Officium AFP | Die Geheimnisse der Lebenspfade

  • Die Türe zeichnete sich nicht nur durch ihre schöne Maserung im Holz, sondern auch durch das Klopfen aus, welches Piso aus seiner Arbeit – es ging um Kultisches – heraufschrecken ließ. “Herrrrrrein?“, rollte er das R. Wie aufgefordert, stolperte Phoebus hinein. “Herr, die ehrenwerte Iunia Axilla.“ Mit einem Wat-willn-die-hier-Gesichtsausdruck starrte Piso auf Phoebus, dann nickte er. Sie soll reinkommen.
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Axilla, nachdem sie eingetreten war. Sie hatte sich heute was Passenderes angezogen als an jenem destaströsen Abend. Nun, es war nicht so, dass er Damenkleidung nicht risqué schätzte. Aber Axilla als Witwe seines besten Kumpels war ein Sonderfall. Die hatte gefälltigst in Sack und Asche zu erscheinen! So! “Salve, Axilla!“, machte Piso nach einem kritischen, aber dann doch noch befürwortenden Blick über Axillas Aufmachung. “Wie kann ich dir behilflich sein?“, machte er freundlich. Ja, freundlich. Denn obwohl Piso Axilla für einen leicht schlampigen und doofen Charakter hielt, hatte sie doch etwas Ästhetisches in ihrem Erscheinungsbild an sich, etwas Ästhetisches, das ein Flavius Piso nicht übersehen konnte.

  • Geradezu gespenstisch aufrecht und mit ungerührter Miene betrat Axilla den Raum. Sie wollte ganz sicher nicht hier sein, und sie machte sich auch nicht die Mühe, darüber hinwegzutäuschen und so zu tun, als würde sie sich wirklich freuen, Piso zu sehen. Sie freute sich ganz und gar nicht, und wenn sie einen anderen Weg sehen würde, sie würde ihn gehen. Aber soviel war sie Archias doch noch irgendwie schuldig, dass sie wenigstens dieses eine Mal versuchte, Piso zu informieren.
    Dass dieser einen freundlichen Tonfall hatte, bemerkte Axilla durchaus. Aber dieser konnte auch nicht darüber hinwegtäuschen, was sich in Axilla als festes Wissen etabliert hatte: Piso hasste sie. Davon war sie felsenfest überzeugt. Noch bevor sie und Archias geheiratet hatten, hatte er sie gehasst. Gut, sie konnte sogar verstehen, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn Archias Seiana geheiratet hätte, aber dennoch. Es war ja nicht das einzige. Als sie geheiratet hatten, bei Axillas erster Cena, die sie gegeben hatte für die Freunde, als Archias und sie davor mit Piso geredet hatten, hatte er sehr deutlich gemacht, dass er sie nicht für würdig hielt. Er hatte sie wie Luft behandelt und über sie geredet, als wäre sie gar nicht im Raum! So lange, bis Axilla schließlich stocksauer hinausgegangen war, denn auch Archias hatte sich natürlich nicht dazu herabgelassen, sie zu verteidigen und zu ihr zu stehen. Bei weiteren Treffen zwischen Archias und Piso war sie dann wohlweislich nicht mehr. Und nach Archias Tod war es noch viel schlimmer geworden, mit einem letzten Gipfel bei der Sponsalienfeier zwischen dem Aurelier und Nigrina. Axilla hatte also allen Grund, davon auszugehen, dass Piso sie hasste, und sie hatte keinen Grund, freundlich zu ihm zu sein.
    Da er ihr keinen Platz anbot, blieb sie auch stehen, so steif, als hätte sie einen Stock verschluckt. Sie drehte sich leicht von ihm weg, so dass er nur ihre Profilansicht zu sehen bekam, und heftete ihren Blick ziemlich emotionslos an die Wand.
    “Salve, Flavius. Da mein Mann dich als Testamentsvollstrecker eingesetzt hat, sehe ich es als meine Pflicht an, dich zu informieren.“ Sie hatte die Rede geübt. Mehrfach. Und so hörte sie sich auch an. “Wie dir bekannt ist, hat der Praefectus Urbi das Vermögen von Archias beschlagnahmt – inklusive unserer Erbteile und meiner Dos. Ich habe bereits an den Kaiser diesbezüglich geschrieben und habe versucht, zum Praefectus Urbi vorgelassen zu werden. Allerdings verweist mich sein Scriba nur an die kaiserliche Kanzlei und das Officium für Rechtsfragen und gestattet mir nicht, ihn selbst nach den Gründen zu fragen. Geschweige denn, meine bitte vorzubringen, er möge das Erbe freigeben.“
    Irgendwas hatte sie vergessen. Kurz musste sie überlegen und ihr Blick senkte sich dabei zu Boden. Verdammt, sie wusste es nicht mehr. “Das... ähm, das wollte ich dir nur mitteilen.“ Gut, der Abschluss war nun nicht ganz so perfekt geworden.

  • “Flavius?“, war das erste, was Piso von sich gab, nachdem er relativ ungläubig auf die vor ihm stehende, stur die Wand neben ihn anstarrende Axilla ihre Rede hindurch taxiert hatte. Und auch noch 2, 3 Sekunden hernach. “Häh?“, krächzte er. Nun gut, es gab wahrlich Intelligenteres, was man sagen konnte in einer solchen Situation. Piso als Künstler von Schrot und Korn hätte sicher etwas, nun ja, Äthetisches sagen können. Aber er fühlte sich überrumpelt. Anstatt dass sie wenigstens ihm, der sich die Mühe gemacht hatte, ihren Ehemann abzufackeln, ohne dass dadurch der Sauhaufen entstand, der sich normalerweise dort auszubreiten pflegte, wo Axilla herumkurpfuschte, sein Lächeln entgegnete, benahm sie sich wie ein Bock.
    “Axilla! Wieso nennst du mich so? Ich bin’s, Piso!“ Sein Blick war die Verständnislosigkeit an sich, komprimiert auf zwei graue Augen. “Mensch, setz dich doch!“ Er formte mit seiner Hand einen anachronistischen Fußball in der Luft. Ja, er hatte es wohl vergessen, ihr einen Sitz anzubieten... aber er hatte sich erwartet, dass sie sich einfach hinsetzte. Natürlich war Piso nicht der größte Freund von Axilla. Er fand, sie war ein dubioses Frauenzimmer. Unterbelichtet und recht unfähig. Für einen heißen Abend im Bett genau richtig. Aber nichts zum Heiraten. Im Gegensatz zu Seiana, die Piso von Grund auf sympathisch war.
    Und dennoch. Der Witwe seines besten Freundes gegenüber fühlte Piso eine Verpflichtung. Warum, würde er selber kaum beschreiben können. Vielleicht, weil Axilla außerordentlich hübsch war – wäre sie hässlich, wäre sie wohl kaum an Acanthus vorbeigekommen, dann hätte sich der Ianitor mit ihrer Wüstheit herumschlagen müssen. Dem war aber nicht so. Und außerdem, er hatte das Gefühl, dass Archias gewollt hätte, dass er sich um Axilla kümmerte nach seinem Tod. Gewiss war dies das gewesen, was er ihm in seiner Wachstafel, die Piso verschlampt hatte, mitteilen wollte.
    Es galt also, Augen zu und durch. Vor allem, da jetzt, wo Piso mal seine Gedanken frei machte für das, was sie gesagt hatte, auch in sein Gehirn ihre Worte durchsickern lassen. Samt dem ziemlich antiklimaktischen Ende.
    “Ah...“, entfleuchte ihm eine weitere hochgeistige Äußerung. “Du hast... dem Kaiser geschrieben?“ Er legte seine Hände nach vorne. Und begann, seine beiden Daumen aneinander kreiseln zu lassen. “Dem Kaiser...“ Dem Flavier schoss das Bild des Kaisers durch den Kopf. Krank. Vor seinem Tisch. Während Pisos Ausführungen einschlafend, verdammt noch mal! “Ich... hmm...“ Man musste ja ein Kavalier sein. Oder so. “Ich muss dir danken, dass du das getan hast, Axilla. Auch wenn es nichts genützt hat“, machte er, absichtlich abermals ihren Cognomen benutzend. Dann kratzte er sich am Kopf.
    “Vescularius Salinator. Ein schrecklicher Mensch. Stur wie ein Ochse. Und ungehobelt wie ein germanischer Bauer.“ Er blickte sie, nach Worten ringend, an, bevor er aus sich herausstotterte: “Muss ich selber jetzt wirklich zu ihm gehen? Selber?“ Denn das, so dachte er sich, war wohl das, was Axilla von ihm erwartete. Wieso war sie sonst hier? Pisos Gesicht konnte man wohl ansehen, dass er kaum erbaut war, diesen Banausen wieder zu sehen.
    Er blinzelte kurz und seufzte dann tief. “Ach ja, weil du schon hier bist, ich wollte dir noch was sagen. Tut mir Leid. Wegen der Sache mit Flaccus.“ Betrunkene Ideen stellten sich gerne am Abend danach als besonders beschissen heraus. Und so lächerlich, zwar wirklich nicht hassenswert - es gab da echt komplett andere, für die Piso seinen Hass aufsparte -, aber trotzdem einfach nur doof und wohl auch herabschauenswert Axilla Piso vorkam, es war jetzt nicht die tollste Idee des Jahrhunderts gewesen, seinen Frust über Nigrinas Verlobung gerade an ihr auszulassen. Was hätte Archias da bloß gesagt? Er wäre nicht sehr erbaut gewesen. Ne, das war vielleicht nicht so toll gewesen. Während in seinem Schädel eine Stimme hochmütig trompetete, dass ein Patrizier sich niemals bei einer bloßen Plebejerin entschuldigen sollte, und eine andere aber zurückfauchte, dass Pisos Mutter selber Plebejerin gewesen war und er sich für seine Nettigkeit nachher auf die Schulter klopfen sollte, redete sich Piso selber ein, dass es das Ästhetische gewesen war, dies zu tun.

  • Auch, wenn er jetzt wieder freundlich tat, Axilla blieb kerzengerade. Als Piso ihr einen Stuhl anbot, setzte sie sich zwar, aber so akkurat und korrekt, dass man beinahe schon glauben mochte, jemand habe sie ausgetauscht. Und noch immer blieb ihr Blick stur auf die Wand gerichtet, ebenso kerzengerade wie alles andere an ihr. Das Lächeln zu erwidern wäre ihr nicht einmal dann in den Sinn gekommen, wenn sie es wirklich registriert hätte. Oder gesehen hätte, wie der Flavier sie jetzt gerade ansah.
    “Ja, ich weiß, wer du bist“, entgegnete sie nur reichlich emotionslos im Hinsitzen, als er sie so erschrocken ansprach. Was hatte er denn gedacht? Dass sie sich in der Tür geirrt hatte? Nein. Endlich war Axilla so weit, zu erkennen, dass sie hier an eine Grenze gestoßen war. Piso war es egal, wenn sie ihn freundlich anlächelte. Ihm war es egal gewesen, dass sie seine Freundschaft gesucht hatte, um Archias Willen. Ihm war es ebenso egal gewesen, dass sie mit Archias befreundet war, als er sie betrunken gemacht und ins Bett geschleift hatte. Im Grunde war ihm alles an ihr egal, so glaubte sie, zu wissen. Das einzige, was offenbar zählte, war völlig korrekte Gefühlskälte. So, wie Seiana sie an den Tag legen konnte. Und die war ihm nicht egal gewesen. Und genau das bekam er jetzt auch, und nichts anderes.


    Als er anfing, zum Brief an den Kaiser etwas zusammenzustammeln und zu ergründen, was sie denn von ihm wollte, musste Axilla noch einmal einhaken. “Ja, dem Kaiser. Ich habe in dem Brief auch erwähnt, welch große Hilfe du bei der Beisetzung von archias warst und dass es wohl eine gute Idee wäre, dich zum Senator zu ernennen. Aber“, bevor er hier ihr ins Wort fallen konnte, hob sie gleich die Hand und gebot so Schweigen. “... da er den Brief wohl ohnehin nicht gelesen hat, erübrigt es sich wohl auch, mir hierfür irgendwie Dank auszusprechen. Verzeih mir, falls dieses Vorgehen ohnehin zu forsch war. Bevor du mich bei der Sponsalia über die Art unserer... Bekanntschaft aufgeklärt hast, war ich einigen irrigen Annahmen unterlegen.“
    Es fühlte sich falsch an, so zu reden. Ganz und gar falsch. Das war nicht sie. So redete Axilla eigentlich nicht. Nie. Und es fühlte sich an, als würde sie diesen anderen Teil, den sie eigentlich selber von sich lieber mochte, langsam mit einem dicken Kissen fein säuberlich ersticken, um ihn anschließend in Stücke zu hacken und an die wilden Tiere zu verfüttern. Es fühlte sich kurz gesagt entsetzlich an, aber dennoch konnte Axilla in dieser Situation nicht anders. Es war ein Schutz, den sie aufbaute, um sich ja keine Blöße zu geben und sich wieder in eine Lage zu bringen, in der Piso sie angreifen konnte. Axilla hatte viele Fehler. Sogar verdammt viele Fehler. Aber den Fehler, einen Fehler zweimal zu machen, nur sehr bedingt.


    Er sprach von Salinator, und wie dieser Mann war. Abgesehen von ein paar eher höflichen Blicken in seine Richtung hatte Axilla bislang nur die Wand angeschaut. Lediglich bei 'germanischer Bauer' blickte sie einmal fast schon reflexartig in seine Richtung und sah ihn einen Moment lang streitlustig an. Es war ein Reflex, den Axilla nicht unterdrücken konnte, so gern sie auch wollte.
    So oft hatte sie mit Archias wegen Vala gestritten. So oft hatte sie ihn verteidigt, wenn ihr Mann ihm wieder irgendwelche Mordpläne oder ähnlich wirres Zeug unterstellt hatte. So oft hatte sie davon geredet, wie edel und gut Vala eigentlich war. Es war wie ein Reflex, der einfach auslöste, auch jetzt bei Piso, wenn jemand diese Wendung benutzte. Ein 'Vala ist nicht so' lag ihr schon auf der Zunge, ehe ihr ein paar Dinge wieder bewusst wurden. Das hier war nicht Archias, der sich über Vala ausließ. Das hier war Piso. Und es ging auch nicht um Vala. Und selbst, wenn es um diesen gegangen wäre, sie hätte sich wohl bei ihren Worten verschlucken müssen. Vielleicht war Vala nicht so, aber Vala war auch nicht so, als dass er überhaupt Notiz von Axilla nahm. Sie war niemand. Und er nun in Mantua, sein Militärtribunat ableisten. Sie hatte den Bericht der Acta selbst Korrektur gelesen. Es gab nichts, was sie verteidigen sollte. Auch nicht reflexartig.
    Und doch verpasste es ihr noch einen Stich, der sie, weitaus weicher und verletzter, zu Boden schauen ließ.
    “Ich denke nicht, dass du mit ihm reden musst. Ich wollte Tiberius Durus um juristischen Rat fragen, was man tun könnte. Ich will zumindest meine Dos zurück haben. Und die Sklaven, denen Archias die Freiheit versprochen hatte.“ In ihrer Stimme hatte sich etwas geändert, was kaum zu überhören war. Axilla war traurig, das ließ sich nicht leugnen, und sie kämpfte um die Gefühlskälte, die sie eben noch besessen hatte.
    Sie räusperte sich und bemühte sich um eine geradere Haltung. Doch gerade, als sie meinte, sich wieder gefangen zu haben, kam Piso danna uf einmal mit einer Entschuldigung bezüglich Flaccus heraus. Jetzt schaute sie ihn doch noch einmal an, und einen Moment lang kämpften Wut, Verletztheit und erstaunen in ihrem Gesicht. Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, und sah dann doch wieder beiseite. Lediglich in ihren Händen ging der Kampf noch etwas weiter, wo sich ihre Hände leicht zu Fäusten ballten. “Ich weiß nicht, was du meinst. Er und ich hatten Gelegenheit, unser Gespräch fortzusetzen und werden selbiges wohl auch noch öfter tun. Und mehr ist das ohnehin nicht.“ Und wenn doch, würde sie es ihm ganz sicher nicht sagen. Axilla hing an ihrem Kopf. Sie hatte ihn schon so lange und hatte sich an ihn gewöhnt.

  • Hä? Piso wurde aus dieser Frau nicht mehr klug. Hatte er nicht einmal beschlossen, sie nicht mehr ernst zu nehmen? Oder doch nicht? Nun, falls er ihn noch nicht gefällt hatte, wäre es wohl an der Zeit, dies zu tun. Axilla Verhalten war seltsam. Natürlich, Seiana würde sich auch so verhalten. Doch Seiana... sie hatte etwas Aristokratisches an sich. Etwas Hochedles. Sie war der exquisite kampanische Falerner, in der Klasse direkt unter dem Götternektar – dessen weibliche Repräsentenz auf Erden nach Piso eindeutig Prisca war -, und Axilla... nun ja, Axilla war der billige Heckenklescher, bei dem man laut „brrr“ machte, wenn man ihn trank, und zwar wohl ausschließlich, um sich in die Besinnungslosigkeit zu saufen. Es passte nicht zu so einem Gesöff, sich zu benehmen wie ein edler Tropfen. Natürlch hinkt diese Analogie enorm, und die ganze Sache war viel komplizierter – aber sie war die beste, die Piso sich in den Bruchteilen der Sekunde erdenken konnte, in dem auch ihm zufälligerweise Seiana durchs Gehirn schoss. Und zwar in dem Kontext, was gewesen wäre, wenn sie Archias geheiratet hätte. Sicher hätte sie es nicht zulassen, dass er sich vom Felsen stürzte. Axilla hingegen... wer wusste, ob sie ihm nicht den letzten Schubser gegeben hatte? Piso ließ diesen gedanken in sein Hirn schlüpfen, da er spürte, dass ihr Verhalten ihn nervte.
    Nicht nur nervte, es war mehr als das. Als sie ihn anblaffte, was den Brief anging, verzog Piso den Mund, als ob eine Fliege sich an seine Unterlippe gesetzt hätte. Sein Lächeln war nun weg, verschwunden. Axilla, ihn erwähnt in einen Brief an den Kaiser? Was? Ja, er wollte sprechen. Er wollte etwas sagen, aber schlussendlich rang er sich doch dazu durch, die emporgehobene Hand von Axilla zu respektieren. Er lehnte sich zurück und blickte Axilla noch immer konfus an, wobei sich zu jener Konfusion auch noch Widerwillen dazugesellte. Piso war nicht sonderlich gut darinnen, kalt dreinzuschauen. Die Eisprinzennummer lag ihm nicht sonderlich. Er war halt kein kalter Mensch. Aber was er konnte, war grantig dreinzublicken, und das tat er nun.
    Piso betrachtete sich selber als zivilisierten Menschen. Er ließ Axilla also folgerichtig ausreden. Zu Durus wollte sie jappeln? Sollte sie. Auch wenn sich Piso in seiner Anwaltsehre beleidigt sah, dass er nicht zum Zuge kam. Er ließ sie also ausreden. Sah etwas erstaunt, wie sie Fäuste ballte. Ließ seine Nase zucken, als sie auch seine zweite Entschuldigung ablehnte. Was für eine Unfreundlichkeit. Was für eine Unverforenheit! Er hatte doch nicht fiel getan. Er hatte Axilla angelallt. Wenn er etwas getan hatte, dann hatte er ihre Tugend gerettet – oh ja, Piso war gut darin, sich etwas in Windeseile einzureden.
    Dann atmete er kurz ein und aus. Und stand dann auf. So abrupt, dass hinter ihm der Stuhl klappernd zu Boden fiel. Verärgert fixierte er Axilla
    “Ja, Götter nochmal. Zuerst einmal, lass deine hirnlosen Drohgebärden.“ Er deutete auf ihre Fäuste. “Also. Soll ich dir die Füße ablecken, damit du dich dazu herablässt, mich nicht hier, im Haus meiner Ahnen, zur Schnecke machen zu wollen? Denkste. Weißt du was? Vergiss, was ich dir gerade an netten Worten gesagt habe. Wenn meine Entschuldigungen nur mit Beleidigungen und blödem Gerede, dass dir doch kein Mensch abkauft, beantwortet werden, kann ich locker darauf verzichten, freundlich zu dir zu sein. Locker! Du – mich in einem Brief an den Kaiser erwähnen – wohl aus reiner Freundlichkeit. Ja, diese Freundlichkeit kann ich wohl sehen. Der Benimm von deinem sauberen Spezialfreund Duccius Vala hat wohl auf dich abgefärbt.“ Wenn erst einmal Vala ins Spiel kam, war mit Piso nicht mehr gut Kirschen essen. Durch die diffusen Schleier, die die Verlobung in seinem Gedächtnis war, kam ihm die Erinnerung, dass sie sich in einer allerherzliebsten Geste an Duccius hinangeschmissen hatte. Oh ja, einen tollen Freund hatte sie da sich geschnappt.
    Dessen erstklassigen Manieren man ja bei den Flaviern gesehen hat, bei der Verlobung. Wie war das nochmal? Axilla ist niemand. Nett, nett , dachte sich Piso. Er hatte es gehört. Oder hatte es ihm ein Sklave mitgeteilt? Nun, wusste er nicht mehr. Aber egal. “Lass uns zu dem kommen, was ich wissen will. Und zwar: was genau willst du von mir?“
    Piso hatte den akuten Verdacht, dass sie ihn mit seinen Ländereien erpressen wollte. Sie wollte, dass er vor ihr buckelte, damit er auch brav sein Ländchen bekommen konnte. Aber diesen Verdacht sprach er nicht aus, sondern wartete ihre Antwort ab.

  • Drohgebärden? Im Ersten Moment war Axilla so erschrocken über den plötzlichen Ausbruch ihres Gegenübers, dass sich ihr Hirn an diesem einen Wort kurz festfraß, als wäre das ein Rettungsanker. Die Situation war absurd. Axilla machte doch gar keine Drohgebärden! Erst jetzt bemerkte sie selber, dass sie immer wieder die Fäuste geballt hatte. Aber nicht, um Piso zu drohen, sondern aus innerer Anspannung heraus. Und gerade, als sie ihre Deckung der Unnahbarkeit hatte fallen lassen, gerade, als sie ein wenig Schwäche und Menschlichkeit gezeigt hatte, als sie annähernd gewillt war, Piso vielleicht nicht zu verzeihen, aber darüber hinwegzugehen, gerade da stand er nun und blaffte sie an. Bedrohte sie. Warf ihr Beleidigungen entgegen und plusterte sich auf wie ein Gockel.
    Und irgendwas in Axilla machte 'klick'. Als hätte jemand den Auslöser des Katapultes betätigt, schwappte in ihr eine Welle an Zorn hoch. Zorn auf diesen eitlen Geck, der sich hier so aufspielte. Der jede Freundlichkeit ihr gegenüber zurücknahm und sie offen mit Verachtung bedachte. Der alles, was sie gesagt hatte, als blödes Gerede abtat. Und der dann den Fehler machte, Valas Namen in der Art und Weise zu erwähnen, wie er es tat.
    Es dauerte exakt die eine Sekunde, in der Piso sie anblaffte, was sie von ihm erwartete, bis sich ihre Wut manifestierte. Axilla stand schwungvoll auf. In der Bewegung, ein einziger, fließender Ablauf, verlagerte sich gleich ihr Gewicht auf den linken Fuß, der nur diese Winzigkeit vor der rechten stand, und vor, über die Körpermitte, das Gewicht nur auf diesem einen Ballen. Ihre rechte Hand, zur Faust geballt, folgte dem Schwung und traf Piso in einem sauberen Schwung am Kinn, in dem Moment, als ihr Schwerpunkt den vordersten Teil ihrer Bewegung erreichte. Axilla war vielleicht nur halb so groß und halb so schwer wie Piso, dafür aber mindestens doppelt so wütend. Und sie wusste, wie man einen Schlag ansetzte, ihr Vater hatte es ihr gezeigt, als sie klein war. 'Wenn du dich gezwungen siehst, zuzuschlagen, dann mach es richtig', hatte er gesagt, hatte ihr gesagt, dass sie ihr Gewicht in den Schlag legen musste, dass sie nicht nur statisch dastehen sollte. Und dass nur Mädchen mit der flachen Hand zuschlugen, ein echter Kerl aber mit der Faust. Und auch, wenn Axilla de facto ein Mädchen war, in dieser Beziehung war sie wohl doch ein echter Kerl. Und Piso hatte es verdient!


    “Du blöder Affenarsch!“ entfuhr es ihr noch weniger damenhaft. Aber sie war sauer. Und ihre Hand tat verflucht weh, einer ihrer Knöchel blutete ein bisschen. “Ich bin nur hierher gekommen, weil Archias dich als Freund gesehen hat! Auch, nachdem ich ihm gesagt habe, was du mit mir gemacht hast! Nur deswegen! Ich will rein gar nichts von dir! Nie!“
    Ihre Stimme hörte sich seltsam unbekannt in ihren Ohren an, so laut und so kraftvoll, irgendwie verzerrt. Vielleicht war das aber auch nur das rauschende Blut in ihren Ohren, das erst jetzt, nachdem sie ihn angebrüllt hatte, langsam weniger rauschte. Dafür tat ihre Hand umso mehr weh. “Es war ein Fehler, hierher zu kommen. Es wird nie wieder vorkommen.“ Sprachs und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen. Sie war hier fertig, ein für alle Mal.

  • So, das war jetzt eine Tirade, dachte sich Piso, die ihren Namen verdiente! Ah, er konnte es schon sehen, wie sie dieses doofe Mädchen, denn das war sie, zur Raison brachte. Piso gefiel sich als Erzieher des Menschengeschlechtes. Er sah sich in einer Position als Oberlehrer gegenüber Subjekten, die seiner Weltvorstellung zuwiderliefen. Er konnte sich arrangieren mit vielen Einstellungen von Leuten gegenüber der Taxonomie der Ästhetik, aber manches war inakzeptabel. Vor allem von einer Frau, die als Sexualpartnerin wohl in Zukunft total nicht mehr in Frage kam. Schon alleine, weil er bald heiraten würde.
    Nach seinem Monolog, stellte er sich vor, dass sie wohl zur Besinnung gebracht worden ja. Genau, wer erstaunte nicht von seinen schöngeistigen Reden? Es musste wohl ein kompletter Ignorant sein, der das Genie seiner Worte nicht...
    ZACK.
    Das kam unerwartet.
    “Gnnnnnnn!“, machte der Flavier durch seine durch den urplötzlich kommenden Kinnhaken zwangsläufig zusammengepressten Zähne, als er sich selber mit üh und Not davon abhielt, zu Boden zu fliegen. “B... b... b... BLLLLLEEEJACH!“, schaffte er zu formen.Natürlich war das kein richtiges Wort, bis auf seine eher rein zufällige Ähnlichkeit mit dem Wort Blech, welches natürlich keine Relevanz zu diesem Geschehnissen hatte.
    Rein instinktiv untersuchte sich Piso erst einmal selber, während Axilla ihn mit Schimpfworten eindeckte. “Gmmffff“, brachte er nur hervor, während er sein Kinn nach Blut untersuchte. Und etwas fand, keine große Wunde, aber ein kleiner Riss durch die Haut, wie ein Riss durch das ästhetische Sein. Ahhh, schrecklich war das! Schrecklich!
    Erst jetzt kam es ihm, dass er vielleicht besser dran sein würde, irgendwas zu sagen. Sie war nur hierher gekommen, weil Archias ihn als Freund gesehen hatte? Seine Augenbrauen zogen sich zu einem erbosten V zusammen.
    “Halte Archias aus dem Spiel, hörst du? Den armen Tropf, den du ausgenommen hast wie eine Gans zu den Saturnalien! Hätte er doch auf mich gehört und Seiana geheiratet! Du blödes, ungesalzenes Gör! Scher dich zum Tartarus!“, brachte er hervor, während seine Augen vor Zorn blitzten. “Geh dich brausen!“, fügte er hinzu, während seine Hände wie unkontrolliert zuckten. Doch das war redundant. Er musste das nicht mehr sagen. Sie ging eh schon. Sie verließ sein Zimmer.
    Piso drehte sich um und richtete seinen Stuhl, der eben nach hinten gekippt war, wieder auf. Er klopfte den Staub ab, und setzte sich wieder hin. Dann stützte er seineEllenbogen auf dem Tisch auf, bevor er sein geschundenes und schmerzendes Gesicht in seine Hände sacken ließ. “Ach du Scheiße“, murmelte er leise, atmete tief ein und wieder aus. “Hat sie endlich ihr wahres Gesicht gezeigt. Jaja. Tja.“ Der Patrizier schnaubte aus. “Aber die Nacht mit ihr war geil... naja, alles Vergangenheit. Führe ich etwa Selbstgespräche? Mist, ich führe Selbstgespräche. Ich brauche einen Wein.“ Er langte in seinen Tisch und füllte sich einen Becher voll. Er würde heute noch einiges davon brauchen.

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