Refugia MFG | Jedem Zauber liegt ein Sterben inne

  • Als Gracchus nach dem Gespräch mit Serapio zu Hause angelangte suchte er umgehend sein Cubiculum auf. Bereits den kurzen Weg über die Alta Semita aus der Lokalität zurück zur Villa Flavia war er in sich versunken, hatte seine Kiefer aufeinander gepresst, die goldfarben gemusterten Kissen der Sänfte mit seinem Blicke gelöchert und an sich halten müssen, nicht die Fassung zu verlieren über das Ende der Welt, welches über ihn war hereingebrochen.
    Ich bin wieder mit jemandem zusammen.
    Aller ungestüme Hass, aller aufbrausende Zorn den Faustus ihm nach dem Bürgerkriege hatte entgegen gebracht - Gracchus sehnte sich nun nach dieser Heftigkeit zurück, denn dies war zumindest leidenschaftliche Emotionalität gewesen, welche Serapio für ihn hatte erübrigt. Gleichgültigkeit war allfällig der falsche Ausdruck, den derzeitigen Zustand zwischen ihnen zu beschreiben, doch selbst die Verve, welche ab und an in ihren Worten hatte mitgeschwungen, selbst die freundschaftlichen Berührungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Liaison endgültig und unwiederbringlich beendet war.
    Ich bin wieder mit jemandem zusammen.
    Standesdifferenzen, unendliche Distanz, gar ein Bürgerkrieg auf differenten Seiten hatte ihre Liebe auseinander gerissen - doch was auch geschehen war, ein Funke von Hoffnung hatte stets vermocht in Gracchus' Herzen zu glühen, während seine eigene Sehnsucht ungebrochen war. Doch jemand - Borkan - erstickte endgültig jedes Glimmen. Serapio sehnte sich nicht im Mindesten nach der Vergangenheit, er hatte sie längst begraben und ein neues Fundament darüber gepflastert.
    Borkan.
    Was war er nur für ein törichter Narr? Wie hatte er glauben können, dass kein anderer Faustus würde begehren - ausgerechnet Faustus, den hehren Heroen? Wie hatte er annehmen können, Faustus würde nicht wieder einen anderen begehren? Aus Serapios Sicht war diese Liaison längst beendet, vor Jahren bereits, nur er hatte wie ein alberner Jüngling, wie ein alter Tor noch sich an klägliche Hoffnung und kümmerliche Zuversicht festgeklammert.
    Ach Manius.
    Zusammengekauert auf seinem Bett, das Gesicht im Kissen verborgen suchte Gracchus die in sich aufsteigenden Gefühlswallungen zu unterdrücken, den Vulkan aus Schmerz und Trauer in sich zu ersticken. Doch ein jedes Mal so er sich in das kostbare Kleinod seiner Erinnerungen flüchtete, jene wertvollen Gelegenheiten rekapitulierte, welche in ungestümer, in zarter oder elysäischer Liebe ihnen vergönnt waren gewesen, hallten Faustus' Worte wieder und wieder durch die Hallen seines Gedankengebäudes, zerbrachen ihm neuerlich das Herz, zerbrachen ihm seine Seele - jene Seele, welche er geglaubt hatte mit Serapio zu teilen -, und mit jedem neuerlichen Klang stieg die glühende Lava der Desperation in ihm empor, biss dass sie sich endlich in salzigen Tränen über die Hänge seiner Wangen hinab eruptierte. Als endlich die erlösende Defatigation der Nacht ihn übermannte war Gracchus mehr als überzeugt, dass auch er dies würde beenden müssen, Faustus ziehen lassen und einen Schlussstrich unter diese Liaison setzen - endgültig.

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Umflossen von graufarben, trübem Wasser wogte sein schwereloser Leib inmitten einer von bleichem Schaum gekrönten Welle, welche unbeeindruckt von menschlichem Darben und Hoffen durch den Fluss des Lebens sich dahinschlängelte ohne dass er ihre Richtung konnte bestimmen. Fest umschloss seine bleiche Hand sich um die des Geliebten, der aus der Sonnenbarke heraus sich über ihn beugte, auf dessen Antlitz die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen ein ganz eigentümliches Spiel vollführten als zeigten sie dessen Gedankenstürme nach außen hin.
    "Du musst loslassen, Manius."
    Seine Füßen traten in die endlose Leere der Tiefe, fanden keinen Halt, während in weiter Ferne das öde Festland vorbei zog, auf welchem nichts je wert gewesen war, dort zu verharren, nur Ruinen und Fragmente eines Heimes, ein grünfarbenes Feuer, das zu kalt war, um daran sich zu wärmen.
    "Ich kann nicht! Ich kann nicht schwimmen ohne dich! Bitte lasse mich nicht los, Faustus, nehme mich zu dir, gewähre mir einen Platz in deinem Boot, dass wir den Rest des Weges gemeinsam fahren!"
    Serapio blickte über die Schulter, ein Lächeln aus Zufriedenheit und Glück auf seinen Lippen tragend, welches vor unendlich langer Zeit einst ihm hatte gegolten, nun jedoch verflog als der Heroe sich wieder dem tosenden Flusse zuwandte.
    "Ach Manius. Hier ist kein Platz mehr für dich. Hier sitzt schon jemand. Lebe wohl."
    Bestimmt löste Faustus seine Finger aus seiner Hand, wandte sich ab von ihm und ließ sein Boot auf den Kuppen der Stromschnellen reiten, welche mit jedem Augenblicke es weiter und weiter fort von ihm entrissen. Er wollte nach ihm rufen, wollte ihm hernachschwimmen, doch sein Atem war kraftlos, seine Beine und Arme zu schwer, ausgezehrt und müde - unendlich müde - sein Leib zu starr, um noch sich über Wasser zu halten. Wie die Nacht in den Tag eindrang und sukzessive übernahm, drang die Kälte in seinen Geist, überkam ihn die Leere der Hoffnungslosigkeit und zerbrach ihn. Und während der kühle Nordwind aufzog und die Einzelteile seines Wesens über die Welt hin verstreute ohne dass irgendjemand bereit war, sie zu suchen und durch seine grenzenlose Liebe zurück ins Leben zu erwecken, tauchte die knöcherne Hand des Charon in das Wasser und zog ihn empor, zog ihn mit Leichtigkeit auf ein Floß aus Haut und Knochen, gefertigt aus den Überresten der Toten seines Lebens.
    "Vergiss den Decimer, Herr"
    , drang die vertraute Stimme seines Faktotums an sein Ohr, und es schien ihm als hätte er geschlafen - zu lange geschlafen - und darob die Grenze verpasst.
    "So bin ich verloren"
    , rekapitulierte er wortlos seinen Zustand, über sich den silbrigen Flügelschlag des Graureihers am düsteren Horizont ausmachend, der stets unbeeindruckt mit beiden Beinen im Wasser stand und jederzeit bereit war, zuzustoßen oder zu fliehen.

    ~~~

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  • An einem der folgenden Tage saß Gracchus in seinem Officium, ein Pergament und Tinte vor sich, ein leises Seufzen auf den Lippen, ein trüber Schatten auf seiner Seele, eine endlose Schwere um sein Herz. Um seiner Beziehung zu Faustus endgültig ein Ende zu setzen musste alles gesagt und alles gegeben sein, was für diesen bestimmt gewesen war. Eine geraume Weile starrte er nur auf das unbefleckte Pergament bis dass er schlussendlich nach dem kühlen, bronzenen Kalamos griff und langsam Wort und Wort aufmalte. Sorgsam verfasst er die Zeilen, suchte seiner Schrift den Schwung aus alten Tagen zu verleihen, doch auch nach all den Jahren war sie noch immer unpräzise und krakelig. Einige Augenblicke gab er sich der Überlegung hin, ob nicht besser Sciurus diese Nachricht sollte aufsetzen, doch letztlich entschied er sich dagegen - Faustus würden diese Worte ohnehin nicht mehr bedeutsam sein, zudem konnte er nur loslassen, was er selbst vergab.

    osculum supremum


    Faustus,


    Viel zu lange bereits gären diese Verse in mir, erschaffen in einer Zeit als die Ferne uns trennte, als - noch ungeahnt - unser Ende bereits determiniert war. Ihre Bedeutung mag verblasst sein und doch gieren sie nach Freiheit, welche ich zur Erreichung der meinen ihnen gewähren muss. Dir waren sie bestimmt, und zweifellos wirst du verstehen, dass Worte, welche einem Menschen bestimmt sind, keinem anderen zuteilwerden können, darob bist du der einzige Akzeptant, welcher ihr Fatum erfüllen kann schlichtweg in dem Augenblicke, da sie ein einziges Male gelesen werden. Die Vergangenheit bleibt vergangen, doch ich hoffe, du kannst sie zumindest in guter Erinnerung behalten.


    Nachdenklich betrachtete der Flavier die Worte, las sie noch einmal - leise artikulierend und dabei ihre Klangfarbe abschmeckend -, seufzte wiederum und zerriss schlussendlich das Pergament. Er wollte nicht Faustus' Gegenwart durch die Vergangenheit molestieren, denn schlussendlich hatte jener diese längst beschlossen. Er allein war es, welcher des erlösenden Abschlusses bedurfte. So begann er noch einmal, zensurierte jedwede Explikation, jede Andeutung der Gegenwart, entließ nur jene Worte in Freiheit, welche der Vergangenheit entstammten - und welche doch, so sehr er auch dies suchte zu supprimieren, in ihrer gegenwärtigen Wahrheit ihn unendlich torquierten. Verstohlen - als könne irgendjemand ihn beobachten - wischte er mit dem Daumen einen Tropfen aus dem Augenwinkel, ehedem er das Schriftstück faltete und einen Flecken heißes Siegelwachs auftrug. Zuletzt blies er sorgsam über das blutrotfarbene Wachs bis dass es genügend erkaltet war - könnte nur sein Herz in gleicher Weise erkalten -, um einen Abdruck seiner Lippen darin zu verewigen - zweifelsohne würde Faustus sich ohnehin dieser Form nicht mehr entsinnen. Nur wenig Augenblicke ließ er noch in stiller Einkehr vorüber ziehen, sodann sandte er eilig einen Boten aus, die Nachricht zu überbringen, ehedem er sie noch einmal würde zurückhalten. Doch auch als dieser letzten Pflicht endlich war genüge getan konnte Gracchus nicht die Leichtigkeit von Freiheit in sich verspüren, lastete der endgültige Abschied seiner geliebten Seele ihm schwer auf dem Herzen. Eine Ewigkeit von Schwermut und eine Unendlichkeit von Melancholie später fasste er schlussendlich einen Entschluss, welcher alles würde verändern, welcher jeglichen künftigen Schmerz noch im Keime würde annihilieren: Nie wieder würde er einem Manne sein Herz und seine Seele schenken, nie wieder einem Manne Herz und Seele sich ergeben.
    "Nimmermehr."

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Blutrotfarben schimmernd ergoss sich der Wein aus dem Brunnen in das Impluvium, aus dem besten Stücke des marmornen Bacchus strömend, welcher neckisch dazu eine Kithara zupfte. An den Wänden des Atrium wachten die wächsernen Masken der Ahnen und was sie sahen ließ immer wieder in Schrecken sie ihre Miene verziehen, alsbald die hohlen Augen zukneifen, alsbald ein stöhnendes Weh! oder Oh! aus ihren schattenschwarzen, leeren Mündern entweichen. O tempora, o mores! erklang eine erquickende Elegie aus den Mäulern goldblondgelockter Löwen, welche in endlosem Kreise eine der Säulen umrundeten, an welcher ein kecker Faun sich von oben herab hängen und von einem geflügelten Amor purpurfarbene Trauben füttern ließ. Zur anderen Seite hin reihten sich tanzende Leiber, muskulös und wohlgeformt, dem des Hephaistion similär, doch gekrönt von Köpfen aus gleichgültigem Desinteresse, welches im Takte der Musik sich zwischen Apathie und Lethargie wiegte. Überall dazwischen, auf den Klinen, den Stühlen, dem steinernen Boden, an und um Säulen, auf Tischen und im Geäst der Weinranken an der Decke tummelten sich Sklaven, nackt bis auf die Haut, allenfalls mit goldglänzend blinkendem Schmucke oder bunten Mustern und Zeichnungen verziert. Er war dieser Sklave, er war all diese Sklaven - jener auf der Kline, jener zwischen den dunklen, grünen Weinblättern, jener auf dem Tisch zwischen Obst und Fleisch, jener um die Säule neben dem Bacchus. Er war ein Sklave und er war alle - und er liebte einen Sklaven und er liebte alle. Wenn er küsste, so küsste er sich selbst, wenn er umarmte, so lag er in seinen Armen, wenn er einen Leib liebkoste, so war es der seine. Inmitten dieses orgiastischen Treibens thronte Aurelia Prisca, ihr schwarzfarbenes Haar den Schlangen der Medusen gleich, ihre blaufarbenen Augen eisig funkelnd und feurig glühend zugleich, in der einen Hand einen Kelch mit seinem Blute schwenkend, in der anderen eine lederne Peitsche schwingend.
    "Tanz, Pathicus, tanz!"
    lachte sie lauthals und ließ das Leder im Takte der Musik knallen, dass er angespornt durch ihre Macht seinen Leib schneller drehte, in ekstatischem Reigen seine Glieder bewegte bis dass das Blut in seinen Ohren rauschte, bis dass der Atem ihm beinahe ausblieb.
    "Tanzt, Pathici, tanzt!"
    gebot sie ihm, gebot sie ihnen allen, dass alle sich regten und wandten, dass er im Rausch der Musik starb, dem Takt ihrer Peitsche sich alle unterwarfen, die Pathici, die Sklaven, er und alle, selbst die kopflosen Leiber des Hephaistion.

    ~~~


    Ohne seiner nächtlichen Träume sich gewahr zu sein beschloss Gracchus am folgenden Tage, dass es an der Zeit war, den Schmerz über die Vergangenheit durch eine freudvolle Zukunft zu ersetzen. Genau genommen pressierte ihm dieses Unterfangen mit einem Male recht heftig, denn der reine Entschluss zur Entsagung seiner Sehnsucht hatte diese deplorablerweise nicht im Geringsten mindern können. Aus diesem Grunde ließ er Sciurus ein Schreiben an Aurelia Prisca aufsetzen.

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  • Nachdem die gewichtige Entscheidung getroffen war hatte Gracchus einige Tage sich darin versucht, die Absicht in die Tat umzusetzen, hatte erprobt das ihm Fremde zu delektieren, hatte Formen und Bewegungen, Worte und Ausdrücke in sich aufgesogen, hatte seinen Horizont durchbrochen und geweitet - doch abgesehen davon, dass dies Unterfangen generell nicht gar so einfach war, gestaltete es im Grunde seines Wesen sich ihm letztlich komplizierter und strapaziöser als er dies hatte angenommen, ob dessen er beschloss, den Rat einer Koryphäe einzuholen. Da er nicht nur diese Angelegenheit, sondern zudem auch die kürzlich vergangene und nun gegenwärtige Lage würde verschriftlichen, war es an diesem Tage Sciurus, der die Worte seines Herrn auf eine Tabula niederschrieb, um sie hernach fein säuberlich auf ein Pergament zu übertragen. Gracchus indes saß lässig zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch und ersann Zeile um Zeile bis dass er letztlich mit der Klangfarbe jedes Satzes zufrieden war - so zufrieden wie mit seinem grandiosen Entschlusse das Notwendige mit dem Angenehmen zu verbinden.

    Marcus Flavius Aristides, Villa Flavia, Baiae


    Gruß und Heil dir, teuerster Vetter in der Ferne!


    Wie geht es dir und der Familie in Baiae? Ich hoffe, ihr alle befindet euch wohl und wart unbehelligt von aller Sorge um den Augustus, welche den Staat zuletzt umtrieb. Erfreulicherweise kann ich dir berichten, dass diese Sorge alsbald ihr Ende finden kann, denn vor kurzem hat der Senat mit Aquilius Severus einen überaus viablen Manne von tadelloser Herkunft und mit den Idealen unseren Standes erfüllt zum nächsten Imperator statuiert. Es ist somit nurmehr eine Angelegenheit von kurzer Dauer, bis dass die innere Stabilität und Sicherheit Roms wieder gänzlich gewährleistet ist.


    Zweifelsohne hat euch im Zuge jener Unbeständigkeit auch die Kunde erreicht, dass unter jenen, welche zur Wahl des nächsten Princeps nominiert wurden, auch mein Name genannt worden ist. O Marcus, es scheint mir dies wie ein großer Schalk des Schicksales, denn wie hätte ich mich zum ersten aller Männer erkiesen lassen können wenn es doch unbezweifelt weitaus bessere Kandidaten im Staate gibt, und gleichsam kann ich mir doch sicher sein, dass eine solche Gelegenheit niemals wieder emergieren wird! Die Chance auf eine zweite flavische Dynastie - unwiederbringlich vertan durch all das Zögern und Zaudern meines Lebens, denn in Anbetracht meiner anfänglichen Errungenschaften, in Anbetracht meiner Lebensjahre hätte ich doch längstens viel weiter vorangekommen sein können auf meinem Wege als nur in die Reihen der Praetorier, hätte ich längst meine Tauglichkeit im Consulat und der Verwaltung einer Provinz beweisen können! Unwiederbringlich vertan, nicht nur die Chance Rom in ein neues Zeitalter zu führen - bei Apollo und Angerone, du kannst dir nicht einmal vorstellen, wie sehr es mich danach dürstet und wie viel ich bereits bereit war, dafür zu riskieren! -, auch die Chance für die Familie. Zweifelsohne wäre es auch mit den adäquaten Prämissen nicht einfach gewesen, die Senatoren zu überzeugen, zweifelsohne wäre ein Erfolg der Wahl nicht gewiss gewesen - doch allein die Tatsache, dass der Versuch dessen nicht einmal eine Erwägung wert war in Anbetracht des kümmerlichen Fundamentes, welches ich Rom bieten kann, schmerzt mich zutiefst.


    Um so mehr bin ich nun entschlossen, die mir bestimmte Pflicht nicht länger hinauszuzögern, und letztlich gar habe ich bereits vor dem kaiserlichen Dahinscheiden mich dazu durchgerungen, endlich den letzten Schritt des Cursus Honorum zu wagen. Um die Voraussetzungen zu diesem Unterfangen zu erfüllen, habe ich darob Aurelia Prisca, die Witwe des Piso, gebeten, meine Gemahlin zu werden. Sowohl sie, als auch ihr Tutor Aurelius Lupus haben dem zugestimmt, so dass der Eheschließung nichts mehr im Wege steht außer dass wieder gänzlich Ruhe einkehrt in Rom. Wie du dir zweifelsohne gewahr bist basierte dieser Entschluss auf vollkommen rationalen Überlegungen, doch obgleich diese noch immer vorrangig sind und an der Favorabilität dieser Verbindung keinerlei Zweifel besteht, hat das Schicksal entschieden, dass ich zudem bereit bin, dieser Causa eine weitere, neue Dimension zu verleihen - und hierzu benötige ich deine Hilfe.


    Ich möchte es offen und ehrlich geradewegs herausschreiben, teuerster Vetter - ich bin der Männer überdrüssig. Es schmerzt mich zutiefst, doch eben nichts anderes bringt es am Ende hervor - Schmerz und Quälerei, Pein und Desperation! Was nützen die schillernden Reminiszenzen an wertvolle Augenblicke und schöne Stunden, welche bereits ihr Ende in sich tragen noch ehe sie recht begonnen haben, was nützt die Vollkommenheit der Liaison wenn es doch nur ein klandestines Unterfangen bleibt und darob stets von der Hässlichkeit der Lüge befleckt ist, was nutzt all die Hingabe, wenn nichts als verzehrende Verlassenheit verbleibt? Ich bin der Enttäuschung Leid, Marcus - und wenn ich nun bereit bin, den Männern zu entsagen, so erscheint mir die herannahende Eheschließung gleich einer Prädestination! Denn welche Liebe könnte zuträglicher und gedeihlicher sein als jene zwischen Gemahl und Gemahlin?
    Mein Dilemma indes liegt darin begründet, dass selbst nach dem Entschluss der Abkehr vom Manne keine Frau mich anzuziehen vermag, darin inkludiert die Aurelia - weder der Gedanke an jene, noch der Anblick dieser namentlichen, aber auch keiner anderen. Wohl ästimiere ich ihre Anmut und Grazie, ihren Scharfsinn und Verstand, ihre Sittsamkeit und Tugend, doch dies tat ich bereits zuvor, und nichts davon gereicht dazu mich in jene Verzückung zu versetzen, welche meinen Leib und insbesondere mein Herz imstande ist in Flammen zu entfachen. All meine Hoffnung ruht darob auf dir, Marcus, auf dass du mir offenbaren magst, wie dies Mysterium zu lösen ist! Nur zu gut entsinne ich mich des schwarzhaarigen Mädchens, welchem du in Achaia deine unerschöpfliche Liebe schenktest, an jene Frauen in Rom, welche du liebtest wie keine jemals zuvor, und nicht zuletzt kenne ich wohl keinen anderen Manne, welcher seiner Gemahlin je derart in Liebe war zugetan wie du deiner Epicharis. Wenn es auf dieser Welt eine Kapazität in Angelegenheiten der Liebe zwischen Mann und Frau gibt, so bist dies zweifelsohne du, Marcus! Darob bitte ich dich inständig, lieber Vetter, weihe mich ein in dein Geheimnis und lasse mich wissen, wie ich in Liebe entbrennen kann zu einer Frau, nicht nur in physischer Lust, sondern in jener vollkommenen, hehren Liebe zwischen zwei Herzen.


    Teuerster Vetter, voller Ungeduld erwarte ich deine Antwort, weiters hoffe ich sehr darauf, dass du den Weg wagen wirst und mir in Rom beistehst zur Feier der Eheschließung! Selbstredend werdet ihr noch rechtzeitig eine Einladung erhalten sobald der genaue Tag determiniert ist.


    Mögen die Götter dich und die deinen mit ihrer Gunst bedenken und stets über euer Wohl und Glücke wachen!


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  • Bereits nach einem Tag begann die Ungeduld in Gracchus emporzusteigen, denn selbst in dem Wissen, dass die Nachricht einige Tage würde benötigen, um in Baiae anzugelangen, dass Marcus einige Zeit würde benötigen, eine Antwort zu verfassen, und schlussendlich diese Antwort wieder einige Tage würde bis Rom benötigen, mochte er nicht tolerieren, dass der Erfolg seines Unterfangens derart verzögert wurde. Das Aufeinandertreffen mit Prisca vor der Regia hatte ihn regelrecht beflügelt, seinen Entschluss nurmehr gefestigt, doch ihm gleichsam aufgezeigt, dass sein Gemüt seinem Verstand nicht anstandslos wollte folgen. Aus diesem Grunde instruierte er schlussendlich Sciurus nach weiteren Optionen zu suchen - welche sein Faktotum schon am nächsten Tage ihm offerierte.

  • In den Tagen nach Serapios Besuch verfiel Gracchus mehr und mehr in zermürbende Grübelei - über dessen Worte, über den Abschied selbst und das, was darauf folgte. Endlos drehten seine Gedanken sich in Kreisen ohne einer Antwort je näher zu kommen, sanken tiefer und tiefer hinab im endlosen oceanos ungelöster Fragen.
    "Sciurus?"
    wandte er sich in einem Augenblicke nachdenklich an den Sklaven, welcher seit langer Zeit ihn begleitete und stets verlässlich war. "Ja, Herr?" blickte dieser von den Schriftstücken, welche er für Gracchus ordnete, empor.
    "Hast du dir schon einmal darüber Gedanken gemacht, was der Sinn und Zweck dieses Lebens ist?"
    "Ich bin ein Sklave, dies ist der Sinn und Zweck meines Lebens", erwiderte Sciurus ohne Zögern.
    "Mhm"
    , war Gracchus keinesfalls zufrieden mit dieser Erkenntnis.
    "Und wünschst du dir bis..weilen, etwas anderes zu sein?"
    Wieder antwortete der Sklave ohne einen Augenblick des nachdenklichen Innenhaltens. "Nein, Herr, dies würde meinem Sinn und Zweck zuwider laufen."
    "Dass du dir etwas wünschen kannst oder etwas anderes zu sein?"
    "Beides."
    Langsam hob sich Gracchus' Braue ein wenig empor in der desolaten Erkenntnis, dass Sciurus' und sein Leben ähnlicher waren als dies ihm bisweilen lieb war. Beide waren sie Gefangene ihrer Herkunft, beiden war der Sinn und Zweck ihres Lebens determiniert. Oberflächlich betrachtet mochten einem Flavier mehr Freiheiten sich bieten, doch letztendlich war seine Pflicht ihm ebenso bestimmt wie einem Sklaven. Ein tiefes Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, gefolgt von einer Zeit der Stille, welche nur durchbrochen wurde durch das leise Knistern der Pergamente, deren Ordnung Sciurus wieder hatte aufgenommen.
    "Angenommen, diese Fügung würde dur'hbrochen"
    , begann der Flavier nach einer Weile erneut.
    "Die Götter - oder was immer dazu fähig sein mag - würden dich aus deinem Leben entnehmen und dich an eine andere Position stellen, welche du frei könntest wählen. Welche Position wäre dies?"
    Sciurus blickte wieder empor und obgleich kaum eine Regung auf seinem Antlitz zu entdecken war, konnte Gracchus diesmalig förmlich sehen wie der Sklave nachdachte, was in ihm selbst eine gewisse Spannung in Erwartung der Antwort evozierte.
    "Keine andere als diese, Herr."
    Mit einem kleinen Schnauben und der Lockerung seiner Muskulatur, welche er unwillkürlich hatte angespannt, quittierte Gracchus die Wahl seines Sklaven. Wenn auch die Substanz ihres Lebens similär mochte sein, so waren sie in ihrem Naturell doch different, fehlte Sciurus doch jegliche Phantasie, jegliche Leidenschaft und Eigensinn. Anderem Blute entsprungen wäre er zweifelsohne die Perfektion eines Flaviers, jener hehren Idee der Existenz, welche Gracchus stets hatte angetrieben, in deren Erfüllung er indes nur konnte scheitern. Er widmete sich wieder einige Zeit seinem eigenen Dokument, las jedoch kaum die Zeilen, da seine Gedanken weiter kreisten, von der Rigidität der Existenz hin zu deren Fortbestand.

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  • "Sag, Sciurus, glaubst du, dass die Existenz nach dem Tode fortbesteht?"
    Neuerlich blickte der Sklave auf, zögerte diesmalig jedoch nicht. "Ich glaube nicht, Herr. Über Dinge, über die ich nichts weiß, treffe ich keine Aussagen."
    Gracchus seufzte - eine philosophische Diskussion mit seinem Vilicus war bisweilen eine überaus enervierende und unbefriedigende Angelegenheit.
    "Wie dem auch sei, nehmen wir für einen Augenblick an es gibt eine Existenz nach dem Tode, natürlich rein hypothetisch. Dazu folgende Gegebenheiten: erstens, diese Existenz ist nicht ge..bunden an den physischen Körper des Menschen. Dies ist zweifelsohne ein Fakt, denn wir verbrennen den Leib eines Toten, so dass - im Rahmen unserer Hypothese - nur die Seele fortbestehen kann. Zweitens, die Wahrnehmung der Zeit ist gebunden an den Körper. Wie die Zeit verrinnt spüre ich am eigenen Leibe, um mich her nehme ich den Fortgang der Zeit durch meine Sinne wahr, während in dem Augenblicke, da ich meinen Körper vergesse und nurmehr mein Geist sich in etwas ver..tieft - etwa beim Lesen eines spannenden Epos oder dem Besuche eines mitreißenden Theaterstückes -, ich auch die Zeit vergesse, und erst hernach wird mir dies bewusst, wiederum rein körperli'h, etwa da mir meine Augen vom intensiven Lesen oder mein Gesäß vom langen Sitzen schmerzen."
    Er ließ eine kurze Pause folgen, um sich der Aufmerksamkeit des Sklaven zu versichern, welcher mit unbewegter Mine seinen Ausführungen folgte.
    "Soweit also die Fakten. Die Konklusion ist somit ein leichtes, wiewohl unausweichlich. Wenn die Zeit nur durch den Körper erlebbar ist, die Existenz nach dem Tode indes keine Körperli'hkeit - zumindest nicht in dieser Form - kennt, so wird in der Existenz nach dem Tode die Zeit nicht mehr wahrgenommen. Lange Jahre des Wartens, ein Lebensalter, die Un..endlichkeit gar werden somit als ebenso lange wahrgenommen wie ein kurzer Moment. Stimmst du mir zu?"
    "Im Sinne deiner Annahmen scheint dies logisch, allerdings nur solange du keine weiteren Fakten in deine Überlegung aufnimmst, beispielsweise eine, wie du es nennst, andere Körperlichkeit nach dem Tod, die ebenfalls Zeit wahrnimmt. Eine Hypothese ist außerdem eine schlechte Grundlage, um in dieser Angelegenheit eine endgültige Entscheidung zu treffen, Herr. Womöglich gibt es keine Existenz nach dem Tod oder jeder lebt dann in seiner eigenen Welt und du triffst nie wieder auf den Decimus."
    Unwillkürlich hob sich Gracchus' Braue, indes war Sciurus bereits zu lange sein Leibsklave, um nicht zu ahnen, worauf er hinaus wollte. Wieder echappierte ihm ein Seufzen, sodann hob er seine Hand und knetete einen Augenblick seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger.
    "Es ist nicht nur Faustus. Ich ... Es ist diese gesamte Existenz, welche mir derart verschwendet vorkommt. Zweifels..ohne habe ich bereits den Zenit meines Lebens überschritten, doch wenn ich zurückblicke, kann ich nur wenig entdecken, was ihm einen Sinn hätte verschafft, und blicke ich voraus, so evoziert dies nur Widerwillen, wiewohl jene Furcht, welche beständig alles zu dur'hdringen scheint. In der Ehe mit Aurelia ... Prisca ... kann ich nur scheitern, denn niemals werde ich ihr sein können, was sie verdient. In meiner Familie bin ich längst ... überholt, meine Verwandten bedürfen keines Rückhaltes mehr und meine Kinder ... sie sind mir so fremd, wie ich ihnen sein muss."
    Letztlich hatte er nicht den geringsten Schimmer einer Ahnung, was in den Köpfen seiner Nachkommen vorging. Minor war distanzierter denn je, Flamma hielt sich von ihm fern und zeigte sich wortkarg, und Titus gedeihte weitaus besser bei seinem Onkel in Baiae.
    "Und Rom ... Rom erwartet nurmehr eines von mir, doch dieses Consulat, Sciurus, dies ... ist meine größte Furcht von allen. Bevor wir ... vor diesem unsägli'hen Tage des Todes Valerianus' war ich bereit, diesen Schritt zu gehen. Ich hätte Durus schlichtweg nicht zustimmen dürfen, dem Vinicier den Platz zu lassen. Damals hätten meine Verbindungen, meine Reputation zweifelsohne ausgereicht, um eine Mehrheit zu erlangen. Im rechten Augenblick als Consul die Ma'henschaften des Vesculariers zu unterbinden ... bei den Göttern, es hätte alles anders verlaufen können!"
    Mit einem leichten Kopfschütteln suchte er die Gedanken an jenen Tag und all jene Leben, deren Tod dies vielleicht hätte verhindern können, wieder in sich zu begraben.
    "Doch heute ... ich bin auch politisch überholt, Sciurus. Meine Verbindungen sind tot oder auf ihren Landgütern weit fort von Rom, im Senat herrschen abwe'hselnd die Barbaren oder die Zänker, und meine Reputation ... ist nichts mehr wert. Darüber hinaus ... und ob alldessen, hege ich schlichtweg die Befürchtung, auch an diesem Amt nur scheitern zu können."
    Er fixierte die ausdruckslosen, graufarbenen Augen des Sklaven.
    "Was also bleibt noch zu erwarten? Was sollte mich daran hindern, diesen einen Schritt zu gehen, und nach dem nä'hsten endlosen Augenblicke mich endlich in Vereinigung mit jenem wiederzufinden, nach dem es mich sehnt?"
    Letztlich lief alles doch nur auf Faustus hinaus und Sciurus schwieg in Ermangelung einer Antwort. Nach einigen Augenblicken der Stille ließ Gracchus eine unwirsche Handbewegung folgen.
    "Geh und lasse mich allein!"
    Als die Türe sich hinter dem Sklaven geschlossen hatte, starrte Gracchus lange noch unschlüssig in den Raum hinein, im Grunde seiner Seele ein wenig besorgt über die Tatsache, dass das Leben und die Zukunft dessen ihm mehr Furcht bereiteten als der Gedanke an den Tod und davor, dass allfällig danach keine Existenz würde warten.

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