Cubiculum | Walk the Line

  • Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich den Haussklaven der Villa Flavia bot, sobald sie das Gemach des Manius Flavius Gracchus Minor betraten:
    Ein Sammelsurium aus Decken und Kissen breitete sich auf dem Boden aus, ließ kaum eine Ecke des Fußbodenmosaiks durchscheinen, sorgte jedoch dafür, dass Claudia Antonia, Nachfahrin von Kaisern, sich auf dem Boden niedergelassen hatte. Bequem auf ein Sitzkissen gebettet, hatte die Patrizierin ein Bein angewinkelt, den Rücken leicht gebeugt und die Arme um ihren Sohn geschlossen. Jener stand vor ihr, unterstützt durch die Hände der Mutter, und jauchzte vor sich hin. Antonia war sich sicher, dass er diverse hochinteressante und vor allem intelligente Dinge von sich gab. Hin und wieder ließ sich auch tatsächlich ein unbeholfen hervorgebrachtes Wort vernehmen, aneinander gereihte Buchstaben, die, sofern man sich häufig mit dem jüngsten Flavier beschäftigte, auch durchaus einen Sinn hatten. Sein erstes Wort, dessen war die Claudia sich sicher, war im Übrigen ‚Mama‘.
    Da diese Hürde nun genommen war, wartete Antonia fast stündlich darauf, dass er begann auf seinen eigenen Beinen durch die Villa zu spurten. Anstatt wie bisher - in ebenfalls ordentlichem Tempo - die Wege auf allen Vieren zurückzulegen. Sie wartete. Seit Monaten. Im Grunde genommen wartete sie seit seiner Geburt. Dass heute der Tag der Tage sein würde, erwartete sie daher keineswegs.
    Wie stets war nebst Mutter und Sohn eine gewisse Anzahl an Sklaven anwesend, die der Patrizierin die eher unschönen Pflichten der Mutterschaft abnahmen – vom Wickeln bis hin zum Füttern gab es für alles einen Spezialisten. Derzeit standen sie jedoch relativ untätig herum, allzeit bereit aus dem Standby-Modus zu erwachen.
    Mit einem ‚Mhgnäää‘ knickten just in diesem Moment die kurzen Beine des Kindes ein, was zwangsläufig eine Höhenverlagerung nach unten zur Folge hatte. Natürlich sah Antonia sich genötigt einzugreifen und den drohenden Sturz aus wenigen digiti Höhe abzufangen, sodass der junge Flavier für einen Moment in der Luft schwebte, begleitet von einem seligen Grinsen seiner Frau Mama und dem Quietschen der weiblichen Sklaven. Gracchus Minor jedoch begann unwillig zu strampeln und eroberte sich so den Erdboden unter seinen Füßen zurück. Antonia lockerte mit gütigem Lächeln ihren Griff und setzte den Sohn wieder ab. So geschah es. Ein historisches Ereignis, ein einmaliger Vorgang – Manius Minor, stolzer Spross zweier uralter Patrizierfamilien, setzte einen Fuß vor den anderen, unsicher und wackelig, doch beständig, und tat so die ersten drei Schritte seines Lebens.
    Die Claudia war derart in einem Rausch der Glückshormone gefangen, dass sie sogar vergaß ihn beim unweigerlich folgenden Versagen der Beinmuskeln wieder aufzufangen. Minor störte sich nicht weiter daran, lallte lediglich ein neues Wort und klatschte in die Hände. “Oh.. Minor.. du.. “
    Tränen der Rührung in den Augen, schlug Antonia eine Hand vor ihren Mund, unfähig den Blick von ihrem Sohn zu wenden. “Er geht.. Ihr habt es gesehen! Er geht!“, wandte sie sich jedoch letztlich bestätigungsheischend an die Sklaven, die eifrig zu nicken begannen. Beim letzten ‚großen‘ Ereignis in Minors Leben hatten die zuständigen Sklaven ein kleines Festmahl am Abend bekommen, so war es nicht zuletzt die Vorfreude auf etwas Derartiges, das die Hauseinrichtung fröhlich stimmte. Antonia indes wedelte mit einer Hand vage in Richtung Tür. “Geh. Hol meinen Gatten.“, befahl sie der Windelwechsel-Sklavin, welche sich flugs auf den Weg machte.
    Mit einem „Uuuuuh.“, das eindeutig in höhere Tonlagen anzusiedeln war, stellte Antonia anschließend ihren Sohn wieder auf die Beine, um voll Stolz das kleine Ebenbild ihres Gatten – in ihren Augen wenigstens - zu betrachten.

  • Langsam, beinahe gemächlich schloss eine Linie sich an die nächste, folgte dem Schwung aufwärts ein hinab gerichteter, zogen sich Striche und Kurven über das Pergament dahin. Noch immer war Gracchus' Schriftbild unsauber, abgehackt, als müssten die fehlenden Buchstaben seiner Sprache auch in der Schrift in Erinnerung sich rufen, so nicht durch ihre Absenz doch zumindest in der Disharmonie der Ästhetik. Insbesondere der Schwung des M störte Gracchus weit mehr als je zuvor, denn im Vergleich zu der filigranen Leichtigkeit des Aristid'schen M war der Verlust mehr als überdeutlich. Dennoch verzichtete er darauf, seinem Sklaven zu Diktieren, denn ohne den Anblick bereits verfasster Worte wurde der Sinn seiner Sätze ihm allzu schnell verlustig, um sie in adäquater Form konstruieren zu können, obgleich der Anblick stets ihn in Unzufriedenheit versetzte. Es war darob ihm nur recht, als das Klopfen an die Türe seines Arbeitszimmers ihn aus seiner Korrespondenz heraus riss, und obschon er jene Art und Weise, wie der Sklave sein Reich erstürmte, nicht wollte erdulden, so hatte er bereits mit dessen hastig ausgesprochenen Worten jeglichen Tadel vergessen, welcher ihm auf der Zunge lag. Aus lauter Hast, den bedeutsamen Augenblicke im Leben seines Sohnes nicht zu missen, stieß er in der Eile seiner Bewegung das Tintenfass um, dass die dunkle, schwarzfarbene Flüssigkeit nicht nur über das Pergament sich ergoss, die mühevoll gemalten Zeichen digitus um digitus in sich verschlang, sondern gleichsam auch über die Maserung des kostbaren Holzes der Tischplatte sich fraß.
    "Dius Fidus!"
    Ratlos blickte Gracchus zwischen Tür und Tisch hin und her, völlig unschlüssig ob des zu erwartenden Handelns.
    "Du!"
    Verzweiflung schwang in seiner Stimme, welche dem Sklaven an der Türe jeden weiteren Weg abschnitt, während Gracchus bereits eben diesem Durchgang entgegen eilte, dem alles in sich zu verschlingen suchenden Tintenmeer entfloh.
    "Kümmere di'h darum!"
    Er verließ das Chaos mit der selbstvergessenen, stets unschuldigen Selbstverständlichkeit des Patriziers, hinter welchem fortwährend alle Spuren der Verwüstung wurden beseitigt, eilte erst in die eine Richtung, ehedem er sich wurde dessen gewahr, dass dies nicht der Weg zu seines Sohnes Cubiculum war, kehrte ein wenig derangiert um, um endlich den richtigen Raum zu erreichen. Schwungvoll öffnete er die Türe, erfreute augenblicklich sich an dem Anblicke, welcher sein Leben so sehr hatte verändert, jenes harmonische Bild der überstolzen Mutter mit ihrem ihr in so vielerlei Hinsicht gleichenden, perfekten Sohne.
    "I'h hörte, hier sei jemand bereit, die Welt zu erkunden. Kommst du zu mir, Minimus?"
    Ein Stück hinter der Türe, seiner Gemahlin und dem Kind entgegen, ging Gracchus freudestrahlend in die Hocke, breitete seine Arme aus, um seinen Sohn gebührend in Empfang zu nehmen.
    "Minis mir!"
    bekundete der kleine Manius, was so viel bedeutete wie Manius möchte zu demjenigen, welcher gerade ihn fragte, ob er von ihm empor genommen werden möchte, und hangelte sich einen Schritt am Knie seiner Mutter entlang, ehedem er völlig losgelöst einige wackelige Schritte auf seinen Vater zu trat. Er schaffte es bis kurz vor diesen, sodann ließ er sich nach vorne fallen, um das letzte Stück zu Fuß sich zu sparen, doch sein Vater hatte bereits die Hände um die schmale Brust gelegt und den Jungen aufgefangen.
    "Wunderbar!"
    jubelte Gracchus und verspürte mehr Stolz in diesem Augenblicke als je zuvor bezüglich seiner eigenen Karriereschritte, mehr als nach jedem erfolgreichen Wahlergebnis, mehr als bei seiner Kooptation in das Collegium Pontificium, mehr als bei seiner Berufung in den Senat. Obgleich seinen Sohn zu zeugen ihn durchaus einiges an Mühe hatte gekostet, so hatte er letztlich doch nicht allzu viel zu dessen Entstehung beigetragen, und dennoch war das Ergebnis weit gelungener als alles, was er je hatte angepackt, als alles, worin er je seinen Elan, seine Mühe und Pflichterfüllung hatte investiert. Gracchus stand auf, seinen Sohn in den Armen, warf diesen ein Stück empor, dass er kurz in der Luft verharrte und jauchzend zurück in seinen festen Griff fiel, überwand jene Strecke, für welche der kleine Manius einige Schritte hatte gebraucht mit ein einhalb Schrittlängen und ließ neben seiner Gattin sich nieder. Während Gracchus Minor dafür Sorge trug, dem Griff seines Vaters zu entkommen und sich dem am Boden liegenden Spielzeug - einem aus Leder gefertigten Pferd - zuwandte, beugte Gracchus Maior sich zu Antonia hin, schob eine Haarsträhne mit einer Hand hinter ihr Ohr und küsste sie auf den Hals - nicht etwa durch unermessliche Anziehung getrieben, sondern stets das eheliche Gleichgewicht zwischen ihnen in harmonischer Schwebe zu halten suchend.
    "Wie er der Schößling ist, der empor wä'hst, so bist du die Sonne, wel'he über ihm erstrahlt."

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  • Antonia war in der Zeit, in der ihr Sklave zu ihrem Gemahl geeilt war bemüht gewesen, Gracchus Minor erneut auf die Beine zu stellen, ihn einmal mehr dazu zu bringen einige Schritte zu tun. Doch der Sohn machte sich in kindlicher Freude einen Spaß daraus der Mutter eben diesen Gefallen nicht zu tun. Natürlich unterstellte die Claudia ihrem Kind nicht, dass es dies absichtlich tat. Die Beinchen waren müde, so musste es sein, war er doch sonst ein so braver Junge. Nichtsdestotrotz sah sie ein wenig frustriert zu, wie der Knirps auf allen Vieren seine Runden im Raum zog. Gerade als Minor wieder bei Antonia angelangt war flog die Türe auf und Gracchus Maior trat mit wehenden Fahnen, so schien es für die Patrizierin, ins Cubiculum ein. Überlebensgroß war er, stark und strahlend wie Apollo selbst, ein Eindruck der durch den Umstand, dass Antonia selbst auf dem Boden saß und so doch recht weit hinaufblicken musste, nur verstärkt wurde.
    Die tapsige Berührung einer winzigen Hand zog die mütterliche Aufmerksamkeit fort vom Vater und hin zum Knaben, welcher die vierbeinige Fortbewegung aufgab und sich in die Senkrechte zog. Natürlich, wenn der Vater es wollte, tat der Sohn umgehend was gewünscht war, sie war ja nur die Mutter.. Augenblicklich schalt sie sich einen Dummkopf ob solcher Gedanken, Minor war gewiss noch viel zu klein um solche bewussten Entscheidungen zu treffen. So entschloss sie sich stattdessen erneut sich von der Welle des Stolzes übermannen zu lassen, welche bereits so viele Male seit seiner Geburt über sie hinweg geschwappt war.
    Reflexartig zuckten bereits ihre Arme, als der Sohn ins Straucheln geriet, doch war ihr Gemahl bereits zur Stelle, um Minor aufzufangen. Zufrieden lächelnd folgten ihr Blick dem in die Höhe gehobenen Kind, flogen von glucksenden Knaben hin zum stolzen Vater und wieder zurück. Sie sah das gestikulierende Kind, den freudig erregten Vater – und wie letzterer ersteren in die Luft warf. Ihre Augen weiteten sich, starrten voll Unglauben auf die beiden Flavier, schienen größer werden zu wollen als der Rest des Antlitzes. Für einen Moment setzte der Herzschlag aus, vergaßen die Lungen die Aufgabe Luft einzuatmen und blanke Panik breitete sich in ihr aus. Wie in Zeitlupe stieg ihr Sohn in die Höhe, freute sich ob der ungewohnten Freiheit um ihn herum und fiel, nein, vielmehr stürzte hinab, drohte zu zerschellen, als die Hände Gracchus‘ ihn wieder auffingen. Starr vor Schreck wurde Antonia sich erst wieder Ort und Zeit bewusst, als ihr Gatte sich neben ihr niederließ, ihr einen heißersehnten Kuss auf den Hals hauchte. Wie stets zog sie eine Schulter nach oben, legte den Kopf ein wenig zur Seite, um dem kitzelnden Gefühl zu entkommen und fand schließlich auch ihr Lächeln wieder.
    “Mir scheint eher du denkst er sei ein Vogel, der sich in die Lüfte emporheben soll.“
    Nicht ohne Vorwurf war der Unterton in ihrer Stimme, doch verbat sie es sich selbst, den Gemahl zurechtzuweisen. Ihre fast schon krankhafte Angst, dem Sohn könne etwas zustoßen war von Tag zu Tag gewachsen und hin und wieder glaubte sie, Minor brachte sich selbst bewusst in halsbrecherische Situationen – die selbstverständlich nicht halb so letal waren, wie die überängstliche Mutter annahm. Ihr Blick ruhte längst wieder auf dem kleinen Ebenbild ihres Gatten, das augenscheinlich Sklavenbeine als höchst interessantes Spielzeug erachtete (schließlich machten sie lustige Geräusche, wenn man hinein piekte).
    “Du wirst sehen, bald wird er auch einen eigenen Streitwagen verlangen, wie Serenus einst.“
    Schmunzelnd sah sie ihren Gemahl an, zweifellos jedoch würde sie niemals zulassen, dass ihr Sohn sich einer derartigen Gefahr aussetzte.

  • Er suchte Antonias Hand, um sie in die seine zu nehmen und strich mit den Fingern der anderen beruhigend über sie hinweg. Niemals würde seinen Sohn er tatsächlicher Gefahr aussetzen, doch Gracchus war in weit größerem Umfange bereit, Minor die Welt erkunden zu lassen, und sie ihm aus allen Perspektiven und unter jeglichen Aspekten zu zeigen, als seine Gemahlin dies war.
    "Es ist niemals verkehrt, die Perspektive zu variieren, denn viele Formen lassen von oben herab si'h weitaus besser erkennen, als dies vom Boden aus viabel ist - während der Mann am Circus Maximus no'h alle Straßen einzeln erkundet, um seinen Weg zum Forum Romanum zu finden, sieht jener auf der Kuppe des kapitolinischen Hügels längst, wohin er gehen muss. Wie ein Vogel in die Lüfte sich zu erheben, wäre darob bei weitem no'h vorteilhafter."
    Auch Gracchus' Blick wandte sich zu Minor hin, welcher den Unterschied zwischen Menschen und Sklaven noch nicht hatte begriffen und darob stets versuchte, mit letzteren in freundlichen Kontakt zu treten und zum Spielen sie zu animieren. Selbstredend taten die Sklaven alles, was der junge Herr ihnen mit Gesten und kindlichen Worten befahl und den Weisungen seiner Mutter nicht entgegen stand, doch waren sie weder adäquate Spielgefährten, noch passables Spielzeug.
    "Er wird den prächtigsten Streitwa..."
    Irritiert brach Gracchus mitten im Satze ab, denn obgleich er nicht wusste, was, so schien irgendetwas nicht zu stimmen. Er horchte in den Raum hinein, doch bis auf das fröhliche Gebrabbel seines Sohnes war nichts zu vernehmen.
    "Er wird den prä'htigsten Streitwagen bekommen, welchen Rom je ..."
    Er blinzelte verwirrt.
    "... wel'hen ... Rom ... je gesehen hat. I'h habe von afrikanischen Eseln gehört, die kaum größer als ein Hund werden, so dass Minors Wagen nicht einmal mit Ziegen bestückt werden muss."
    Allmählich sickerte in Gracchus' Bewusstsein hindurch, was an seinen Worte nicht stimmte, oder eher, dass alles an ihnen stimmte, und auf eine merkwürdig irritierende Weise machte ihn dies vor seiner Gemahlin verlegen, insbesondere, da er unmöglich dies vor ihr konnte verifizieren. Er hob das kleine, lederne Pferd vom Boden, welches sein Sohn auf seinem Weg zu den sklavischen Füßen alsbald wieder hatte liegen lassen, betrachtete dessen Kopf und legte sich jedes einzelne Wort zurecht, ehedem er seinen Satz aussprach.
    "Sie sehen aus wie kleine Pferde und sind viel schneller als Ziegen."

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  • “Wie ein Vogel sich in die Lüfte erheben, nur um wie Ikarus unaufhaltsam gen Boden zu stürzen.“, seufzte die Patrizierin, die sich stets lediglich das Schlimmste auszumalen vermochte.
    Milde lächelnd sah sie letztlich auf die ineinander gelegten Hände hinab. Wie lange hatte sie Tag um Tag auf eine jener winzigen Gesten der Zuneigung gewartet, wie lange war sie sich sicher gewesen niemals auch nur einen freundlichen Blick, ein liebenswürdiges Wort von Gracchus zu hören. Derart eingelullt in positive Gefühle hätte sie sich auch beinahe in jene scheinbare Unbeschwertheit ihres Gatten mit hineinziehen lassen. Rechtzeitig jedoch besann sie sich, verscheuchte mit leichtem Kopfschütteln die allzu befremdlichen Gedanken. Widersprechen jedoch wollte sie nicht, weshalb sie es hierbei beließ.
    In einer Mischung aus Unglauben und Verwirrung betrachtete Antonia ihren Gemahl, glaubte gar er treibe einen Scherz mit ihr, als die Sprache sich den Streitwagen zuwendete. In keinem Fall konnte er ernst meinen was er sagte. Einen Streitwagen wollte er Minor tatsächlich gewähren? Mit afrikanischen Eseln? Afrikanische Esel, die mit aberwitziger Geschwindigkeit durch den Hortus der Villa rasen würden, dabei keinerlei Rücksicht auf körperliche Unversehrtheit des flavischen Nachwuchses oder der flavischen Flora nehmen würden. Ein Schreckensbild manifestierte sich vor ihren Augen, ein regloser Kinderkörper lag verschränkt am Boden inmitten einer postapokalyptischen Landschaft, die einst die Villa Flavia gewesen sein mochte. Gewiss, er spaßte. Gracchus‘ Humor zu verstehen hatte ihr seit jeher bestimmte Schwierigkeiten bereitet und so war es wohl auch dieses Mal. Deshalb setzte sie ein Schmunzeln auf, schnaubte kurz, in Ermangelung tatsächlicher Erheiterung eine solche vortäuschend. “Ach, Manius, du..“
    Kaum hatte die Claudia jenen Satz jedoch begonnen hielt sie auch wieder inne. Seit ihr Gatte aus seiner Krankheit erwacht war hatte er Probleme beim Sprechen gehabt, nach und nach jedoch wieder gelernt die meisten Buchstaben und Phrasen zu formulieren. Lediglich das ‚ch‘ schien für immer verloren zu sein. Dass jene Kombination zweier Buchstaben nun plötzlich wieder über seine Lippen kam war, als geschehe ein kleines Wunder. Wenngleich sie im ersten Moment nicht recht zu bestimmen wusste, ob denn nun tatsächlich Gracchus es gesagt, oder lediglich ihr Gehör unbewusst die fehlenden Wortteile ergänzt hatte. Prüfend, gierend, beinahe als starre ein Verdurstender einen Fluss an, fixierten ihre Augen die ihres Gemahls, suchten ihn festzunageln allein kraft ihres Blickes. Unwillkürlich krampfte sich die von Gracchus umfasste Hand um die Seine, nicht willens sie loszulassen ehe ihre Besitzerin erhalten hatte, was sie wollte. Ihr Mund öffnete und schloss sich wieder, als Antonia sich ihres Stierens bewusst wurde. Verlegen senkte sie den Kopf, lockerte ihren Griff, um sich selbst ablenkend zu Minor zu sehen. Jener hatte sich einmal mehr in die Senkrechte gezogen und tastete sich an einem niedrigen Tisch entlang. Augenscheinlich hatte eine Sklaventunika als Hochziehmöglichkeit herhalten müssen, saß jenes Kleidungsstück an der Windelwechselsklavin doch ein wenig derangierter als noch zuvor.
    “Entschuldige.“, murmelte sie, um mit ihrem Feiertagslächeln wieder Gracchus Maior anzusehen. “Was.. was für einen Streitwagen, sagtest du?“
    Unmöglich konnte sie schließlich darum bitten, er solle das Wort ‚prächtig‘ wiederholen. Zu albern wäre es, sollte sie sich nur verhört haben. Und sicher würde er glauben, sie wolle ihn sekkieren. Druck andererseits konnte dazu führen, dass er sich erneut verhaspeln würde, schien das ‚ch‘ doch zu kommen und zu gehen, platzierte sich im einen Wort, nur um im nächsten wieder zu fehlen. “Und.. glaubst du denn tatsächlich, diese Esel sind nötig? Ich meine zu große Schnelligkeit ist für ein kleines Kind schließlich eine unbeherrschbare Kraft, wie schnell könnte ihm etwas passieren.“

  • Obgleich Antonia den Vergleich mit dem stürzenden Ikarus nur daher hatte anbracht, um ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen, so kränkte Gracchus doch ein wenig, dass sie nicht ihrem Sohne zutraute, die Welt zu überflügeln - seinem Sohn. Er schwieg zu diesen Worten, nahm sich jedoch vor, weder zuzulassen, dass Minor von übermäßigen Erwartungen würde erdrückt werden, noch von mangelndem Vertrauen in seine Persönlichkeit und Fähigkeiten. Darüber hinaus schien Antonia tatsächlich ernsthaft um den Jungen sich zu sorgen, wurde ihr Griff im Gedanken an einen Streitwagen doch alsbald überaus fest, beinahe krampfhaft. Allfällig war er zu weit gegangen, womöglich würden Ziegen doch ausreichend sein, zumindest zu Anfang.
    "Es wird ein angemessener Wagen sein, für geringe Geschwindigkeiten und maximale Stabilität ausgelegt. Du musst ob dessen ni'ht Sorge tragen, ein sol'hes Gefährt ist überaus ungefährlich."
    Wie der Hall römischer Posaunen beim Einmarsch in eine eroberte Stadt, wie der Schlag des Donners inmitten eines sommerlichen Gewitters hing die letzte Silbe seines Satzes im Raume hernach. Gracchus zog ein wenig seine Unterlippe zwischen die Zähne, entließ sie nur langsam daraus, um dem Drängen zu widerstehen, in wiederholtem Maße das ch seiner Kehle zu entlocken, während Minor eben, die Hände an der Sitzfläche eines Stuhles, in erfreutem Maße mit den Füßen auf den Boden stampfte als wolle er tanzen.
    "Er wird ein Salier werden"
    , nahm Gracchus die Gelegenheit eilig zur Ablenkung wahr, und beschloss hernach die Aufmerksamkeit in einem noch größeren Bogen von seiner eigenen Person abzulenken, indem er sie auf Antonia zog.
    "Und wie geht es dir? Bleibt dir genügend Zeit für deine eigenen Angelegenheiten und dein eigenes Wohlbefinden?"
    Es war ihm stets ein Rätsel, wie römische Frauen ihre Tage verbrachten, insbesondere seine Gemahlin, doch was auch immer sie hatte vor der Geburt getan, die beständige Acht auf Minor musste vieles davon nun verbieten.

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