[Cubiculum] Eine schwere Geburt...

  • Schmerz, ja, Schmerz. Das war alles, was Albina denken konnte. Ein erneuter Ruck durchfuhr ihren Körper und sie konnte einen weiteren Schrei nicht unterdrücken. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen, ihre Finger waren in die Hand ihrer Sklavin gekrallt, ihre Augen waren leicht eingefallen. Einen halben Tag schon lag sie nun in den Wehen und sie spürte, wie ihr zusehends die Kräfte schwanden. Mittlerweile fiel es ihr schwer die Augen offen zu halten, die sie nur dann weit aufriss, wenn sie eine erneute Welle des Schmerzes durchzuckte. Die besorgten Stimmen nahm sie nur noch am Rande war und wirkten mehr wie dumpfes Gemurmel in der Ferne. Schmerz! Da war er wieder. Sie bäumte sich ein wenig auf um dann erneut erschöpft in ihr Kissen zu sinken. Sie wusste, was die anderen sich wohl noch nicht eingestehen wollten. Sie würde es nicht schaffen. Doch nach all den Stunden erschien ihr dieser Umstand beinahe wie eine Erlösung, wenn da nicht eine Sache wäre, die sie nicht aufgeben ließ. Ihr Kind. Sie kämpfte für ihr Kind, und wenn es sie alles kosten würde. So wechselte sich das Geschehen ab: Schmerz, Schrei, Pressen. Sofern sie noch einen klaren Gedanken fassen konnte, flehte sie Juno an, zumindest ihr Kind zu retten. Doch auch diese Momente wurden schwächer. Ihr Bewusstsein verließ sie Stück für Stück. Schmerz, Wimmern, Pressen. Während ihr Griff nachließ spürte sie, wie der ihrer Sklavin umso fester wurde. Jemand sprach mit ihr... irgendwo in der Ferne. Und dann... endlich. Sie hörte einen erlösenden Schrei. Der Schrei, der das letzte war, was sie bewusst wahrnehmen sollte.


    Die Anspannung verließ sie, der Schmerz verschwand. Sie stand auf einer Wiese. Um sie herum waren von bestellten Feldern überzogene Hügel. Das Getreide stand in voller Blüte, die Sonne schien und hier und dort warfen Zypressen ihren Schatten auf die Erde. Sie stand mitten auf einem ausgetretenen Weg, an dessen Ende sie zwei Menschen stehen sah. Langsam ging sie auf die beiden zu und je näher sie kam, umso vertrauter erschienen ihr die Umrisse. Schritt für Schritt ging sie voran. Und dann, auf einmal, erkannte sie die beiden Gestalten. Es war Verres. Bei seinem Anblick stiegen ihr Tränen in die Augen und ihre Schritte wurden schneller. Neben Verres, Arm in Arm mit ihm, stand eine größere, hagere Gestalt. Ein vertrautes Gesicht sah sie mit einem milden und liebevollen Lächeln an. Es war ihr Vetter Vitamalacus. Als Albina die beiden erreicht hatte, nahmen diese sie in die Mitte und umarmten sie. Irgendwo zwitscherte ein Vogel. "Lass uns gehen.", sagten sie wie mit einer einzigen Stimme. Sie brauchte nicht fragen, wohin. Sie seufzte und begann den Abstieg...


    Und dieses Seufzen drang bis in die Realität. Es sollte Albinas letzter Atemzug gewesen sein.

  • Vor der Tür des Cubiculums wartete Macer die Geschehnisse ab und bekam sie vor allem durch die Geräusche mit, die gedämpft zu vernehmen waren. Natürlich wusste er, dass eine Geburt einer Frau Schmerzen bereitete und natürlich wusste er auch, dass eine Frau bei der Geburt sterben konnte. Aber auch wenn Albina eine zarte Natur war, machte er sich nicht wirklich Sorgen, dass die Sache nicht gut ausgehen konnte. Vielleicht hätte er den Platz vor der Tür besser gegen den Platz am Hausaltar eintauschen sollen, um Deverra, Lucina und all den anderen Göttinnen, die über die Geburt wachen, Opfer darzubringen. Vielleicht hätte er dann verhindern können, was sich im Cubiculum zutrug. Vielleicht aber auch nicht und das Schicksal war längst entschieden.


    Als er Schreie eines Kindes zu vernehmen glaubte, blickte er noch erwartungsvoller zur Tür. Als schließlich geöffnet wurde, trat er ein und erblickte das neugeborene Kind, das wie es üblich war, von der Geburtshelferin auf den Boden gelegt worden war, so dass er es aufnehmen und als seines anerkennen konnte. Während er es anblickt und sich auf es zu bewegte, realisierte er, dass es vielleicht einen Augenblick zu lange gedauert hatte bis nach dem ersten Schrei des Kindes die Tür geöffnet worden war und dass es verdächtig still war im Raum. Kein abebbendes Stöhnen Albinas, keine freudigen und beruhigenden Worte der Sklavinnen. Eine geradezu erdrückende Stille lag im Raum und schlagartig ahnt Macer, was passiert war. Trotzdem hob er zunächst das Kind auf und drückte es an sich. Ein Blick zu Albina, ein Blick zur Amme und er hatte Gewissheit. Tränen schossen in seine Augen, er wollte Schlucken und konnte nicht.


    "Albina" sagte er schließlich leise. Es war im selben Atemzug der Abschied von seiner Frau und die Namensgebung für seine Tochter.

  • Hin und her gerissen zwischen all den Emotionen, die in diesem Augenblick in seinen Kopf schossen, fiel es Macer schwer, mit stoischer Gelassenheit die Rituale zu befolgen, die die Tradition sowohl für den Fall der Geburt als auch für den Fall des Todes vorsah. Dass eine junge Frau auf dem Kindbett starb war beileibe nichts Neues und auch Macer hatte schon von vielen solcher Fälle gehört, kannte auch die besondere Belastung, die dies für den Hausherren und Vater bedeutete - und doch war es etwas völlig anderes, wenn man selber davon betroffen war. Leise schluchzend drückte er seine neugeborene Tochter an sich und beugte sich dann zu Albina herunter, um ihr den Totenkuss zu geben. Vielleicht war es dafür schon längst zu spät und ihre Seele war schon entwichen, aber vielleicht war sie ja auch schon aufgefangen in Form ihrer Tochter. Letztertes war eine Vorstellung, die Macer durchaus ein wenig beruhigen konnte, während er seiner verstorbenen Frau sanft die Augen schloss.


    Danach kam ihm zu Gute, dass ein frischgebackener Vater direkt nach der Geburt ohnehin nicht viel mit seinem neuen Kind zu tun hatte. Statt es der Mutter in den Arm zu legen, blieb jetzt nur die Amme. Macer war fast dankbar, dass diese eine wahrhaft beruhigende Routine auszustrahlen schien und ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal eine solche Situation erlebte. So konnte Macer ganz langsam durchatmen, die ersten Emotionen abklingen lassen, seinen Verwalter zu sich zitieren, erste Anweisungen sowohl für die Bekanntgabe der Geburt als auch für die Durchführung der Totenrituale geben und dadurch irgendwie versuchen, Herr der Lage zu werden, wie er es als Hausherr wohl einfach sein musste in dieser Situation, auch wenn ihm die Tränen noch immer ganz unsenatorisch über die Wangen kullerten.


    Während sich die Hausangestellten nun um Kind und Leichnam kümmerten, lenkte Macer seine Schritte fast automatisch zum Hausaltar. Gedankenversunken reinigte er sich, brachte Kohle zum Glühen, legte Weihrauch auf, betrachtete die verschiedenen Götterfiguren auf dem Altar. Albinas Figuren waren darunter, vor denen sie oft für eine glückliche Geburt gebetet hatte - vergeblich. Das Leben war eben nicht vorherbestimmt durch die Menschen. Traurig betrachtete Macer den aufsteigenden Weihrauch und wusste nicht, zu wem er zuerst beten sollte. Danken für die Geburt oder um einen sicheren Weg uns Reich der Toten bitten? Er begann spontan, in leisem Gemurmel, mit einem Dank für die Geburt. Nicht ganz zufällig waren für dieses Ereignis Opferkuchen und Blumen bereitgehalten worden, so dass Macer diese nun mit tatsächlicher Dankbarkeit an Iuno übergeben konnte. "Iuno, Schutzgöttin der Frauen, Behüterin der Mutterschaft, Göttin des Heims, größte aller Göttinnen. Stellvertretend für Albina stehe ich hier um dir zu danken für die Geburt unserer Tochter. Für deinen Schutz, der es ermöglicht hat, dass Albina eine gesunde Tochter zur Welt bringen konnte. Ich bitte dich, beschütze auch sie, damit sie eine bemerkenswerte Frau wird, so wie es Albina eine war. Führe ihre Wege, so dass sie eines Tages einen Mann so glücklich machen wird wie Albina es mit mir getan hat. Und wenn ich auch darum bitten darf: Gewähre ihr, dass sie die Geburt ihres ersten Kindes überlebt. Bis es soweit ist, werde ich dir jedes Jahr, zur Widerkehr des heutigen Tages, ein Opfer darbringen, das größer sein wird als die bescheidenen Gaben, die ich dir heute darbringen kann."

  • Dem Gebet an Iuno folgte eines an Pluto und Proserpina. Absichtlich richtete Macer seine Worte an beide, denn Albina und er hatten einst auf einer phantasievollen Orgie eben jenes Götterduo vorkörpert. Damals, bei den Meditrinalia, irgendwo in einer Villa in Trastiberim. Bei Macers bekannt schlechtem Gedächtnis fast ein Wunder, dass er sich daran noch erinnerte und das sogar durchaus klar. Vermutlich sprach er gerade deshalb zu diesen beiden Göttern sehr vertraulich, akzeptierte letztlich ihre Entscheidung, Albina in die Unterwelt aufzunehmen und bat um eine ruhige Reise für seine Frau, nicht ohne auch hier die angemessenen Opfer im Rahmen der Trauerfeier zu versprechen.


    Es folgten noch weitere kurze Gebete an die Geister seiner Verwandten, die Geister des Hauses und auch die Geister der Gens Tiberia. Mehr als einmal legte Macer zwischenzeitlich Weihrauch nach und als er sich schließlich vom Altar abwandte, wurde ihm erst bewusst, dass er offenbar eine ziemlich lange Zeit vor dem Altar verbracht hatte. Jedenfalls stand sein Verwalter bereit um ihm mitzuteilen, dass Albinas Leichnam gewaschen und neu bekleidet worden war und somit bereit war, mit dem Ablegen der Münze für den Fährmann auf ihrer Zunge endgültig für die Reise in die Totenwelt vorbereitet zu werden. Macer nickte, suchte eine besonders blanke Münze aus der Geldtruhe heraus und trat an Albinas Totenbett. Erneut konnte er seine Tränen kaum zurückhalten, aber trotzdem schaffte er es, auch diese rituelle Handlung in Würde hinter sich zu bringen.


    Inzwischen trafen auch die ersten Klienten, Verwandten, Nachbarn und Freunde ein, die von dem Ereignis gehört hatten. Auch an Klagefrauen hatte man gedacht, die die Tote beweinten. Ein klein wenig Stolz auf seine pragmatische Planung konnte sich Macer indes nicht verkneifen, als er sich der Vorteile der kürzlich erfolgten Erweiterung seiner Casa bewusst wurde: Während die verstorbene Albina im ersten Atrium aufgebahrt und betrauert wurde, sollte im zweiten Atrium die Freude über die Geburt der Tochter vorherrschen. Wer das Haus betrat, kam an der Trauer um die Hausherrin nicht vorbei. Doch nach dem Ende der Trauerzeit würde man sie in einer Prozession hinaustragen und zurückbleiben würde die Freude über ein kleines Mädchen. Ja, es war eine sehr schwere Geburt gewesen, aber Macer wollte nicht zulassen, dass das Leben deshalb genauso schwer wurde.

  • Wieder schlug der schwere Hammer des göttlichen Schicksals zu... Albina? Wieso Albina?, ging es Lepidus stetig durch den Kopf und diese furchtbare Nachricht hätte für ihn keine schlimmeren Ausmaße annehmen können. Nach all den Strapazen glaube Lepidus stets, es würde wieder aufwärts gehen, doch dies war weit gefehlt und er landete schneller wieder auf dem nun tränengetränkten Boden, als er sich dies hätte vorstellen können. Hatten es Macer und Albina etwas versäumt Iuno um eine gute und schmerzfreie Geburt zu bitten? Waren die Götter denn nicht mit ihnen?


    Nachdem der Leichnam gewaschen und mit Spezereien gesalbt ward, lag sie nun da, vollständig gekleidet in edlem Gewand. Lepidus hatte etwas Schmuck mitgebracht, der die Tote zieren sollte. Man munkelte es wäre noch verbliebener Schmuck der ebenfalls verstorbenen Tiberia Arvinia. Die Reihe der Toten, die die Gens Tiberia zu beklagen hatte, ließ sich fast endlos fortführen. Für Lepidus konnte es an diesem Tage nicht genug Prunk sein, der seine liebe Cousine umgab, ganz wie es eine Tiberia verdiente.


    Da lag sie nun im Atrium, ihre Füße waren, wie es üblich war, der Eingangstür zugewandt und um sie herum wurden Blumen ausgelegt, süße wohlriechende Blumen. Vor ihrer Bahre befanden sich Rauchpfannen, die einen angenehmen Geruch von Weihrauch versprühten. Im Vestibulum des Hauses wurden zum Zeichen der Trauer Zweige von Rottanne und Zypressen angebracht. Lepidus machte sich, während er Albina in ihr lebloses Gesicht sah, große Vorwürfe. Seit seiner Rückkehr nach Rom hatte er sie nicht ein einziges Mal besucht. Es war ja noch Zeit, es war ja noch Zeit, sagte er sich stets und nun war keine Zeit mehr da. Er war mehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er sich um seine schwangere Cousine viel gekümmert hätte. Hin und wieder suchte der Blick des Tiberiers den Purgitier, der sich gleichsam über eine Tochter freuen konnte, doch diese Freude konnte Lepidus nur schwerlich teilen. Ein neues Leben begann, wo ein anderes aufhörte. Das war schön, doch es war nichts, was seine Trauer gemindert hätte.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!