Andere Länder, andere Sitten

  • Nachdem der Senator Germanicus Sedulus und ihre Cousine Serrana in der Bibliothek verschwunden waren, machte Axilla ihre Ausrede war und schnappte sich eine von Serrana geliehene Palla. Es dauerte keine 5 Minuten, da war sie auch schon aus der Casa Iunia hinaus und los in Richtung des nächsten Marktes. Angst, weil sie – mal wieder – in einer großen Stadt alleine unterwegs war, hatte sie keine. Im Gegenteil, sie genoss es, mal wieder etwas ohne Begleitung und ohne Aufpasser zu unternehmen und lief einfach, wohin sie ihre Füße trugen.
    Nach ein paar Ecken war sie auf eine größere Straße getroffen, der sie einfach folgte. Einen Markt zu finden war nie weiter schwer, auch in einer so lauten und großen Stadt wie Rom nicht. Es gab so etwas wie ein ungeschriebenes Naturgesetz, dass diese immer am Ende von großen, breiten Straßen sich befanden, dort, wo viele Menschen waren und wo der Lärm am lautesten war. Axilla lief also immer weiter, merkte sich hier und da eine Ecke, um wieder zurückzufinden, und folgte einfach ihrer Nase, bis sie auf einem der zahllosen Märkte angekommen war.


    Auf dem Viehmarkt, um genau zu sein. Lautstark pries eine Frau ihre Hühner an, weiße Tiere, perfekt für den Opferaltar oder den Suppentopf. Sie hielt sie der Iunia entgegen, die Hühner an den Füßen haltend, dass die armen Tiere wild flatterten und ein paar Federn dabei verloren. Axilla winkte nur lächelnd ab und ging weiter.
    Die Blicke, die ihr teilweise folgten, bemerkte sie nicht. Sie hatte noch immer ihr für die Jahreszeit reichlich luftiges, grünes Kleid nach ägyptischem Schnitt an, dazu die Palla von Serrana, die sie warm hielt. Ihre Haut war wohl so gebräunt für die Römer, wie die Römer für Germanen dunkel waren.


    Sie schaute hier und dort, über Ziegen und Rinder hinweg, bis sie schließlich eine größere Koppel bemerkte. Neugierig trat sie näher an die Holzumrandung und lehnte sich auf den oberen Balken, während sie die Pferde dahinter betrachtete. Es waren große, schwarze Tiere. Renner, würde sie sagen, keine Reitpferde. Dafür waren sie zu groß, das Fell und die Mähnen zu glatt, der Rücken zu schmal. Die hier waren nur schnell und kräftig. Dennoch lächelte Axilla, während sie so hinsah, wie die jungen Hengste sich gegenseitig in leichtem Konkurrenzgehabe zwickten und wilde Capriolen schlugen.
    “He, Mädchen, weg da vom Zaun“, herrschte sie auf einmal ein Mann an, dem die Tiere wohl gehörten.
    Verwirrt schaute Axilla zu ihm hinüber, sich keiner schuld bewusst. “Was ist denn los? Ich schau doch nur.“
    “Dann schau wo anders! Die da sind für zahlende Kundschaft und nicht für Peregrini!“
    Axilla blinzelte verwirrt und sah den Mann an, als wäre er ein mystisches Wesen. Peregrina? Sie war doch keine Peregrina! Wie kam der denn nur darauf? Auch wenn Axilla sonst nicht so mutig war, das musste sie doch eben mal klarstellen, wenn auch etwas lauter. “Was denkst du dir? Ich bin Iunia Axilla, aus dem Geschlecht der Iunier, auf deren Knochen diese Stadt hier steht, du... du... du!“ Ihr viel keine passende Bezeichnung für ihn ein. “Und wenn ich wollte, könnte ich dir deinen ganzen Stall hier abkaufen! Peregrina...“ grummelte sie noch nach und lehnte sich wieder demonstrativ über die Koppel, um die Pferde zu beobachten.
    “Tut mir leid, Herrin, ich habe dich nicht erkannt. Schau nur, es sind gute Pferde. Ich wollte dich nicht verärgern.“ Auf einmal war der Verkäufer ganz kleinlaut und versuchte, zu beschwichtigen. Axilla beachtete ihn erstmal beleidigt nicht weiter, so dass er es auch sein ließ und sie einen Moment einfach schauen ließ. Es gab ja noch andere Kundschaft, der er etwas aufschwatzen konnte, ohne angeknurrt zu werden.

  • Inspirationen. Inspirationen brauchte er, Inspirationen; was wäre ein Künstler ohne sie! Doch war es wirklich eine gute Idee gewesen, zum Sammeln ebendieser an den Viehmarkt zu gehen? Dies fragte sich Piso ganz ehrlich, als er zwischen zwei Hühnerkäfigen, die direkt nebeneinander von einem Vordach hingen, aus einer kleinen Nebengasse auftauchte. Als er sich zwischen den beiden hervordrückte, wackelten die Käfige, und die Hühner fingen an, lauthals zu gorgatzen. Gut, dass er keine Toga dabei hatte, jene hätte sich unweigerlich in den Gerüsten verheddert. Im Staatsgewand am Markt daherzuschreiten wäre sowieso ziemlich daneben gewesen.
    Piso blickte die armen Tiere ein bisschen mitleidig an, als ihre Käfige noch immer ein wenig schwankten, doch sie schon so apathisch waren, dass sie sich kaum mehr selber bewegten, allenthalb schwächlich den einen oder anderen Flügel schlagend. Doch nicht allzu lange glotzte er, er brauchte etwas, was er absorbieren und in seinem Hirn zu Kreativität verwandeln konnte. Vielleicht traf er ja auch die spirituelle Erleuchtung in diesen Gefilden an – was durchaus nett wäre.
    „Hmmm... In seiner Qual, da fleht der König leis‘, zu einer Macht, die ihn... hmmm... liberiert? Nein, nein. Die ihm Stärke schenkt. Genau, so soll es sein.“, flüsterte er vor sich hin. Seine Selbstgespräche ernteten ihm zwar den einen oder anderen seltsamen Blick, doch der schwer konzentrierte Piso bemerkte dies gar nicht. „Die Linderung von Geilheit ihm verheiß... ach, nein, das ist doch nichts... Scheiße!“ Sein Fluch war zwar sophistisch kritisierungswürdig, aber doch sehr passend, denn in genau so eine war er nun hineingestiegen. Immerhin nicht ganz, aber die Sohle seiner rechten Sandale war nun verschmutzt. Er sah nach unten. Pferdeäpfel. Genau das hatte er brauchen können.
    Er suchte sich einen ruhigen Platz, wo er dieses unästhetische Stigma abwischen konnte. Ein Pflock, neben ihm in den Boden gerammt, würde da gut herhalten. Er scheuerte die Sohle gegen das Holz, um somit seinen Schuh sauber zu kriegen – und bekam dabei einen nicht gerade uninteressanten Streit mit, der sich neben ihm abspielte.
    Er blickte von seiner Sohle auf und erblickte einen Verkäufer – ein kleines Männchen im mittleren Alter, mit überproportional großen Händen – und eine junge Frau – eine echte Kardinalschnitte von Frauenzimmer, zumindest befand so der Flavier. Er stellte seinen von tierischen Ausscheidungen halbwegs befreiten Schuh wieder auf den Boden hin und blickte zu den disputierenden Parteien. Er schmunzelte, als die Frau Paroli gab und den Händler einschüchterte. Jener verzog sich auch schamvoll, als sie ihm herausdeutete, welchen Fehler er gemacht hatte.
    Mit einem gut gelaunten Lächeln, trotz der ein wenig verdreckten Sohle (was ihm als Schöngeist sehr störte), trat er zu der jungen Frau hin. „Nicht schlecht gekontert!“, rief er, statt einer Begrüßung, aus. Er war selbstredend bereit, sich auf die Seite des ästhetisch Ansprechenden zu schlagen. Sie war um einiges kleiner als er selber, und trotz ihres leicht exotisch anmutenden Gewandes schaute sie nicht allzu unrömisch aus. Rein vom Äußeren her. „Ich hätte dem glatt noch eine Klage an den Hals gehetzt. Wie heute die Leute mit ihrer Kundschaft umgehen!“, klagte er, als ob ihm gerade das Unrecht widerfahren wäre, nicht der Frau vor ihm.
    Sein Blick fiel auf ihr Kleid. Mit fachmännischer Miene schätzte er es ab. „Ah, ägyptischer Mako. Hmmm...“, brummte er, bevor er eine Augenbraue hochzog. „Entweder hast du ein Vermögen dafür ausgegeben, oder es in Aegyptus selber gekauft.“ Er nahm stark das erste an, den solch weite Reisen sind alles andere als selbstverständlich für junge Damen. „Aber man sieht sofort jemandem die Vorliebe zum geistigen Tiefflug an, wenn jemand denkt, dass nur Peregrini sich in nicht urrömische Gewänder kleiden.“ Er sprach wie ein Experte und kam sich auch wie einer vor. Ob er auch einer war? Nun, dann und wann schon.

  • Es waren wirklich schöne Tiere, und wenn man sie nur zum Ansehen kaufen wollen würde, wären sie sicher einiges wert. Axilla lächelte, als sie ihnen zusah, und wollte gerade auf die untere Bande der Koppel steigen, um sich so über die obere lehnen zu können und den Tieren näher zu sein, als sie jemand ansprach. Im ersten Moment zuckte sie zusammen, bis sie merkte, dass es ja ein Kompliment und kein weiterer Angriff auf sie war.
    Sie drehte sich etwas verlegen nach dem Mann um, der sie so angesprochen hatte und lächelte zu ihm hinauf. Er war ziemlich schnieke angezogen für einen Markt, aber sogesehen war sie ja auch nicht gerade unauffällig unterwegs. Und er war groß gewachsen, bestimmt einen ganzen Kopf größer als sie. Er hatte graue Augen.
    “Ach, so schlimm war es auch nicht. Ich hab mich nur kurz geärgert.“
    Sie drehte sich mit dem Rücken zu dem Zaun und lehnte sich leicht dagegen, während sie dem Fremden weiter zuhörte. Bei seiner zweiten Bemerkung musste sie kurz stutzen, denn sie verstand nicht, was er meinte.
    “Ägyptischer was? … Achso, du meinst das Kleid! Ähm, ja, ist ein ägyptischer Stoff. Habe ich auf dem Xenai Agorai gekauft. Bei Sahid. Oder war es Faslah? Fahir?... Auf jeden Fall ein großer Ägypter mit dickem Bauch und wenn man ihm bei Verhandlungen glauben mag, mindestens einem dutzend Kindern.“
    Axilla plapperte einfach leichthin, ohne sich irgendetwas weiter dabei zu denken. Für sie war der Fremdenmarkt in Alexandria ja etwas ganz alltägliches gewesen, so dass sie da auch unbeschwert erzählen konnte. Und irgendwelche Gedanken über den Stand ihres Gesprächspartners kamen ihr nicht. “Er war auch recht günstig. Ich glaube, ich hab ihn auf 50 Drachmen runtergehandelt. Aber verrat es nicht meiner Cousine, dass ich bei der Konkurrenz eingekauft habe“, fügte sie noch verschmitzt grinsend hinzu.
    Auch seine Bemerkung darüber, ob Römer oder Nichtrömer mal was exotisches tragen würden, nahm sie ganz gelassen. Sie hatte sich zwar schnell und auch heftig aufgeregt über den Mann, aber Axilla verzieh mindestens genauso schnell, wie sie wütend war, und war dem Verkäufer daher schon gar nicht mehr wirklich böse. “Und ich glaube, der hat mich viel eher deshalb verwechselt“, meinte sie also lächelnd und zeigte Piso ihren nackten Arm, der einen sanften Goldton hatte und nicht so hell war wie die winterblassen Römer ringsherum.
    Sie lächelte den Unbekannten noch einen Augenblick lang an, ohne irgendwas weiter zu sagen, ehe sie das bemerkte. Verlegen blickte sie kurz zu Boden und suchte dann ein Gesprächsthema, das über ägyptische Mode hinausging. “Und du suchst ein Pferd?“ fragte sie also ins Blaue hineinratend. Denn warum sonst sollte er hier auf dem Viehmarkt an der Koppel vorbeigelaufen sein?

  • „Kurz geärgert?“ Piso selber hätte, wäre ihm so etwas widerfahren, einen gewaltigen Zirkus aufgeschlagen, dass dem Unvorsichtigen das Hören und Sehen vergangen wäre. Aber ihm stand es ja nicht zu, andere zu kritisieren, dass sie eine inuria nicht als solche auffassten. Als Anwalt sah er einen schönen Fall davonschwimmen, aber er wollte nichts aufzwingen. Zumal er momentan bessere Sachen zu tun hatte als sich mit rechtlichen Sachen herumzuschlagen.
    „Na gut.“, entgegnete er und zuckte ganz leicht mit den Schultern.
    Ihm verwunderte aber, dass sie nicht wusste, was Mako war. „Na, Baumwolle! Ägyptische Baumwolle!“ Dass er den fachspezifischen Namen, nicht irgendwas Verständliches, verwendet hatte, war wieder einmal ganz typisch für ihn. Auch erlehnte sich nun ans Geländer hin, doch etwas erstaunt, dass seine Worte einen solchen Wortschwall hervorgerufen hatten. Er blinzelte ein wenig, als sie sich an den Namen des Verkäufers zu erinnern versuchte. Ein wie geschmiertes Mundwerk hatte die Gute auf jeden Fall.
    „50 Drachmen? Ähm, das sind 50 Sesterzen, oder? Sag, gibt es in Alexandria am Fremdenmarkt noch die Bierstube des Psammetich?“, fragte er sie nun ihrerseits. „Ich kenne Alexandria ein wenig, ist aber schon eine Weile her, dass ich dort gewesen bin. Aber ich habe einen guten Freund in Alexandria, beziehungsweise, habe ihn gehabt, weil er jetzt in Rom lebt. Er hat mich immer auf bestem Stand gehalten, was Aegyptus angeht.“, vertraute er ihr an. „Und deiner Cousine werde ich es wohl nicht erzählen, solange ich nicht weiß, wer deine Cousine denn sein soll.“, schmunzelte er. Sie redete mit ihm wie mit einem ganz alten Kumpel, aber irgendwie gefiel ihm dieser Schneid.
    Ihm wurde ein Arm hingehalten, untermalt von fröhlichem Plappern, und Piso sah kurz drauf. „Ähm... ja, da kann etwas dran sein... gesünder als wir Stadtrömer siehst du auf jeden Fall aus.“, lächelte er und fragte sich, wie er dazu kam, dass er so ein Plappermaul aufgetrieben hatte. Ob sie auf alle, denen sie begegnete, so dermaßen einredete? Aber sie war ganz amüsant, dachte er sich.
    Aber nun schien es der jungen Frau vor ihm auch aufgefallen zu sein, dass sie ihn mit ihrem konstanten Reden etwas aus dem Konzept gebracht hatte. Ein kurzes, irgendwie peinliches Schweigen entstand zwischen den beiden, was Piso fast dazu genutzt hätte, um sich nun zu verabschieden, da hörte er eine Frage.
    Er lächelte und schüttelte den Kopf, bevor er sich in Pose warf (den Kopf leicht zurück und den linken Arm in die Hüfte gestemmt). „Nein, werte Dame, ich bin kein Pferdekäufer, der nach Rössern sucht!“ Seine rechte Hand gestikulierte gen Himmel hin. „Ich bin Künstler, der nach Inspirationen Ausschau hält!“, skandierte er, als ob er ein Gedicht deklarieren würde. Sein Kopf kam wieder nach vorne, in eine normale Position, doch seine Hände blieben, wo sie waren. „Doch leider haben mich die Viehmärkte dahingehend nicht um Vieles weitergebracht. Du musst wissen, ich schreibe ein Gedicht, doch Ewigkeiten dauert es.“ Wissen musste sie nicht, aber Piso wollte, dass sie es wusste. Jeder sollte Notiz davon haben, dass er ein großer Dichter war. Beziehungsweise sei, der Konjunktiv wäre hier angebrachter, weil die künstlerische Begabung des Piso weit davon entfernt war, so heldenhaft zu sein, wie er es dachte.
    „Aber wenn ich dabei ein gutes Pferd kriege, soll es mir auch recht sein.“, fügte er hinzu, nur damit kein Zweifel aufkam. Obwohl seine Taschen zur Zeit alles andere als voll waren.

  • Dass er irgendwie darüber enttäuscht war, dass sie sich nicht aufregte, entging Axilla vollkommen. Sie war mit den Gedanken schon um fünf Ecken weiter und weit davon entfernt, sich irgendwie zu ärgern. Auch nicht darüber, dass ihr Gesprächspartner sich noch größer gab, als er ohnehin schon war. Sie fand das eher lustig und lächelte ihn deshalb freudig an bei allem, was er sagte.
    “Ja, Sesterzen. Also, so in etwa, sie wiegen das gleiche ungefähr, sehen aber anders aus. Ich glaub, ich hab daheim noch ein paar...“ Kurz überlegte sie und schaute ein Loch in die Luft, ehe sie die Schultern wieder lachend zuckte und sich bequemer zurücklehnte.
    “Ich kenn mich mit Bierstuben nicht so gut aus. Wo liegt die denn? Brucheion?“ Axilla vertrug keinen Alkohol, da wurde sie anhänglich und übermütig. Das wusste sie, daher mied sie ihn. Und auch in ägyptischem Bier war Alkohol, wenn auch nicht so stark wie in Wein, besonders dem Palmwein.
    Doch dann bemerkte sie, dass er ja gar nicht wissen konnte, wer ihre Cousine war, da er ja auch gar nicht wusste, wer sie war. Nun, sie wusste auch nicht, wer er war, auch wenn er plötzlich um einige digitus noch zu wachsen schien und sich als großer Dichter auf der Suche nach Inspiration vorstellte.
    “Und meinst du, die hier sind gut?“ Axilla drehte sich wieder um und machte nun ihr ursprüngliches Vorhaben wahr, indem sie auf den unteren Rundbalken kletterte, um über den oberen hinüberreichen zu können. Sie beugte sich ein wenig vor und gab ein paar schnalzende und pfeifende Geräusche von sich, um so eines der Pferde dazu zu bewegen, zu ihr zu kommen. Tatsächlich war einer der Hengste neugierig genug und kam näher, näherte sich der ausgestreckten Hand und schnappte danach, so dass Axilla im letzten Moment gerade noch zurückziehen konnte. “Na, na! Frechdachs!“ schalt sie das Tier lachend und machte eine Bewegung, als wolle sie dem Pferd einen Klaps auf die Nase geben. Das allerdings tänzelte schon längst wieder zurück, so dass sie auch wieder von dem Balken zurückstieg. Wieder bekam Piso ein offenes und ehrliches Lächeln, als sie sich ihm zuwandte und nun nach der kleinen Ablenkung ihren Fauxpas charmant zu überspielen suchte.
    “Ich bin Iunia Axilla. Und meine Cousine ist Iunia Urgulania, die Archepyrtanes in Alexandria grade ist.“ Sie schaute ihn kurz in freudiger Erwartung an, ob er sich auch vorstellen würde, plapperte dann aber auch gleich weiter, ohne ihm so richtig Gelegenheit dazu gegeben zu haben.
    “Und was für ein Gedicht schreibst du? Eine Fabula?“
    Es war nicht nur ein höfliches Nachfragen, Axilla war ja wirklich neugierig. Und nachdem sie bei dem musischen Agon jede Menge Dichtkunst über Hermes gehört hatte, war sie nicht abgeneigt, auch vielleicht etwas anderes zu hören. Sie liebte Gedichte.

  • Hmm, sie hatte ein nettes Lächeln, dachte er sich, obwohl sie wirklich sehr viel redet. Tat einem nicht der Unterkiefer weh, wenn man so viel zu sagen hatte? Piso hielt sich für einen Quatschkopf, er kam sich aber ihr gegenüber wie ein ausgemachter wortkarger Schweigling vor.
    Also hatte sie noch Münzen. „Schön. Ich habe früher mal Münzen gesammelt.“, informierte er sie lächelnd. Wenn es eine andere Frau gewesen wäre, wäre sie Piso schon lang auf die Nerven gegangen. Diese Frau tat dies aber nicht – wie viele Männer konnte er einer Frau stundenlang zuhören, wenn die Kurven passten. Und hier war dies eindeutig der Fall. Ja, Piso konnte dies, als Ästhet, sehr gut beurteilen.
    Er zuckte die Achseln, als sie ihn fragte, wo die Bierstube war. „Ja, im Broucheion, wie schon gesagt, am Xenai Agorai.“ Vermutlich war sie mit dem griechischen Begriff für Fremdenmarkt besser vertraut. Er sprach den griechischen Namen mit einem doch hörbaren dorischen Akzent aus, der allen Römern zu eigen war, die griechisch auf Kreta erlernt hatten.
    Die Episode mit dem Pferd verfolgte er leicht amüsiert. Dass das Pferd nach ihren Fingern schnappen würde, war abzusehen gewesen, wenn man seine Hand so hinhielt, wie man es beim Füttern immer tat. Doch er war zu spät dran, um sie zu warnen, um im Nachhinein wollte er auch nichts mehr sagen. Dummer Gaul, dachte er sich nur, versuchen, anderen Leuten die Hände abzubeißen, das sah so einem Ross wieder ähnlich.
    „Die Pferde, meinst du? Nun ja, es geht so.“, meinte Piso und näherte sich auch seinerseits der Koppel, um darüber hinauszulugen. Er war groß genug, das tun zu können. „Ein wenig mager kommen sie mir vor. Hast du gesehen, wie der eine nach deiner Hand geschnappt hat? Die Viecher sind hungrig.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin eh nicht so der große Reiter. Aber ich sage dir, auf syrischen Pferden zu reiten, das ist ein Vergnügen.“ Er nickte ernst zuerst, und lächelte ihr dann zurück.
    Innerlich wog er schon die Wahrscheinlichkeiten ab, dass die Gute vor ihm wohl ein wenig simpel gestrickt war, da platzte die Bombe. Und zwar nannte sie ihren Namen.
    „Iunia Axilla aus Alexandria?“, machte er erstaunt. „Du kennst nicht zufälligerweise meinen besten Freund Caius Aelius Archias?“, fragte er. „Ich bin Aulus Flavius Piso. Und, es tut mir Leid, deine Base kenne ich leider nicht.“ Ob sie einen von seinen bekannteren Vettern kennen würde?
    Ihre nächste Frage machte ihn stutzig. „Eine Fabel? Ich, Flavius Piso, eine Fabel? Nein, nein, ich schreibe epische Dichtung.“ Stolz reckte er wieder sein Kinn auf. „Es handelt von der Gründung der Republik, von Collatinus, Lucretia, Tarquinius Superbus, und nicht zuletzt deinem illustren Vorfahr Iunius Brutus.“ Denn dass sie ihre Familie auf den umstürzlerischen Iunier (dem ersten, nicht dem zweiten) zurückführte, hatte er schon vorher gehört, als sie sich über die Missachtung des Pferdehändlers erbost hatte.

  • “Wirklich? Hast du noch Münzen, oder hast du sie am Ende doch ausgegeben?“ Axilla war eigentlich kein Münzsammler, aber sie war prinzipiell an allem interessiert, außer, es klang zu langweilig. Und wenn sie Piso vielleicht eine Freude mit ein paar Münzen, die sie nicht vermissen würde, machen könnte, warum nicht? Selbst wenn er ein unbekannter war, er schien nett zu sein. Und er hatte schöne graue Augen.
    Aber die Bierstube kannte sie nicht. Nunja, wenn man kein Bier trank, wozu sollte man dann eine Bierstube kennen, also schüttelte sie nur lächelnd den Kopf, als er ihr sagte, wo sie sei, und zuckte hilflos mit den Schultern. Seinen Akzent hörte sie zwar, aber in Alexandria herrschten so viele, dass sie nicht hätte sagen mögen, dass diese beiden Worte nun wirklich dorisch betont gewesen seien. Vielleicht, wenn sie komplett auf griechisch sich unterhalten hätten – dann nämlich hätte Axilla nur die Hälfte verstanden, da ihr Dorisch kurz gesagt ungenügend war.


    “Ich bin noch nie auf einem syrischen Pferd geritten. Wie sind die denn so? In Tarraco, wo ich aufgewachsen bin, hatten wir kleine Wildpferde. Rappschimmel mit zottigem Fell und struppiger Mähne, aber wunderbar breitem Rücken und leichtem Galopp, so dass man ohne Sattel reiten konnte.“ Erst nachdem sie es gesagt hatte, merkte sie es, und setzte hastig noch ein “Also, die Jungs der Umgebung“ hinzu. Musste ja nicht jeder wissen, dass sie das gemacht hatte und damit wohl gegen so ziemlich jede gute Sitte, die von einer jungen Frau erwartet wurde, verstoßen hatte.
    Doch Axilla kam gar nicht dazu, noch groß abzulenken, denn kaum hatte sie sich vorgestellt, schien es bei ihrem Gesprächspartner einmal 'klick' gemacht zu haben, und er fragte sie nach ihrem Namen, als wäre sie eine Berühmtheit. Axilla überlegte schon fieberhaft, was sie wohl angestellt haben mochte, dass er sie kannte, als er es aufklärte.
    “Ja, natürlich kenn ich Archias! Er war der erste Freund, den ich in Alexandria gefunden habe. Eigentlich eine witzige Geschichte, denn eigentlich wollte ich nur vor der Sonne flüchten und bin in die Post... naja, ist ja eigentlich egal“ Sie wollte ihn nicht schon wieder zutexten und lächelte verlegen, während er sich vorstellte.
    Flavius... Flavius... Es dauerte eine Sekunde, bis die Informationen in Axillas Gehirn aus dem Tumult der Gedanken in ihr Bewusstsein gedrungen waren, und sie sich erinnerte, was das hieß. Kurz schaute sie ganz verwirrt an Piso runter, ob sie irgendwo den patrizischen Halbmond an ihm ausmachen konnte, beispielsweise an seinen Schuhen. Aber bevor sie ihn entdeckt hätte, merkte sie, wie unhöflich ihm ihr Gebahren wohl vorkommen mochte, und verlegen kratzte sie sich am Arm. Sie wusste gar nicht so recht, wie sie nun mit ihm umzugehen hatte, und sagte deshalb erst einmal gar nichts.
    Erst, als er sich aufplusterte und von dem Gedicht erzählte, fing sie sich wieder einigermaßen und musste schmunzeln. Er nahm sich ja reichlich wichtig, aber vielleicht spielte er sich auch nur extra auf. Und da musste sie sich ja fast geschmeichelt fühlen, wenn er über ihren Vorfahr schrieb.
    “Das klingt aber nach viel Arbeit. Homer soll für die Ilias auch Jahre gebraucht haben, oder Vergil für die Aeneis.“ Nicht, dass sie davon ausging, dass die Geschichte ihres Urahns ein ebenso kolossales Meisterwerk verdiente, auch wenn es durchaus etwas war, worauf die Gens zu Recht stolz sein konnte. Aber irgendwas musste sie ja sagen. “Und kommst du gut voran damit?“ Wenn er Inspiration suchte, vermutlich nicht, aber daran dachte Axilla schon gar nicht mehr.

  • Piso zuckte auf ihre Frage hin nur die Achseln. „Ich weiß nicht... Nein. Ich glaube, sie sind noch in meinem alten Kinderzimmer in Ravenna.“ Ravenna. Nicht einmal 10 Pferde würden ihn wieder dorthin zurückbringen. Er hatte abgeschlossen mit Ravenna, und für ein paar Münzen würde er sicherlich seinem Vater nicht noch einmal in die Sichtweite hineinlaufen. Er seufzte ein wenig. „Ein paar parthische waren auch dabei. Mit Vologases I. drauf. Und eine seleukidische. Ich glaube, mit Antiochos XII.“ Ein wenig bedauernd klang er, als er dies sagte. Als ob er von etwas reden würde, was er für immer verloren hatte.
    Sie schien mit seiner Lieblingsbierstube in Alexandria nichts anfangen zu können. Was für schöne Gelage er dort gehalten hatte! Sein dorischer Akzent war auch nicht so schlimm, als dass er unverständlich wäre – wenn man etwas bei ihm nicht verstand, läge es viel eher an seinem lateinischen Akzent, den er trotz großer Mühen nicht so gut abschütteln konnte.
    Er hörte zu, als sie von den hispanischen Pferden sprach, und lächelte. „Ah, Hispania. Schön. Ich war schon einmal dort, schon einige Zeit ist es her. Ich war in Tarraco, Caesaraugusta, Pompaelo und Flaviobriga.“ Beim Gedanken an die letzte Stadt verzog er ein bisschen das Gesicht. Das einzige, was diese hässliche Stadt ihm gebracht hatte, war, dass er sich mit dem Leichnam einer vasconischen Freigelassenen oder Entlaufenen oder was sie auch immer gewesen war herumschlagen hatte müssen.
    „Ach, nur die Jungs? Du bist nicht geritten?“, fragte Piso nach, dem es herzlich egal war, ob eine Frau ritt oder nicht. Wenn man selber keine liberalen Gedanken hielt, nahm es auch niemand einem ab, dass man ein Gemäßigter war – so wollte sich Piso nämlich politisch, wenn auch innerlich recht konservativ, positionieren. Er selber war früher gerne und oft geritten, hatte jetzt aber wohl die Übung nicht mehr.
    Als sie ihm verriet, sie kenne Archias, staunte er aber. Das machte jetzt alles komplett anders! Er riss seine Augen auf und musterte sie erstaunt, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde. Dass dies sein Gegenüber auch tat, registrierte er am Rande, maß dem aber keine Bedeutung bei. „Du bist also Iunia Axilla, die Dichterin!“, rief er erstaunt. „Archias hat mir erzählt von dir. Du hast ihm das Gedicht für Seiana geschrieben.“ Welch Zufall, das gab es eigentlich gar nicht. „Und dabei wollte der gute Archi dich mir vorstellen! Tja, da hätte der Gute früher aufstehen müssen.“, lachte er. „hat er eigentlich von mir einmal erzählt?“, fragte er.
    Bei so einer großen Dichterin (so hatte sie nämlich Archi beschrieben), wollte er wohl, dass er als einer der Ihrigen anerkannt wurde, und so war es kein Wunder, dass er sein gedicht so grandios beschrieb. „Ja, es ist viel Arbeit, ich werde noch einige Zeit damit zubringen! So lange wie die Ilias oder die Aeneis wird es wohl nicht werden. Aber kurz wird es auch nicht.“, beteuerte er ihr. „Und ja, doch, ich komme recht gut voran. Es erscheint mir aber noch ein wenig zu kurz, und ich suche nach Lückenfüllern.“, erklärte er ihr. „Ich brauche ein paar Details zum hineinbringen.“, gestand er ihr.

  • Axilla hatte nicht die geringste Ahnung, ob das die Könige anderer Reiche oder Sandalenverkäufer von nebenan waren, die er da aufzählte. Aber es klang so, als wäre es etwas besonderes, und so schaute Axilla verträumt zu ihrem Gegenüber und versuchte, den Blick in dessen Augen zu deuten. Allerdings konnte sie es nicht, sie kannte den Menschen dort schlichtweg zu wenig, um sagen zu können, ob das echtes Bedauern war oder nicht.
    Und offenbar war er auch schon sehr viel herumgekommen. Nicht nur Alexandria, nein, von Hispania hatte er weitaus mehr gesehen als sie. Sie kannte nicht einmal Tarraco so richtig, hatte ihr Haus doch außerhalb gelegen und waren die Besuche in der Stadt selbst überschaubar wenige gewesen. Die erste, richtige Stadt, die Axilla kennengelernt hatte, war Alexandria – die dafür gleich die zweitgrößte des Reiches war, aber wenn schon, denn schon.


    “Nein, zumindest nicht nackt“ verneinte sie seine Frage nach dem reiten, merkte dann aber, dass man das auch anders auffassen konnte, als sie gemeint hatte. “Also, das Pferd. Nicht ich. Ich meine, ohne Decke oder Sattel, so auf dem nackten Rücken.“ Axilla unterstütze ihren Rettungsversuch mit wilder Gestik und Mimik und hoffte, dass sie sich nicht ganz blamiert hatte. Noch dazu, wo sie doch gerade erfahren hatte, dass es ein waschechter Patrizier hier vor ihr war. Nungut, ihre Gens war auch vor langer, langer Zeit mal patrizisch gewesen, aber das war wie gesagt schon eine ganze Weile her.


    Allerdings hatte sie gar keine Zeit, sich in Grund und Boden zu schämen, denn kaum war das Gespräch auf Archias gekommen, schien ihr gegenüber geradezu zu explodieren vor neuen Informationen. Oh, Archi, du PETZE! dachte sie nur und merkte, dass sie drauf und dran war, rot zu werden.
    “Ach, das war nichts besonderes. Das waren nur ein paar Strophen, ein bisschen was romantisches. Du hättest mal das hören sollen, was er ihr vortragen wollte! Da, da war es meine Pflicht, so als Freundin, dass ich ihm helfe, auch wenn es wirklcih ncihts besonderes war.“
    Axilla sah sich nicht als Dichterin, erst recht nicht in einer Stadt wie Alexandria, wo es im Museion einige Dichter gab. Und schon zweimal nicht, wo sie das musische Agon miterlebt hatte. Wenn sie versucht hätte, ihr Gedicht auch noch zu singen, währen sämtliche Singvögel vor Schreck in den Norden geflogen, und in ganz Aegyptus wäre die Milch sauer geworden. Naja, vielleicht nicht ganz so schlimm, aber sie hatte keine Singstimme.


    Gebannt lauschte sie, dass er tatsächlich über ihren berühmten Vorfahr, den 'nobelsten unter den Römern', wie ihn Caesar Augustus selbst genannt hatte, ein Werk schreiben wollte. Das klang... wow, sie wusste gar nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie schaute einfach nur verzückt zu ihm hoch und lächelte ihn offen an.
    “Was für Details brauchst du denn?“ fragte sie neugierig. Vielleicht konnte sie ihm ja irgendwie ein bisschen helfen? Sofern er Hilfe wollen würde, hieß das.

  • Mit den Namen parthischer und seleukidischer Könige konnte sie scheinends nichts anfangen, stellte Piso innerlich fest, als er doch eine gewisse Unkenntnis in den Augen der Iunierin erblickte. Nun ja, es konnte eben nicht jeder genau so gescheit, so wunderbar und sowieso nur noch fantastisch sein wie er selbst, dachte sich Piso und lächelte die junge Frau milde an. Mittlerweile hatte er eigentlich nicht mehr das Gefühl, dass es mit ihrem Intellekt weit her wäre.
    Sie ging auf seine Reisebeschreibungen gar nicht ein, was in Piso den Verdacht weckte, sie wäre gar nicht daran interessiert. Das wäre ja komisch. Das konnte nicht sein. Seine Geschichten waren immer hoch interessant, das konnte niemand, der bei klarem Verstand war, abstreiten.
    Was sie aber nun sagte, veranlasste ihn, eine Augenbrqaue hochzuziehen. Nackt Pferde reiten? Und ob Piso das falsch verstand? Natürlich verstand er das falsch. In Gedanken sah er Axilla, bar jeder Kleidung, auf einem Pferd sitzen – ein gar nicht mal uninteressanter Gedanke. Sie berichtigte, was sie gesagt hatte, untermalt von kreativer Gestik, die Piso, als bekannter Gestenliebhaber, durchaus gefielen; doch aus Pisos Hirn kam dieser Gedanke gar nicht mehr heraus. Axilla nackt, das wäre sicher ein gefälliger Anblick. „Ich habe...“ Er hüstelte. „...auch noch nie Pferde... öhm... nackt geritten.“ Er verbiss sich ein Grinsen, dass sicherlich vom einen zum anderen Ohr gegangen wäre, und Axilla sehr offensichtlich gezeigt hätte, wie sehr Piso empfand, dass sie sich lächerlich gemacht hatte. Nur der Respekt vor einer Freundin seines besten Freundes hielt ihn ab, und so lächelte er sie nur freundlich und verständnisvoll an (mittlerweile konnte er das besser als früher, wo er, wenn er sich daran versucht hatte, nur ein schmieriges Grinsen a la „bestechlicher Zuhälter mit verborgenem Dolch“ zustande gebracht hatte).
    Die Sprache kam auf Axillas Gedichte. Es wäre also nichts besonderes gewesen. Gut möglich, aber hätte Archi sich damit abspeisen lassen? Er war ja sonst kein Banause (denn wenn Piso das von ihm gedacht hätte, wäre es mit ihrer Freundschaft nicht mehr weit her gewesen). Irgendetwas musste das Gedicht geheißen haben. „Oh, ich bin mir ganz sicher, es war formidabel!“, meinte er deshalb ehrlich.
    Auch wenn Pisos Gesangsstimme, objektiv betrachtet, um einiges schlimmer sein musste als Axillas Stimme, wäre ihm niemals eingefallen, das einzusehen. Wenn er anderen von seiner wundervollen Stimme erzählte, war dies keine Lüge, sondern nur eine Fehleinschätzung, die Piso sein Leben lang nicht realisieren würde. Natürlich sang er in der Öffentlichkeit nicht mehr, seit diesem... Dings... am Forum... halt... den Zwischenfall. Und seitdem er von Furianus einen auf den Deckel gekriegt hatte, nicht einmal mehr in den meisten Teilen der Villa Flavia. Doch trotzdem – Piso tat dies nur nicht, weil er dachte, niemand würde den künstlerischen Wert seiner Stimme begreifen.
    Das sie ihm nun anbot, ihm bei seinem Gedicht zu helfen, nahm er sehr gerne auf. „Nun, vielen Dank! Ich denke einfach, beim Ende fehlt etwas. Soll ich dir die letzten, sagen wir, 5 Strophen vortragen? Ich denke, ich kann sie aus dem Gedächtnis.“, gab er an.

  • Er veralberte sie, wenn auch nur ein wenig. Wenn Axilla gewusst hätte, wie er über sie dachte, wäre das Gespräch jetzt wohl beendet gewesen. Sie war vielleicht ein wenig blauäugig, aber sie war auch stolz, was eine ziemlich unvorteilhafte Mischung war. Allerdings konnte sie keine Gedanken lesen und auch nicht in seinem Gesicht, das ein Politikerlächeln zeigte. Und so schaute sie nur beiseite und nahm sein etwas seltsames Lob mit gemischten Gefühlen auf.
    Das Gedicht war in ihren Augen wirklich absolut nichts gewesen, worauf sie hätte stolz reagieren sollen. Es war eine kleine Gefälligkeit gewesen, etwas, das in fünf Minuten entstanden war. Nicht ein großartiges Meisterwerk, wie er es offenbar plante. Sie kam sich daneben ganz albern und kindisch vor, und war eigentlich ganz überrascht, dass er sich offenbar wirklich von ihr helfen lassen wollte.
    “Dann bist du schon fertig damit?“ stellte Axilla noch eine neugierige Zwischenfrage. Wenn nur am Ende etwas fehlte, klang das ja so, als fehlte eigentlich nur noch der letzte Feinschliff. “Also, gerne, wenn du sie mir vortragen magst. Ich würde es wirklich gerne hören.“
    Dass das auf dem Viehmarkt vielleicht etwas merkwürdig anmuten mochte, kam ihr wiederum nicht in den Sinn. Sie war neugierig, und wenn Piso ihr den Gefallen tun wollte, würde sie es sich auch hier und auf der Stelle anhören.

  • Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpel... nein, das war was anderes, aber Pisos Gesichtsgymnastik, mit dem er sein Antlitz malträtiert hatte, als er ausführlich vor dem impluvium des Atriums der Villa Flavia die hohe Kunst des unverbindlichen Grinsens geübt hatte. Sehr gut, dass seine Kenntnisse jetzt griffen.
    Sein leichtes Necken war fast schon ein bisschen zuviel gewesen. Denn, sie war ja nett! Nichts dagegen zu sagen. Er hörte mit Wohlwollen, wie sie nun tatsächlich bereit war, ihm nun, auf der Stelle, zu helfen.
    „Nein, ich bin noch gar nicht fertig, aber ich mache das Ende schon jetzt, damit ich weiß, worauf ich hinsteuern soll.“, vertraute er ihr an. „In Wirklichkeit dauert es noch so seine Zeit. Das Rohkonstrukt ist aber schon fertig!“ Er wirkte ziemlich enthusiastisch.
    „Gut, dann trage ich es dir vor. Also gut, vorher spricht Collatinus ein Gelübde, dass er den Tod der Lucretia räche. Und dann geht es so weiter...“ Wer wusste, vielleicht würde Axilla jetzt seinen inneren Gedanken Lügen strafen? Denn Piso war durchaus nicht einer, der die Bewertung eines Menschen nur auf den ersten Eindruck zurückführte.
    Er holte also tief Luft und schmetterte los. Inmitten des Viehmarktes, zwischen Tierkot und Methanausdünstungen.


    „Er spricht’s, und auf die Brust die Hand ausstreckend,
    Küsst er die Unglückskling’, als Eides Zeugen,
    Die Übrigen zu gleichem Eid erweckend,
    Die sich, erstaunend, seinen Worten neigen,
    Dann knieend sich vereint zur Erde beugen;
    Und Brutus wiederholte, wie zuvor,
    Das heilige Gelübd’, und Jeder schwor.


    Nachdem sie dieses Strafgericht beschworen,
    Beschlossen sie, Lucretia fortzutragen,
    Und bei dem Leichnam vor der Römer Ohren
    Tarquin’s verworfne Missetat zu klagen;
    Dies ward sofort vollbracht, wie vorgeschlagen,
    Und willig von den Römern insgesamt
    Tarquin für ew’ge Zeit aus Rom verbannt.


    So fristet jetzt der Schurke seine Zeiten
    Nun im Exil, hoch im Etruskerland.
    Nie wieder konnt‘ er Rom in Ehren leiten,
    Zu schwer wog dazu seine große Schand‘.
    Tarquinia war’s wo er sein Ende fand.
    Vergessen von den, die ihm folgen taten
    Starb er, arm, einsam, und zerlumpt, verraten.


    Recht geschah es ihm, dem Schuft Tarquin,
    Der sein Recht auf Herrschaft hat vertan.
    Er beraubt‘ des guten Collatin,
    sein edles Weib, dem armen guten Mann.
    Was hatte Tarquin ihm bloß angetan?
    So fristete der Collatinus bitter,
    von nun an seine restlich‘ Zeit als Witwer.


    So ward Lucretia tot, beraubt des Lebens,
    doch aus dem Tod entsprang ein neues Licht:
    Ihr Dahingeh’n war so nicht vergebens.
    Dadurch wurd‘ nun das Königtum Geschicht‘.
    Die Republik entstand, die Tyrannei bricht,
    Das Opfer, herb, tat Rom die Ehren schenken
    Welche nun dienen Lucretias Angedenken.“



    Er blickte Axilla fragend an. „Was denkst da davon? Ein bisschen undetailliert, oder? Ich will gerne ein bisschen mehr Information hineinpacken.“

  • Axilla fand die Idee interessant, das Ende vor dem Anfang zu schreiben. Sie wäre da stur der Reihenfolge nach gegangen, aber wenn sie so darüber nachdachte, war diese Methode eigentlich viel besser! Wenn einem etwas zu Mitte einfiel, dann schrieb man einfach die Mitte, und wenn einem etwas gutes für das Ende einfiel, dann schrieb man eben das Ende. Gut, bei ihr würden dann sämtliche Teile am Ende nicht zusammenpassen, aber so verhinderte man schon, dass es einem langweilig wurde, weil einem nichts passendes zur jetzigen Stelle einfiel.
    Anerkennend schaute also Axilla zu dem Flavier hoch, als dieser dann plötzlich Luft holte und losdonnerte, als gelte es, ganz Rom an seinem Werk teilhaben zu lassen. Einige Passanten drehten sich überrascht zu ihm um, und die Pferde, die sich erschreckt hatten, versuchten erstmal möglichst viel Platz zwischen sich und den lauten Mann zu bringen, indem sie zum anderen Ende der Koppel wild wiehernd rannten.
    Axilla musste kichern und nahm ganz schnell die Hand vor den Mund, um es zu verstecken. Das Gedicht war zwar nicht so lustig, aber wie Piso sich dafür ins Zeug legte, das schon. Aber sie wollte nicht so gemein sein, dass er am Ende noch dachte, sie würde ihn auslachen, denn so war es ganz sicher nicht. Sie versuchte also, möglichst so auszusehen, als würde sie überlegen und nicht grinsen, bis der Flavier scheinbar fertig war und sich ihr zuwandte.
    “Hmhm“, machte sie einmal schmunzelnd und räusperte sich dann, um ihrer Stimme jegliches Amüsement zu nehmen. Sie wollte ihn ja nicht verärgern. “Es geht alles ein bisschen schnell, oder? Also, gerade ist Lucretia gestorben, und dann wird Tarquinus ja schon verbannt. Das klingt, als wäre es so einfach gewesen, oder?“
    Axilla glaubte, zu verstehen, was er meinte, fasste es aber so nochmal zusammen. Nicht, dass sie von verschiedenen Sachen sprachen.
    Die Menge unterdes ging kopfschüttelnd weiter, und der Lärm des Viehmarktes überdeckte wieder ihr Gespräch. Offenbar waren die weniger beeindruckt, als es vielleicht Pisos Intention gewesen wäre.

  • Dass so viele Leute herschaute, konnte natürlich nicht daran liegen, dass es doch ein wenig befremdlich war, dass unvermittelt ein Mann, ein adeliger noch dazu, wenn man zu den Sandalen schaute, mitten am Viehmarkt von Rom, dem sonder Zweifel unlyrischsten Schauplatz zwischen Po und Sizilien, anfing, ein Gedicht, beziehungsweise ein kleines Stückchen davon, loszubrüllen. Die Iunierin fuhr sich mit der Hand ans Gesicht – sicherlich wegen vor Schrecken ob der Genialität und der wundervollen Ausführung des Gedichtes. Sogar die Pferde wieherten, sicherlich konnten auch die Tiere spüren, welch wundervolles Schaffen sich hier vollzog. Rezitieren war fast so spaßig wie singen, und unterlag nicht derselben gesellschaftlichen Kritik. Piso dachte sich, er sollte sich mehr in diese Richtung einbringen. Das wäre sicherlich spaßig.
    Apropos spaßig, wieso grinste sie so, als er fertig war? Sichtlich war sie angetan von der Kunstfertigkeit, mit der Piso seine Verse mühsam geschmiedet hatte. „Ja, das weiß ich, und dies ist eben das, was mich am Gedicht stört. Vor allem, weil die Geschehnisse vorher.... sehr... sehr detailliert sind.“, untertrieb er. „Und...“ Er kratzte sich hinten am Kopf mit der rechten Hand. „...ich habe mich gefragt, ob du vielleicht wießt, wie ich das ein wenig ausführlicher beschreiben kann. Vor allem die Geschehnisse in der ersten und der zweiten Strophe. Denn, wie du es schon gesagt hast, einfach ist das nicht gewesen. Die historischen Quellen sind einfach wenig ausführlich...“ Er zuckte die Schultern. „Also ist künstlerische Freiheit geboten. Vielleicht wird er ja schreiend aus seinem Palast gezerrt? Oder aber er findet sich damit ab, dass er verbannt wird? Oder er flieht, um nicht von den Römern gelyncht zu werden?“, schwirrten schon einige Ideeen in des Flaviers Kopf herum.

  • Uff, er fragte sie, wie er es ausführlicher machen konnte? Normalerweise hatte Axilla mit Ausschmückungen kein Problem. Sie redete und redete die meiste Zeit so viel, dass einige Gesprächspartner von der schieren Menge sich so erschlagen fühlten, dass sie gar nichts mehr darauf erwiderten. Das war sozusagen auch Teil der Verwirrungstaktik, wenn Themen in eine Richtung gingen,d ie ihr cnith gefielen. Aber bei der Sache jetzt, das war schon etwas schwieriger.
    “Nun, er war ja ein König, auch wenn er ein Tyrann war. Da sollte er vielleicht nicht zetern und fluchen?“ Axilla war sich nicht sicher, ob das nicht theatralischer zwar gewesen wäre, aber ein König sollte nicht rumheulen. Das gehörte sich nicht, auch nicht für Tyrannen. Außer natürlich, er wurde davor als derartig beschrieben. “Wie ist er denn vorher im Gedicht beschrieben? Es sollte halt passen, denke ich?
    Und vielleicht kannst du noch das Begräbnis etwas ausführen? Also, die Rede, die Brutus dann gehalten hat, mit der er die Herzen des Volkes erweichte und auf seine Seite brachte. Oder so...“

    Axilla wollte ihm ja nicht vorschreiben, wie er sein Gedicht zu schreiben hatte, es waren ja nur Vorschläge. Denn eigentlich kannte sie sich mit sowas ja gar nicht so gut aus. Oder hätte sich wie der Flavier getraut, das ganze so laut vorzutragen. Wieder musste sie ein wenig schmunzeln.
    “Wie kamst du eigentlich darauf, genau darüber dein Werk zu schreiben?“ fragte sie noch neugierig weiter.

  • Piso räusperte sich gewichtig. „Nun, er war ein Tyrann, und das Wort Rex impliziert ja auch nichts anderes. Ein König kann per se keine positive Gestalt sein. Obwohl, Gezetere und Gejammere... Tarquinius Superbus wird als ein Mann beschrieben, der weiß, was er tut. Er weiß, dass es verboten ist, was er tut, ja, fühlt sich sogar schlecht deswegen irgendwie, aber er macht es ohnehin, denn er wähnt sich unverwundbar. Dies ist er aber nicht, wie die Rebellion zeigt. Was denkst du, wäre in diesem Fall präferabel... Gezetere? Wehrt er sich? Oder fügt er sich in sein Schicksal?“, sinnierte er. Das war durchaus eine interessante Frage. „Darüber könnte man noch einmal ein Gedicht schreiben. Aber ich glaube, Zetern würde auch nicht passen, denn in seinem Exil in Tarquinia machte er nie wieder den Versuch, zurückzukehren nach Rom.“ Er überlegte kurz. „Denn er ist feige. Jawohl, das ist es. Ich denke, er sollte, wenn er die Nachricht erhält vom Beschluss des Volkes, aus Angst flüchten. Genauso, wie er am Anfang des Gedichtes der Belagerung von Ardea entfloh, um Lucretia zu vergewaltigen!“ Er blickte Axilla an. „Denkst du, das ist geeignet? Ist das eine Idee?“, fragte er sie. Der Enthusiasmus glomm aus seinen Augen. Dass er sie nach ihrer Meinung fragte, zeigte eines deutlich – er dachte nicht mehr dasselbe von ihr als noch vor ein paar Minuten, wo sie freimütig zugab, die parthischen und seleukidischen Herrscher nicht zu kennen.
    „Und ja, sicherlich, das Begräbnis. Brutus‘ Schwur auch? Ja, da könnte man ein paar Motive hineinpacken, die ich im Gedicht unterstreichen will. Der Kampf gegen das Schicksal, von einem Tyrannen gegängelt zu werden.“, fantasierte er. „Ja, wo er die Leute auf seine Seite bringt... doch es ist eben so, dass durch die Vergewaltigung der Lucretia das Volk schon aufgebracht genug ist. Da muss er sicher nicht viel reden.“ Er zuckte die Schultern. „Aber da, was er redete, kann man ja niederschreiben.“
    Er redete nun seinerseits wie ein Wasserfall, als die Ideen aus ihm heraussprudelten.
    Als sie jedoch ihn nun fragte, wieso er dieses Gedicht schreib, unterbrach er sich und blikte sie wieder an. Dieses Mal jedoch mit einem anderen Blick, einem der Trauer – ja, der Resignation. „Ich will dadurch etwas überwinden.“ Er schwieg kurz, bevor er sich spezifizierte. „Eine unerfüllte Liebe, die auch nie hätte sein können. Die zerbrach am Schicksal, so wie die Beziehung zwischen Collatiunus und Lucretia.“, machte er leise.

  • Und plötzlich sprudelte Piso vor Ideen beinahe über, und Axilla hatte fast schon Mühe, ihm zu folgen. Wäre sie nicht selbst die ungekürte Königin des Gedankensprungs, hätte sie seine Rede wohl verwirrt. So aber sprang sie einfach mit ihm mit und nickte bekräftigend oder schüttelte den Kopf, wenn er zweifelte. “Nein, zetern ist nicht gut. Aber aus Angst fliehen, das ist eine gute Idee. Das passt zu der feigen Tat an Lucretia.“ Auch Axillas Augen sprühten vor Begeisterung, aber mehr, weil sie da sehr leicht anzustecken war und der Flavier so enthusiastisch war.
    “Natürlich das Begräbnis auch. Und den Zorn des Volkes vielleicht als Höhepunkt? Oder ist das zu viel? Die wogende Kraft des wütenden Volkes, bereit zu rächen, was an Frevel...“ Axilla musste lachen, weil sie sich so lyrisch auszudrücken anfing, und hatte den Satz auch schon wieder vergessen, den sie sagen hatte wollen. “Also, ich würde es sehr gerne hören, wenn es dann fertig ist. Aber dann nicht hier am Viehmarkt.“
    Dass sie sich damit selbst einlud – oder auch ihn – zumindest indirekt, bemerkte Axilla gar nicht. Nur das hier war nicht der richtige Rahmen für so ein Werk, fand sie. Außerdem hatten die vielen Blicke vorhin sie beinahe rot werden lassen. Axilla war es nicht gewohnt, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.


    Warum er das ganze machte aber, ließ sie ihre Euphorie kurz beiseite schieben. Mitfühlend – oder besser, wissend – schaute sie ihn fragend an. “Du bist verliebt?“ fragte sie ihn leise und sanft. Axilla fühlte deshalb keine Eifersucht oder Überlegenheit. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden liebte, den man nicht haben konnte. Ganz genau.
    Aber im nächsten Moment merkte sie, wie persönlich die Frage war, und sie kannten sich gerade mal vielleicht eine halbe Stunde, wenn überhaupt. Ihre Wangen überzog eine leichte Röte, und ihr Blick wandelte sich ins Ertappte. “Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein. Ich meine... geht mich ja eigentlich nichts an...“, versuchte sie noch zu retten.

  • „Genau, vor Angst fliehen!“, jubilierte Piso. „Dabei kann man auch Paralellen ziehen zur Tatsache, dass er am Anfang des Gedichtes aus Ardea entflohen war. Und so schließt sich der Kreis. Durch die Flucht des Tarquinius beginnt das Drama, durch die Flucht des Tarquinius endet es.“ Die Iunierin schien mittlerweile auch schon komplett begeistert ob der Idee des Gedichtes, was Piso nur noch mehr aufschaukelte.
    „Selbstverständlich! Auch das Nachspiel, welches die Schändung der Lucretia hat, soll zur Geltung kommen. Schließlich war dies eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Roms!“ Und er würde darüber schreiben! In seinen Augen war alles komplett verklärt. Man würde wohl noch in 2000 Jahren in Klassenzimmern Piso übersetzen. Wenn der Text bis dahin nicht verloren ging. "Wart, was hast du gesagt? Die wogende Wut des Volkes entbrennt, Tarquinius vom Throne zu stürzen... oder so etwas Ähnliches. Und ja, natürlich.“, meinte er nebenher. „Ich möchte das Gedicht gerne in einer familiären Darbietung vortragen. Und, da du mit Archias befreundet bist, bist du auch eingeladen. Schließlich bist du eine Inspiration für mich gewesen. Jetzt weiß ich, wie das Gedicht enden wird.“ Fröhlich war er auf jeden Fall.
    Was sich schlagartig verlor, als sie nachhackte, was sein Motiv anging, dies zu schreiben. „Verliebt?“, echote er wenig sinnvoll. „Ich... ja... war es, kann man sagen.“ Er senkte den Blick und winkte nur ab, als sie versuchte, sich zu entschuldigen.
    „Das passt schon.“, murmelte er und richtete seinen Blick wieder auf. „Es war nur... schwer für mich, wahrzuhaben, dass es vorbei war. Das Gedicht zu schreiben, um auf andere Gedanken zu kommen, war die Idee einer Bekannten.“ Ach, Laevina, wie sollte er sie bloß in die Villa Flavia hineinschmuggeln, wenn er zum Gedicht lud? Ambivalent blickte er sie an, leicht zögerlich. „Aber... es schmerzt noch immer.“, vertraute er ihr leise an. Wieso, wusste er auch nicht.

  • Das ihre Frage ihn so ausbremste, hätte Axilla sich eigentlich denken können, nein sogar müssen. Aber sie hatte nicht daran gedacht, ihr Mundwerk war mal wieder schneller gewesen als ihr Verstand, und nun tat es ihr leid. Aber zurücknehmen konnte sie es leider nicht. Und so schaute sie nur etwas verlegen, während Piso ihr gestand, dass er verliebt gewesen war und es vorbei war, und schaute zum Teil verlegen, zum Teil mitleidig zu ihm hoch.
    Kurz kaute sie sich auf der Unterlippe, weil sie unschlüssig war, ob sie ihrem ersten Impuls folgen sollte, und dann trat sie noch einen Schritt auf ihn zu, so dass sie mit ihm flüstern konnte und es sonst kein anderer hier hörte. Sie glaubte, sie war ihm ein paar Worte schuldig, und sie machte sich über unangebrachte Nähe nicht so viele Sorgen.
    “Das hört nicht auf, zu schmerzen. Aber man gewöhnt sich daran, und irgendwann vergisst man, dass es Schmerz ist, den man dabei fühlt, und man lacht wieder.“ Axilla sah unsicher zu Piso auf. Er hatte schöne, traurige, graue Augen. Sie suchte kurz darin, ob er sie vielleicht verstanden hatte, und trat wieder zurück, als wäre nichts gewesen.
    Als der Moment der kurzen Nähe und Verbundenheit vorbei war, lächelte Axilla wieder, als wäre nichts vorgefallen. Sie nahm einfach das alte Thema wieder auf und plapperte einfach drauf los, was ihr einfiel.
    “Wenn man dich so hört, muss ich mich ja richtig geschmeichelt fühlen. Die meisten Männer haben eine Muse als Inspiration. Nicht, dass die Göttinnen noch eifersüchtig werden.“ Sie legte frech den Kopf schief und grinste Piso an, dann sah sie sich kurz auf dem Platz um.
    Etwas weiter hinten war eine kleinere Versammlung, und Menschen klatschten im Takt. Man konnte es bis hier hin hören, aber Axilla hörte die Melodie, die das Klatschen begleitete, nicht. Sie schaute eine Weile, bis sie sah, dass ein paar Leute tanzten. Kurz überlegte sie, was das sein konnte.
    “Sind heute Faunalia?“ fragte sie schließlich, schon zum zweiten Mal das Thema wechselnd, und sah Piso fragend an. Sie hatte keine Ahnung, welches Datum war, sie wusste nur, es war Anfang Dezember.

  • Sim-Off:

    Wie schon gesagt: Tschuldigung...


    Piso hatte wieder etwas getan, was typisch für ihn war. Von einem himmelhoch jauchzenden Zustand war er in ein verdammt tiefes Loch gefallen, welches den Flavier fast physisch darniederdrückte. Der arme, arme Piso, sein Herz schien bersten zu wollen! Seine Emotionen wollten schier aus ihm herausströmen, in der Form eines Schreis, oder eines sonstigen Lautes, den zu beschreiben die Leserschaft entsetzen würde. Im stets oszellierenden Gemütsverlauf des Flaviers befand er sich so weit unten, dass auch die tröstenden Worte von Axilla ihn nicht wirklich hervorzerren konnte. Immerhgin versuchte sie es aber, und Piso lächelte sie dankbar an (zumindest versuchte er es, was rauskam, dürfte eher eine fast schmerzverzerrte Grimasse sein).
    „Denkst du das? Nun, vielleicht hast du recht. Doch fast glaube ich, ich werde noch an meinem Lebensende da sitzen und mir denken, was ist mir da bloß durch die Lappen gegangen...“ Er schnaubte, irgendwie amüsiert schon, und schüttelte den Kopf. „Aber trotzdem. Danke, Axilla. Danke.“ Er hatte sie beim Cognomen genannt, ohne dass es ihm aufgefallen war. Aber nun war, so suggerierte wohl sein Unterbewusstsein, eine Vertrauensbasis zwischen der Plebejerin und ihm geschaffen worden, die Namenskonventionen einfach übersprang.
    Es erschien ihm aber erstaunlich, als sie plötzlich wieder fröhlich auf das alte Thema zurückkam. Piso wäre nicht Piso gewesen, wenn er nicht sofort – er war ein sehr guter Verdränger – in die selbe Kerbe geschlagen hätte. War sie wohl so flatterhaft wie er? Allgemein wurde dies nicht als positive Charaktereigenschaft gesehen, doch Piso fand, sie machte einen Menschen nur interessanter.
    „Ach, die Musen, von denen habe ich genug, um ehrlich zu sein.“, meinte er. „Alte Geschichte.“ Er winkte ab, das Thema war einfach ein wenig zu bitter für ihn. „Und so was wie ich will Priester werden.“, lachte er. Sein Entschluss, Septemvir zu werden, stand schon fest, doch hatte er, jetzt, am zweiten Tag der Faunalien, noch wenig in die Wege geleitet.
    Apropos Faunalien. Auch er hörte das Klatschen udn Gejohle, das von hinten kam. Piso runzelte die Stirne. Prozessionen waren schon dubios. Ästhetisch und dann hie und da doch wieder vulgär. Es kam darauf an, wo man sich befand. Ob die Faunalien am Viehmarkt wirklich so wundervoll wären?
    „Ja, es sind die Faunalien. Der zweite Tag.“, bestätigte er, der wie jeden Morgen von der treuen raetischen Sklavin Phrima das Frühstück und Informationen zum neuen Tag in diesem entzückenden Akzent bekam. Beim Gedanken daran musste er schmunzeln. „Ja, ich würde gerne sehen, was die dort treiben. Kommst du mit? Oder willst du noch Pferde schauen?“ Die von seiner Dichtkunst noch immer komplett verstörten Pferde hatten natürlich schon längst das Weite gesucht und wurden am anderen Ende der Koppel mittlerweile durch Passanten mit Möhren verköstigt.

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