arbor felix | Ein Baum fällt selten allein

  • II - III


    Kalte Regentropfen perlten aus dunklen, graufarbenen Wolken, welche tief über der Stadt hingen und die Welt in ein schattenloses, diffuses Dämmerlicht tauchten. Jede Perle aus Wasser schimmerte einen marginalen Augenblick vor seinen Augen, ehedem sie in einem sanften Ton sich nieder setzte auf die Hülle der Realität, sich einreihte in die sonore Komposition der Symphonie, welche in dieser Art Wohlklang nur die Natur konnte hervorbringen. Längst hatten die salzigen Tränen aus den Winkeln seiner Augen sich vermischt mit dem himmlischen Nass, und obgleich er dankbar war, dass die Götter des Wetters mit ihm weinten, die Spuren seiner Trauer verwischten, so war er doch ebenso bereit, der gesamten Welt der Erwartung und Pflicht zu entsagen, schlichtweg zu sein, was er war, zu fühlen, was er fühlte, zu tun, was er tun musste. Er war nur ein Mensch, überwältigt von tiefster Trauer und endlosem Schmerz, und er musste dem eine Möglichkeit geben, aus ihm hinaus sich zu ergießen, dass sein Leib nicht aus seinem Innersten heraus zerriss, dass nicht sein Verstand erdrückt wurde zwischen den zusammenstürzenden Mauern seines Selbst - so wie Aulus war zerdrückt worden unter den Massen einstürzenden Gebälks. Noch immer nicht konnte er begreifen, wie dies hatte geschehen können, noch immer quälte ihn der Gedanke, dass sein Vetter würde noch leben können, niemals wäre in diese Falle getappt, hätte er nur an jenem Morgen ein wenig ihn angetrieben zur Eile, dass sie gemeinsam zum Senat wären aufgebrochen.
    "Aulus"
    , flüsterte er in den Schleier aus Regen, und wie ein Kiesel, den er geworfen hatte, fielen die Silben in einen Teich seines Bewusstseins, ließen die bis dahin ruhig daliegende Oberfläche des Wassers in Bewegung geraten, dass konzentrische Kreise sich formten, welche an die Gestade seines Verstandes die Erkenntnis spülten, dass es eben dies gewesen war, was Piso hatte vom Angesicht der Welt gerissen, dass es nicht nur die wahnwitzigen Entwicklungen der Realität waren gewesen, sondern eben diese Nähe zwischen ihnen, welche den Fluch hatte seine eisigen Klauen ausstrecken lassen nach seines Vetters Leben.
    "Warum hast du nicht einfach mein Leben be..halten, als du es schon zwischen deinen Händen hieltest?"
    fragte er leise, doch vorwurfsvoll die knorrigen Zweige des arbor felix vor sich und vergoss noch einige Tränen mehr. Nur das Prasseln des Regens bot eine Antwort, das leise Säuseln des Windes, und es ward beides ihm wie das zufriedene Lachen der Larven und Lemuren, das wohlige Schmatzen blutüberströmter Lippen, das zufriedene Seufzen vom Lebenssafte seiner Liebsten befeuchteter Kehlen und gesättigter Mägen. In diesem Augenblicke wurde er sich des Entschlusses gewahr, dass er diesen Fehler niemals wieder würde begehen, nie wieder einen Menschen mit seinem Praenomen würde bedenken, nie wieder das Vertrauen würde suchen zu einem Verwandten oder Freund, nicht einmal noch Marcus je wieder derart nahe an sich heran lassen. Er würde sich hüllen in einen Kokon aus Distanz und Kälte, dass niemand mehr auch nur freiwillig seine Nähe würde suchen, dass niemand jemals wieder in die Verlegenheit ihn würde bringen, sich in freundschaftliche Vertrautheit sich ihm nähern zu wollen. Neuerlich überrollte ihn die Fassungslosigkeit über das Geschehene, schüttelten ein Ausbruch von Trauer und Schmerz seinen Leib wie die kalte Feuchtigkeit den Stoff auf seiner Haut durchdrang, ballte sich zu Wut zusammen, dass er über die niedrige Umzäunung hinweg auf den Baum zu trat und in einem trotzigen Aufbegehren gewaltsam einen kleinen Ast von diesem brach - so lange daran riss und zerrte bis dass er ihn gelöst hatte -, etwa einen digitus im Durchmesser, einen pes lang.
    "Dies ist Aulus' Teil deines Glückes"
    , knurrte er den arbor felix anklagend an.
    "Denn da du es ihm im Leben hast ver..wehrt, so soll es ihm im Tode dienli'h sein!"
    Er blickte auf das nasse Holz und drehte sich fort, längst durchnässt bis auf die Haut, um zurück in das Haus zu gehen. Ein leises Zittern hatte Besitzt von ihm ergriffen, erwachsen aus der Kälte des Regens, doch er war fest entschlossen, diese Kälte nicht länger nur auf seinem Äußeren verharren zu lassen, sondern sie aufzunehmen in sein Innerstes, sie in sich zu inkludieren bis dass selbst die Larven würden im eisigen Hauch seines Lebens erstarren.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

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