergehenden... dann auf die Malerei auf dem Tavernenschild, sie stellte einen Phönix dar, der sich pfeilgerade in eine große goldene Sonnenscheibe stürzte. Ach... Ob Aton noch an mich dachte? Ob er meinen Brief überhaupt bekommen hatte? Womöglich hatte er die geheime Botschaft gar nicht entdeckt, das wäre katastrophal...
    Ich stützte den Kopf in die Hand und sah auf zu dem sonnendurchdrungenen Laubdach, einem Mosaik leuchtender Schattierungen von Grün und Gold, dahinter lichtblau der Himmel. Meine Gedanken flogen weit fort, nach Rom, zu jener unvergesslichen Meditrinaliennacht, ich seufzte verträumt und sehnte mich ganz furchtbar. Als das Schankmädchen meinen Wein brachte, hatte ich einen Entschluss gefasst.
    "Könnte ich wohl etwas zu schreiben bekommen?"
    Sie brachte mir Papyrus, Tinte und ein Schreibrohr, und ich begann sogleich einen schmachtenden Brief zu verfassen.



    Geliebter Aton!


    Bist Du mir böse ob meiner Abreise? Bitte, sei es nicht, ich kann die Vorstellung nicht ertragen. Sehnlich habe ich es mir gewünscht, Dich noch einmal zu sehen, es Dir wenigstens selbst zu sagen, dass ich fort muss, an dem Abend als ich die Abschiedszeilen an Dich verfasste. Ich habe die hellen Fenster Deiner Villa gesehen, und mir ausgemalt, wie Du dort, umgeben von erlesenen Dingen und geistvollen Schriften, im Kreise mir fremder Menschen den Abend verbringst, und die Sehnsucht ist seit jenem Abend immer noch größer geworden. Ich möchte Schwingen haben wie der Phoenix, ich möchte über das Mare nostrum einfach hinweg fliegen, wie über alles andere das uns trennt, ich möchte verschmelzen mit Deiner ewigen Glut!




    Ich kühlte meine Leidenschaft mit einem tiefen Zug aus meinem Glas und las die Zeilen, die ich gerade geschrieben hatte, nochmal durch. Ja, genauso war es... Ich stellte mir vor, wie Manius den Brief bekam, wie die Worte die entsetzliche Entfernung zwischen uns überbrücken würden, und ich strich mit den Fingerspitzen zärtlich über das Papyrus, das er in den Händen halten würde... und setzte an, um ihm von den Wundern meines Aufenthaltes hier zu schreiben, und dass ich bald in die Wüste ausziehen würde, zum Gefecht mit den monströsen Wüstenräubern (wie ein Heroe aus alter Zeit, das musste ihm doch bestimmt gefallen)... -
    Allerdings... ich drehte das Schreibrohr unschlüssig zwischen den Fingern... wie konnte ich überhaupt so sicher sein, dass solch ein Brief ihm willkommen war? Dass meine Herzensergüsse nicht eher wie ein störender Eindringling in die brave häusliche Umgebung des Senators Flavius hineinflattern würden. Wenn ich an meinen Besuch dachte, in dieser gediegenen, abweisenden Atmosphäre... da verließ mich der Mut. Und selbst wenn ich meinen Namen nicht draufschrieb, auch dann konnte es ihn, und auch mich, wenn wir Pech hatten, doch kompromitieren.
    "Ach..."


    Nein, besser nicht. Es war einfach zu riskant. Mit leidiger Miene verkorkte ich das Tintenfass, leerte meinen Wein, zahlte und verließ die Taberna. Im Gehen zerknüllte ich das Papyrus bitter zwischen den Fingern, und als ich auf dem Weg zum Markt über eine Brücke kam, die einen kleinen Kanal überspannte, warf ich den angefangenen Brief im hohen Bogen über das Geländer ins Wasser. Ein heller Fleck im trüben Wasser, langsam trieb es von dannen und saugte sich dabei voll, die Tinte verlief und meine Worte lösten sich auf.
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