Cubiculum | Flavia Vera

  • Hier befindet sich das Cubiculum der Flavia Vera.
    Und genau hier, hatte Piso der Kammerdienerin Phrima befohlen, sollte sie einen Brief deponieren, den Piso am frühen Morgen, bevor er sich auf den Weg ins Officium machte, selbst auf einem Stück Pergament (welches Piso in rauen Mengen aus der Kanzlei hatte) niedergeschrieben hatte. Dies tat sie, pflichtgemäß.
    Der Brief war dergestalt.


    Liebe Vera,


    ich konnte dich gestern Abend nicht mehr erreichen, es tut mir sehr Leid. Momentan bin ich einfach viel zu viel beschäftigt. Ich brauche wirklich einen anderen Job, wo ich dann auch mehr zuhause sein könnte. Was ich dir sagen wollte, war, dass es heute eine Feier gibt, bei den Pompeiern. Mein guter Freund Pompeius Imperiosus hat mich gebeten zu kommen, und auch du bist eingeladen. Wir feiern dort Imperiosus‘ gute Rückkehr aus Aegyptus, und meine Erhebung in den ordo senatorius. Ich weiß nicht, ob ich heute noch nach Hause komme, aber auf jeden Fall, ich werde auf der Feier sein. Sie fängt zu Sonnenuntergang in der Casa Pompeia an. Es wäre schön, wenn du kommen könntest, Schwester, denn dies ist die Gelegenheit, ein wenig von der römischen Gesellschaft kennen zu lernen.
    Wir sehen uns dann, hoffentlich, heute Abend bei den Pompeiern!


    Grüsse,
    dein Bruder Aulus

  • Vera fand den Brief ihres Bruders als sie von einem Spaziergang zurückkam. In Ruhe lass sie ihn und rief dann laut nach Serafina.
    „Ich werde heute Abend mit meinem Bruder bei den Pompeius Imperiosus essen. Such mir das grüne heraus und mach mir die Haare. Auch mit meinen Augen muss du etwas machen. Los beeile dich und trödele nicht so rum.“
    Das arme Mädchen wusste gar nicht was sie zuerst machen sollte so wirbelte Vera herum und änderte ständig ihre Anweisungen. Es würde sicher lange dauern bis sie ihre Herrin endlich soweit zurechtgemacht hatte bis sie zufrieden war.

  • Es war Phrima, die sie fand.
    Das rätische Kammermädchen machte sich zusehends Sorgen um Vera. Zwar hatte sie sich von ihrer Krankheit ein wenig erholt, doch dann erlitt sie wieder einen Rückfall. Die Räterin musste eigentlich Piso recht geben – es war nicht gut gewesen, dass sie vorzeitig das Bett verlassen hatte. Nun lag sie dort wieder drinnen, und Vera, von Natur aus schon blass, war kreidebleich geworden, wie eine Leiche, und von Tag zu Tag ausgemergelter. Ein trauriges Spektakel für die Sklavin, deren übliche Quirligkeit sie immer verließ, wenn sie sich der Kammer der Flavia Vera näherte, um ihr ihr Essen zu bringen – es ihr eher einzuflössen, als dass Vera es selber aß. Es war ein trauriger Zustand, es war wie ein Stück Tod in der Villa Flavia. Eigentlich wünschte sich Phrima, dass es aufhörte. Sie wünschte sich nur noch das, auch wenn Piso dann untröstlich wäre.
    Und es war auch wieder an diesem Morgen, dass sie sich mit diesen Gedanken herumschleppte. Vor der Kammer von Vera angekommen, klopfte sie vorsichtig an, und als sie nichts hörte, trat sie trotzdem ein – ihr Tablett nur auf einer Hand balanzierend, drückte sie die Türklinke hinunter.
    “Herrin Vera? Ich bin’s. Morgen.“ Der Blick der Sklavin wanderte zum Bett hin, wo Vera drinnen lag. Die Flavierin lag dort wie eine Statue, bleich, dünn, regungslos. Bedeckt von einer Decke, wo nur der Kopf, die Schultern und die bewegungslosen Arme herausragten, wie immer. Die Sklavin seufzte.
    “Ich habe Frühstück für dich.“ Mit diesen Worten trippelte sie leise zu Vera hin und setzte sich behutsam neben sie an den Bettrand. “So. Jetzt...“ Sie hielt inne, als sie eher zufällig über die Hand von Vera strich. Eiskalt. Die Sklavin stellte das Tablett ab und hielt ihre Hand über Veras Mund. Kein Atem. Und auch kein Puls an ihrem Hals oder ihrem Handgelenk.
    Phrima keuchte entsetzt, als sie als letzten Versuch die Augenlider der Flavierin öffnete. Diese Augen. Sie waren gebrochen, als ob man innerhalb der Augäpfeln etwas zerschmettert hätte.
    “Oh nein. Oh nein! Oh nein!“ Entsetzte stolperte Phrima zurück. Vor ihr lag nicht mehr Vera. Vor ihr lag nur noch der Leichnam von Vera. Vorsichtig trat sie wieder an die Leiche heran, und nahm das Tablett herunter. Sie stellte es hinters Bett, wo es das allgemeine Bild nicht störte.
    Nach ein paar Sekunden der Panik entschloss sie sich, das nahe Liegendste zu tun. Sie holte Piso.

  • Die Sklavin schloss die Türe, nur damit sie im Laufe einer Minute wieder geöffnet wurde. Mit Wucht, mit der Kraft eines verzweifelten Mannes, der normalerweise nicht sonderlich stark war, dem aber die Emotionen Flügel verliehen. Sie flog auf und offenbarte einen fürchterlichen Anblick einem Beobachter, der im Zimmer stehen würde – wiewohl niemand dort drinnen war, nur Veras Leiche auf ihrem Bett.
    Der Anblick war Piso. Schwer atmend. Rot unterlaufene Augen. Rot hatte sich die Innenfläche seiner rechten Hand verfärbt, denn im Reflex hatte er der Überbringerin der Nachricht eine saftige Ohrfeige gegeben. Geschockt. Seine Händen zitterten, seine Beine schlotterten.
    “Vera. Vera. Vera. Nein. Nein“, stammelte er in kurz abgehackten Sätzen, und trat mit stockenden Schritten auf das Bett zu, auf dem seine Schwester lag. Er ergriff, wieder eine Reflexhandlung, Veras Hand. Sie war kalt, eiseskalt. Kein Puls, kein Atem, kein Zeichen von Leben.
    Piso ließ die Hand los. Wie versteinert stand er da. Dann bewegte er sich, wieder mit den selben ruckelnden Schritten, zum Fenster des Zimmers hin und machte es auf. Das Fenster sollte offen stehen, damit die Seele der Toten hinauf steigen konnte, in den Himmel, zum Elysium, zu einem Platz, der besser war als diese Welt, die Vera nichts geschenkt hatte außer immer wieder neue Krankheitsattacken, die Piso eine Schwester geschenkt hatte, nur um sie wieder zu nehmen.
    Er drehte sich wieder hin, zu Vera, zu ihrem Bett, zu ihrem Leichnam. Dann tat er etwas, was kein Römer tun sollte, aber er tat es. Er ließ sich auf die Knie fallen. Er fasste mit beiden Händen nach Vera, senkte seinen Kopf und begann zu weinen.
    Zuerst war es nur ein leises Schluchzen, ein Wimmern, kaum hörbar. Der Flavier griff an den Kopf seiner Schwester, das kalte, abgemagerte Haupt. Er legte seinen eigenen Kopf drauf und merkte, ohne dass es ihn sonderlich berührte, dass sein Weinen lauter wurde. Er hob seinen Kopf wieder, blickte mit tränennassen Augen nach oben, schloss seine Augen dann und brüllte verzweifelt: “NEIN! NEIN! NEIIIIIIIIIIIiiiiiiiiiiiinnnnn... Seine Stimme verstummte. Es war nur noch mehr das Weinen zu hören, mit dem Aulus Flavius Piso den Tod seiner Schwester beklagte.
    Phrima war derenthalben weggerannt, um auch noch Nigrina die schreckliche Nachricht mitzuteilen und sie zu holen.

  • Nigrina war gerade dabei, sich für den Tag zurecht machen zu lassen, als eine Sklavin plötzlich hereinplatzte. Eine Sklavin ihres Bruders, wie ein Teil von ihr registrierte – der weitaus größere Teil war zu erzürnt darüber, gestört worden zu sein, noch dazu auf eine derart polternde Art und Weise, als dass sie dem großartig Beachtung geschenkt hätte, wem diese Sklavin nun gehörte. Wer in ihre Gemächer kam, hatte mit den Folgen zu leben, und so erhielt Phrima bereits ihre zweite Ohrfeige an diesem Morgen – noch bevor sie die schlechte Nachricht hatte überbringen können. Als sie dann aber stammelnderweise von Veras Ableben berichtete, starrte Nigrina sie dann nur für Augenblicke an. „Steck die Haare fest“, wies sie die Sklavin an, die mit ihrer Frisur beschäftigt gewesen war, als Phrima hereingeplatzt war, und die zwangsläufig hatte innehalten müssen. „BEEIL DICH!“ fauchte die Flavia, als sie nicht sofort reagierte. Mit einem Wedeln der Hand scheuchte sie die anderen Sklavinnen fort, und kaum saß ihre Frisur – äußerst schlicht, aber für mehr blieb keine Zeit –, erhob Nigrina sich und verließ den Raum. Was Phrima tat, ob sie ihr folgte, darauf achtete sie nicht mehr, stattdessen trugen sie ihre Schritte eilig durch die Gänge der Villa, bis sie den Teil erreichte, in dem Veras Räume waren – ihr Krankenzimmer, wie man es inzwischen seit geraumer Zeit nennen musste. Seit ihrem ersten Besuch bei ihrer dahin siechenden Schwester war Nigrina heilfroh gewesen, dass ihre Gemächer nicht zu nah bei ihrer Schwester waren. Es war nicht so, dass sie Angst vor dem Tod hatte – aber sie lebte, und Vera war so sehr das Gegenteil davon, wie man es sein konnte, ohne schon gestorben zu sein. In diesem Zustand vor sich hin zu vegetieren, das war etwas, was in Nigrina Widerwillen und Ekel auslöste. Es hätte Grauen ausgelöst, hätte sie es zugelassen, aber das tat sie nicht, denn das hätte geheißen, dass sie den Gedanken hätte zulassen müssen, so etwas könnte auch ihr zustoßen – und das kam gar nicht in Frage. Ihr stieß so etwas nicht zu. Nicht ihr. Ganz sicher nicht. Dafür war sie... zu lebendig. Und Vera war schon immer... eben nicht ganz so lebendig gewesen, fand sie.


    Dass Vera nun tot war – endlich –, war etwas, was in Nigrina beinahe Erleichterung auslöste. Ebenfalls bei ihrem ersten Besuch hatte sich in Nigrina bereits der Gedanke festgesetzt, dass Vera schon tot war und es nur noch nicht wusste. Dass sie sich verzweifelt an ihren Lebensfaden klammerte, den die Parzen nur in qualvoller Langsamkeit durchschnitten, wie um sie zu verhöhnen. Zum Leben nicht genug, zum Sterben noch zu viel, so war ihr Veras Lebensfaden erschienen. Es war einfach nicht richtig. Und wann immer sie bei ihrer Schwester war, fühlte Nigrina sich weniger lebendig, weil diese ganze Atmosphäre einfach... bedrückend war in diesem Zimmer bei ihr, um es mal gelinde auszudrücken. Aber sie war ihre Schwester, und sie konnte sich nicht davor drücken, sich um sie zu kümmern. Und so hatte sie das getan seit ihrer Ankunft, hatte sie jeden Tag besucht, und wenn es nur für kurze Zeit gewesen war, weil es sich gehörte und weil sie ihre Schwester war und weil Nigrina nicht wollte, dass sie sich am Ende noch von ihren Verwandten anhören lassen musste, sie gäbe nicht einmal auf das Wohlergehen ihrer Familie etwas. Deshalb tat sie es, obwohl es ihr aufs Gemüt schlug, und obwohl es Zeitverschwendung war, weil Vera ohnehin kein Anzeichen gab, ihre Anwesenheit überhaupt zu bemerken. Ihre Schwester in ihrem Zustand war vermutlich noch nicht einmal klar, dass Nigrina mittlerweile überhaupt in Rom war.


    Ihre Schritte hatten sie inzwischen bis zu Veras Räumlichkeiten gebracht, und mit gebührendem Zögern klopfte sie an die halboffene Tür an und betrat dann das Zimmer, aus dem bereits ein Weinen erklang. Sie erblickte Piso, wie er neben Veras Bett kauerte, sein Kopf an ihrem Kopf, und weinte. Nigrinas Kiefer pressten sich aufeinander. Sie hasste solche Momente. Einen Augenblick zögerte sie, dann machte sie einen Schritt nach vorn, wortlos, und legte Piso nur eine Hand auf die Schulter.

  • Zitternd tasteten Psios Finger über den toten, leblosen Körper seiner Schwester, als ob er nach irgendeinem Lebenszeichen suchte, als ob er versuchte, irgendeinen Punkt an ihr zu finden, den man nur berühren müsste, und dann würde sie wieder auferstehen, so frisch und munter und gesund wie früher. Doch er fand keinen, während er unkontrolliert weinte. Dicke, heiße, salzige Tränen flossen über seine Wangen und tropften auf Veras Bett hinunter, wo sie sich in die weichen Daunen, die nun Veras letzte Ruhestätte darstellten, einsogen, um dort zu verschwinden, zu verdunsten, wie eine Analogie zu Veras Leben, nur, dass dieses Verdunsten viel schneller vonstatten gegangen war als jenes ihres Lebens. “Oh Vera...“, stammelte Piso, während er plötzlich innehielt mit seinen sinnlosen Bewegungen. “Wärst du dch nie nach Rom gekommen. Rom hat dir den Tod gebracht.“ Er ballte seine Hände mit Kraft zur Faust. Da Piso kein besonders starker Mann war, und seine Fingern;agel kurz gehalten waren, bohrten sich jene auch nicht theatralisch ins Fleisch hinein, sondern hinterließen nur kleine Dellen in der Haut. “Ich hätte dich zurückschicken sollen. Ich hätte dich nicht hier belassen sollen.“ Seine Mundwinkel bebten, als er von Neuem aufschluchzte.
    Jede Trauer war im Grunde zu großem Maße Selbstmitleid, und so war es kein Wunder, wenn man Piso kannte, dass er so sehr trauerte. Er hatte Vera einfach geliebt. Weil sie ihn so geliebt hatte wie niemand sonst. Seine kleine Vera, so zart, so zerbrechlich, so wundervoll. Bilder aus Kindheitstagen zogen an ihm vorbei. Manche kitschig-süßlich, manche ernsthaft – wie zum Beispiel, als sie beide als Kinder vorm Grabe ihrer Mutter standen und sich gegenseitig in den Armen lagen und weinten. Piso hätte mehr Zeit mit ihr verbringen sollen, er hätte sie einfach auf seinen Reisen mitnehmen sollen und nicht ihr erlauben sollen, am griechischen Festland ihr eigenes Ding zu drehen. Oh Vera, dachte sich Piso, nie wieder wird es eine wie dich geben, nie wieder. Jetzt hatte er keine Vera mehr.
    Alleine schon dieser Gedanke zwang ihn zu einem erneuerten zwanghaften Aufheulen, welches einer Heulboje zur Ehre gereicht hätte. Er überhörte das Klopfen, er spürte nur, wie sich auf einmal eine Hand auf ihn legte. Er blickte auf aus seinem Jammertal. Es war Nigrina, sie war hier, der Flavier konnte sie schemenhaft aus seinen verheulten Augen erkennen. Piso blickte sie an aus geröteten Augen, seine Lider waren verquollen, seine Wangen tränennass, sein Haar zerzaust ob der vielen Male, während der er sich durch die Haare gestrichen hatte, verzweifelt, Halt suchend und doch keinen findend.
    Mit einer ungeschickten, tollpatschig erscheinenden Körperbewegung stand er auf und blickte ihr geradewegs in die Augen – geradwegs war gut gesagt, Nigrina war um Einiges kleiner als Piso. Dann umschlang er sie mit seinen Armen und heulte in ihre linke Schulter hinein. “Sie ist tot. Sie ist toooooot!“, schluchzte er und durchnässte ihr sicherlich kostbares, aber von Piso nicht wahr genommenes Geschmeide. Langsam hob er seinen Kopf auf. “Was soll ich jetzt bloß machen? Was soll ich denn jetzt bloß machen?“, fragte er in der verheulten und verzweifelten Tonlage eines Mannes, der die Verantwortung für den aetischen Familienzweig der Flavier in Rom hatte, aber keine Ahnung hatte, wie man auf einen Härtefall wie diesen reagierte, und sich deshalb an seine Schwester wenden musste.

  • Mit versteinerte Miene musterte Nigrina den Leichnam ihrer Schwester. Man sah ihr nicht wirklich an, dass sie tot war. Bleich und regungslos wie die ganzen letzten Wochen lag sie da. Lediglich dieser schwache, kaum wahrnehmbare Hauch, der ihre Brust gehoben und gesenkt hatte, fehlte nun, aber selbst das war so schwach gewesen in den vergangenen Tagen, dass man es nur gemerkt hatte, wenn man Vera nahe gekommen war. Piso hingegen sah furchtbar aus – und bildete gerade deshalb ein krasses Gegenstück zu Vera ab. Zu sagen, er sehe aus wie das blühende Leben, mochte nach Hohn klingen, aber für Nigrina war es so – in seiner Trauer, die er so deutlich nach außen trug, die er offenbar nicht einmal im Ansatz kontrollieren konnte, und mit der toten, bleichen, kalten, regungslosen Vera neben ihm, wirkte Piso so lebendig wie selten ein Mensch.


    Nigrina hielt seinem Blick stand, als er sich erhob, aber das musste sie nicht lang, schloss Piso sie doch im Überschwang seiner Gefühle in die Arme. Und wie so häufig, wenn er das tat, hätte Nigrina am liebsten einen Schritt zurück gemacht. Sie hatte nichts gegen körperliche Nähe – sie hatte nur etwas gegen diese Art von körperlicher Nähe. Der gefühlsduseligen Art. Sie konnte damit nichts anfangen. Und sie fühlte sich immer etwas unbeholfen, wenn Piso das tat, schlicht aus dem Grund, weil er ihr Bruder war und sie ihn nicht einfach fortstoßen konnte, jedenfalls nicht in einem Moment wie diesem. Er würde es nicht verstehen. Er würde es nie verstehen, in keiner Situation, aber in jetzt, in diesem Augenblick, erst recht nicht. Er würde es ihr wohl nicht einmal verzeihen. Und so blieb sie stehen, beinahe so regungslos wie Vera auf dem Bett lag, abgesehen von ihren Armen, die sich leicht hoben und auf Pisos Oberarme legten. „Sie muss für die Aufbahrung vorbereitet werden“, antwortete sie, beinahe unnatürlich ruhig, auf seine Frage, wohl wissend, dass es nicht das war, was ihr Bruder gemeint hatte. „Wir brauchen Frauen für die Totenklage. Und du solltest einen Libitinarius holen, der sich um die Bestattung kümmert.“

  • Während Pisos Weinen sanfter und leiser wurde, hatte er sich doch mittlerweile schon verausgabt, lag er noch immer in Veras Armen, so gut man eben in jemandes Armen liegen konnte, wenn die Arme, in denen man zu liegen versuchte, nur auf den eigenen Oberarmen auflagen. Auf seine verzweifelte Frage kamen, wie zu erwarten, nüchterne Antworten. Antworten aber, die nützlich waren, nicht, weil Piso als Priester nicht gewusst hätte, wie eine Aufbahrung ablief, sondern weil sie ihm etwas gaben, woran er sich hängen konnte. Sich anhalten. Drei Schlagworte – Aufbahrung, Klagefrauen, Libitinarius. Drei Worte, die in einem Zusammenhang mit der realen, echten Welt lagen. Drei Worte, die Piso etwas sagten, um deren Umsetzung er sich kümmern konnte – konnte im Sinne von physisch imstande sein. Er nickte, noch immer verheult, und nahm einen Arm von ihr herunter, um damit schniefend über seine Augen zu fahren. “Ich... ich habe es kommen sehen, und doch meine Augen davor verschlossen. Bis zum letzten Moment dachte ich, alles würde gut werden. Ich... du hast Recht. Du hast Recht. Ich muss mich um die Aufbahrung kümm... kümm... Veras Aufbah...“ Er begann wieder zu weinen und drückte Nigrina ganz fest an sich, wie ein weiches Spielzeugtier, das zum Knuddeln einlud. “Sie ist tot...“, brachte er noch leise hervor. Er fühlte sich kurz vor der Ohnmacht, vor Schock, vor Verausgabung. Er blinzelte kurz dreimal und löste seine Arme von Nigrina.
    “Ich... ich muss wirklich... ich schicke wen zum Libi... Libitinarius... einen Sklaven... und Klagefrauen wird man auch auftreiben... einbalsamieren... wir brauchen Balsam... Öl... wir müssen alle verständigen im Haus... Klienten... und so... oh Vera... sie ist tot...“ Seine Stimme erstarb. Pisos Bild war ziemlich genau das Gegenteil von Ästhetik, als er seine Hände vors Gesicht schlug und dann begann, zur Türe hinzustolpern. Vor lauter innerer Agonie vergaß er aber, sie zu öffnen, und knallte in seinem ganzen miserablen Zustand voll dagegen, mit dem Kinn zuerst.
    “Aua...“, beklagte sich der Flavier, der begann, am Griff herumzufummeln, jedoch ohne Erfolg zunächst. Doch dann öffnete sich die Türe doch noch, und der Flavier stolperte hinaus in den Flur, Nigrina mit der Toten zurücklassend.


    Sim-Off:

    Ich mache das mit der Aufbahrung dann noch auf, und zwar morgen. ;)

  • Piso beruhigte sich ein wenig, was Nigrina erleichterte, auch wenn sie dann doch nicht eingebildet genug war um anzunehmen, das würde an ihrer Anwesenheit liegen. Oder gar ihrer nicht vorhandenen Fähigkeit zu trösten. Sie hielt einfach still, während er ruhiger wurde, und nickte nur leicht, als er sich ein wenig löste und zu sprechen anfing. Dass er es nicht hatte kommen sehen, nicht hatte kommen sehen wollen, war ihr klar gewesen. Es war nicht schwer gewesen, das anzunehmen, bei Piso. Er hatte einfach gewollt, dass Vera es schaffen würde, wie schon häufiger in der Vergangenheit – und er hatte die Augen vor der Tatsache verschlossen, dass es diesmal weit schlimmer war als sonst. Aber Nigrina hatte es irgendwie auch nicht als ihre Aufgabe gesehen, ihm das vielleicht vorher klar zu machen. Aber immerhin kam nun etwas Aktivität in ihn. Er bestätigte ihre Worte, mit tränenschwerer Stimme zwar, aber immerhin schien er zu begreifen, dass es etwas zu tun gab. Nigrina wollte schon aufatmen und sich vorsichtig lösen, als er wieder begann zu weinen und sie zu drücken. „Ja“, antwortete sie leise. „Sie ist tot.“ Was sollte sie auch sonst sagen, außer das Offensichtliche zu bestätigen? „Wenn ich dir bei etwas behilflich sein kann, gib mir Bescheid. Ich werde hier bleiben“, murmelte sie, als Piso sich nun endgültig von ihr löste. Sie zuckte zusammen, als ein Knall ertönte, und drehte sich noch gerade rechtzeitig um um zu sehen, dass Piso gegen die Tür geknallt war, weil er sie nicht geöffnet hatte. Für einen Moment fassungslos schüttelte Nigrina den Kopf, dann wandte sie sich wieder Vera zu. Starrte sie für Augenblicke nur an. Sie sollte auch trauern, das wusste sie, sollte Veras Namen rufen und die Totenklage anstimmen, aber dazu sah sie sich nicht in der Lage. Wenn alles seinen offiziellen Gang ging, wenn andere Menschen anwesend sein würden, würde sie immer noch eine Maske aufsetzen können und vorgeben etwas zu sein, was sie nicht war. Vera war ihre Schwester gewesen, das stimmte. Aber Nigrina war nicht der Typ, der allzu viel in derartige Beziehungen investierte, das war sie noch nie gewesen. Und die Atmosphäre des Todes in diesem Raum zehrte an ihren Nerven. Der Tod kam, wenn es so weit war, aber bis es bei ihr so weit war, wollte sie ihn nicht in ihrem Leben haben, wollte ihm so wenig Raum wie möglich geben. Sie war noch am Leben, und es war ihr Leben. Kein Tod, auch nicht der Veras, konnte ihr das nehmen. Nigrina bewegte sich zum Kopfende des Bettes und strich ihrer Schwester sacht über die Haare, dann über das Gesicht. „Ich bin am Leben“, murmelte sie. Und Vera nicht mehr. So war nun mal der Lauf der Dinge.


    Als kurze Zeit später die ersten Sklaven herein kamen, gab Nigrina ihnen beherrscht Anweisungen, was sie wie zu tun hatten, wählte Veras bestes Kleid aus, das ihr nach den Waschungen angezogen werden sollte, und blieb, wie sie es Piso versprochen hatte, obwohl sie lieber gegangen wäre, um den Tod hinter sich zu lassen und ihr Leben zu feiern.


    Sim-Off:

    Okay :)

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