Ein Königreich für ein Kindermädchen

  • Avianus guckte. Hatte er sich wohl von seinem Sohn abgeschaut. Der guckte schließlich auch immer, wenn er nicht gerade nicht existente Wörter quietschte oder an irgendwelchen Dingen herumlutschte, von denen mindestens die Hälfte nichts in Mündern zu suchen hatte. Jedenfalls guckte nun auch sein Vater, und noch dazu wenig begeistert. Da war nämlich nichts. Nichts wovon? Nichts davon, wohin der Sohnemann von nun an besonders oft gucken sollte. Da war keine Sklavin, die aussah als wäre sie auch nur einigermaßen gut darin das zu tun, worin sie am besten absolut unglaublich gut sein sollte. Rein gar nichts Brauchbares am gesamten Stand. Leere Versprechen austeilen und Märchen auftischen, dafür hatten die Händler Roms ein ausgesprochenes Talent. Da war ein Bär von einem Kerl, der den kleinen Lucius womöglich unter seinem Daumen zerdrücken könnte, was aber nicht nur wenig hilfreich beim Windeln wechseln wäre, sondern auch noch reichlich ungesund. Dann war da ein kleines Mädchen, fast noch ein Kind, sodass er vermutlich ein Kindermädchen fürs Kindermädchen bräuchte, dachte sich der Tribun sarkastisch. Und der Händler stand auch noch herum, den er nicht einmal dann gewollt hätte, wenn er ihn zum Sonderpreis für ein paar Kröten bekommen hätte. Unverlässliche, hässliche, alte Männer hatte er schon mehr als genug am Hals – im Grunde war ja schon kein einziger genug.
    Dicon neben ihm, dem die Situation reichlich unangenehm war, scharrte unglücklich mit dem Fuß herum und scharrte krakelige Kreise und Muster in den Dreck.
    "Lass das bitte."
    "Ja, also ... Dominus ... wir könnten doch einfach zum nächsten gehen ...?"
    "Welcher nächste denn, Dicon? Hast du irgendeinen geheimen Tipp? Ansonsten ist der nächste nämlich einfach wieder der erste, bei dem wir schon waren."
    "Äh ... nein, Dominus."
    Ganz sicher war sich Avianus nicht, worauf genau sich das Nein nun beziehen sollte, gab sich aber damit zufrieden, da der Scriba endlich still stand und sich außerdem der Händler von seinen anderen Kunden abwandte und gemütlich zu ihnen herüber schlenderte, als würde er die leicht patzige Miene des Iuniers gar nicht erst wahrnehmen.
    "Na? Hab ich zu viel versprochen?", sprach der Alte mit ausgebreiteten Armen, "Die beste Ware der Stadt!"
    "Ich such weder einen Custos noch eine Sklavin, die die Ritzen zwischen den Dielen auskratzt. Ich brauche ein Kindermädchen, Sosius."
    "Eben! Und da hab ich auch …" Sosius schwenkte hinüber zu seiner Ware, erst breit grinsend, ganz schnell allerdings mit ebenso patzigem Ausdruck, wie ihn Avianus schon länger im Gesicht hatte.
    "Ja, sag' mal …" Zu der Verstimmtheit gesellte sich Verwirrung. "Mazaces!!! Du lahmes Stück Schei … ääh …" Der Händler blickte über die Schulter zu seinem iunischen Kunden. "Einen Augenblick Iunius. Da ist wohl etwas … Unvorhergesehenes passiert. Sozusagen. Geh nicht, ja? Ich bitte dich!" Ein letzter entschuldigender Blick, dann ließ Sosius die zuckersüße Maske wieder fallen und stampfte schnaubend von dannen. "Mazaces!!! Verdammt nochmal ... wenn der sie einfach verscherbelt hat! [SIZE=7]Wehe, der hat sie verscherbelt ...[/SIZE]"
    Avianus blieb leicht angefressen zurück. Die Zeit, die er hier herumtrödelnd verschwendete, würde ihm niemand zurückgeben können, und dennoch wartete er. Es war ja nicht so, als hätte ihm ein anderer Händler bisher etwas Passendes versprochen oder gar vorzeigen können. Wie lange suchte er schon? Bestimmt schon Wochen. Aber keine Sklavin schien wirklich das zu sein, was er sich vorstellte. Auf die Schnelle fand man eben keine zweite Sibel. Nein, man fand gar keine zweite Sibel. Aber irgendwo musste es doch etwas ähnliches geben, ein Mädchen, das sich zumindest ebenso fürsorglich um den Jungen kümmerte, und das nicht nur, damit sie Essen, Taschengeld oder auch nur Anerkennung erhielt. Mit finsterer Miene sah er sich um und der Bär, der unweit von ihm auf dem Boden hockte, stierte ebenso griesgrämig zurück.
    "Nimm doch mich mit", brummte der breitschultrige Kerl.
    "Und warum bitte sollte ich das machen?"
    Der Bulle zuckte mit den Schultern. "Du siehst aus als hättest du das nötige Kleingeld, und machst zumindest keinen Verlust, wenn du es tust."
    "Was soll ich in meiner Domus mit einem Holzfäller?", fragte Avianus den lästigen Brocken.
    "Was soll ein Holzfäller in diesem Drecksloch?"
    "Auch wieder wahr ..."
    "Also ...?"

  • Apolonia hatte wählte den Weg über den Sklavenmarkt, bei besonderen Angeboten hielt sich dort schon mal gerne die sogenannte bessere Gesellschaft auf. Wie es schien hatte sie Glück, das Gedränge war groß. Kurz entschlossen rempelte sie den erst Besten an. „Oh Entschuldi.... gung“ kam ihr etwas verzögert über ihre Lippen. Ihr war als würde sie in ihm einen Urbaner wiedererkennen. Sie zeigte ihr betörendes Lächeln, denn es half nichts, da musste sie jetzt durch.

  • Dicon wurde merklich fad. Er kritzelte weiter im Dreck, während sein Dominus mit der Ware tratschte. Wahrlich ein vertrödelter Tag … was er natürlich nie laut aussprechen würde.
    Avianus wiederum brauchte gar nicht lang über die Antwort nachzudenken, die er dem grobschlächtigen Burschen gab. "Nein, aber danke für das Angebot", gab er zurück, wobei es den Worten, so wie er sie aussprach, definitiv nicht an Sarkasmus mangelte. Wenn man etwas kaufte, das man nicht brauchte, hatte man doch im Prinzip immer einen Verlust. Ärgerlich die Lippen zusammenpressend sah er sich anschließend nach Sosius um. Keine Spur von dem alten Händler. "Wo steckt denn - …" Er wurde unterbrochen, kaum wollte er seinem Ärger laut Luft machen, und stolperte einen Schritt zurück, als im vollkommen unerwartet eine Frau entgegenflog. Wo kam die denn her? Es war ja nicht so, als stünde er mitten in der Menge herum. "Sag' mal …?!"
    So eine ungeschickte Tröte, die ihm die Kleider schmutzig machte und zerknitterte, hatte ihm noch gefehlt. Als wäre sein Tag noch nicht mies genug. Vielleicht sollte er sich wirklich einen Custos anschaffen.
    "Dominus …?", kam es von Dicon wenig hilfreich, der wohl so tun wollte, als würde er sich für irgendjemandes Wohlergehen ernsthaft interessieren. Er scheiterte kläglich.
    Avianus würdigte die Frage, die gar keine Frage war, nicht mit einer Antwort, sondern wunderte sich viel mehr darüber, dass das Mädchen nicht längst wieder fort war, und beantwortete ihren anzüglichen Gesichtsausdruck mit irritierten Blicken. War die etwa eine Hure, die nach Kundschaft suchte? Oder einfach ein ganz besonders eigenartiges Ding? Es gab ja auch Taschendiebe, die ganz "zufällig" herumstolperten und am Ende trug man einen Geldbeutel oder ein Schmuckstück. Gut, dass er keinen Schmuck trug und Dicon den dicken Beutel, den er für die Sklavin dalassen würde, wenn sie keine Erfindung von Sosius war und außerdem das, wonach er suchte.
    Folglich fragte er einfach in einem Ton der ganz klar vermittelte, dass er auf Smalltalk eigentlich keine Lust hatte: "Kennen wir uns?"

  • „Ich hatte es zuerst auch gedacht“, lächelte Apolonia und winkte ihren Sklaven und den Custos heran.
    Er sollte sehen, sie war keine so eine dahergelaufene. „Bist du auch auf der Suche nach etwas besonderem? Ich überlegte mir gerade ob ich mir etwas zur Unterhaltung anschaffen solle. Du musst wissen ich fühle mich im Augenblick nicht ausgelastet und suche nach einer sinnvollen Beschäftigung.“ Möglichst unauffällig spielte sie mit ihren Armreifen.

  • Es war offensichtlich, der Tribun war mit anderem beschäftigt oder wollte nicht mit ihr sprechen. „Komm Babila wir gehen“, wandte Apolonia sich an ihren Sklaven, ehe sie sich umdrehte um den Platz zu verlassen. „Er hätte es mir auch ins Gesicht sagen können, dies ist eine Art die keinem gefällt“ und sie ging hoch erhobenen Hauptes davon.

  • Sie hatte es auch gedacht? Auch? Wer hatte das denn sonst noch gedacht? Avianus hatte keinen Schimmer, wer die Frau war und lediglich die erstbeste Frage gestellt, die ihm in den Sinn gekommen war, in erster Linie deswegen, weil sie ihn so merkwürdig angesehen hatte.
    "Hä?", kam es von ihm deswegen ausgesprochen geistreich, "Ja … was Besonderes …" So in etwa jedenfalls. Aber dieses seltsame Weib war ja auch was ganz Besonderes. Ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war, verschwand sie nämlich auch wieder. Eigenartig. Höchst eigenartig. Aber zumindest hatte sie darin Recht, dass er besseres zu tun hatte. Sah man doch! Immerhin standen er und sein Begleiter unschlüssig und der Iunius zusätzlich mit patziger Miene am Stand eines Sklavenhändlers herum.
    "Was war das denn?", fragte Dicon, der sein gerade eben erst fortgesetztes Kreisescharren abgebrochen und aufgesehen hatte.
    "Sehe ich aus, als wüsste ich das?", brummte Avianus während er der Frau nachblickte. Leicht den Kopf schüttelnd wandte er sich ab, und kaum hatte er sich umgedreht, wurde er von einem strahlenden Sosius überfallen. Entweder hatte der Kerl gerade eine ganze Dose voll Opium verschluckt oder aber tatsächlich etwas gefunden, wovon er glaubte Avianus würde begeisterte Luftsprünge machen …


    ~~~


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    Fusca


    Den ganzen Tag schon hockte sie hier drin. Spinner allesamt, an die sie da geraten war. Nicht nur ihr ehemaliger Dominus hatte sich ihrer entledigt, die Götter – welche auch immer – offenbar auch. Alles schreien und Hämmern an den Wänden des Verschlags hatte nichts geholfen, sodass Fusca still in einer Ecke vor sich hinbrütete. Was sonst. Es war zappenduster, ihre Stimme heiser und weitere Energie wollte sie ebenfalls nicht mehr verschwenden, wo ihr letztes klägliches Mahl schon mehr als einen halben Tag her war. Die hatten sie hier vergessen. Hundertprozentig. Wieso sonst sollte der geldgierige alte Sack seine Ware irgendwo hinterm Stand vergammeln lassen?
    Dann, vermischt mit dem gewöhnlichen Lärm der Märkte, hörte sie Schritte, die sich eindeutig ihr näherten. Fusca hob den Kopf und spähte dorthin, wo sie in der Dunkelheit die Tür vermutete. Es knarzte. Musste der Riegel sein. Unter erneutem Knirschen drang Licht durch einen Spalt, der sich immer weiter öffnete, und die Silhouette eines Mannes hob sich vom hellen Sonnenlicht ab, doch geblendet davon konnte sie das Gesicht nicht erkennen. Der Statur des Kerls nach zu urteilen musste es sich um den Handlanger des Händlers handeln. Er zerrte an dem Strick, an ihren Handgelenken und löste das Seil. Wie? War sie frei oder was? Der Bursche sagte ja nichts. Erst als sie ihn fragend anblinzelte, ließ er sich dazu herab, ihr zumindest ansatzweise zu erklären, was vor sich ging:
    "Der Kunde ist da."
    "Ach? Und wer ist dieser Kunde?" – Keine Antwort. "Sehr schön. Muss ich ja nicht wissen, hm?" Stimmt. Musste sie nicht wissen. Sie war ja nur die Ware. Wer wirklich zählte, war der Kunde, aber nur solange er auch kaufte. Fusca hatte keinesfalls vor, dem alten Sosius sein Geschäft zu versauen. Ganz im Gegenteil, alles war besser als dieses Drecksloch. Und ob der kaufen würde, der Kunde.
    "Beweg dich." Mazaces zerrte das Mädchen am Arm hoch und aus dem Verschlag.
    "He! Lass das!", nörgelte Fusca gleich, "Warum war ich da überhaupt drin?" Der Diener des Händlers grummelte vor sich hin. Es hatte keinen Sinn zu fragen. Warum machte sie sich überhaupt die Mühe? Selbst wenn sie nicht nur Verkaufsgegenstand gewesen wäre, den es loszuwerden galt, Mazaces war noch nie besonders gesprächig gewesen.


    ~~~


    "Also … Iunius!", rief Sosius und lachte sein übertriebenes Lachen, dass Avianus das Gefühl hatte, von einer Hyäne angesprungen zu werden. "Ich hab das Mädchen gefunden! Der gute Mazaces … der gute, alte Mazaces … der hat sie nur für dich zur Seite gestellt! Nicht, dass sie noch wer anders will, nicht wahr?", faselte der Alte weiter.
    "Das kommt auf das Mädchen an, Sosius", antwortete Avianus trocken.
    "Au! Aua!", hörte er eine Stimme im Hintergrund, "Wenigstens Schuhe hättet ihr mir geben können!"



    Sim-Off:

    Apolonia: Manche Leute haben nicht jeden Tag Zeit, etwas zu schreiben :)

  • Die junge Frau rieb sich immer noch die Handgelenke, als sie vor ihm zum Stehen kam, hatte allerdings mit dem Quengeln aufgehört und stierte stattdessen auf ihre bloßen Zehen hinab.
    "Entschuldige ihren Zustand, Iunius", säuselte Sosius, "Du musst wissen, wir haben sie erst gestern Abend bekommen und gleich für dich zur Seite geschafft."
    "Wirklich … toll, Sosius." Zwischen Avianus Brauen bildeten sich Falten. Wenn der Alte mal den Rand hielt, wäre ihnen sicher geholfen. "Nenn mir deinen Namen, ancilla."
    Die Sklavin hob ihren Blick. "Fusca, Dominus."
    "Und du bist wie alt? Woher kommst du?"
    "22. Ich bin in Italia geboren, Dominus. Ich lebe schon immer hier."
    "Wieso wurdest du verkauft? Wer war dein früherer Besitzer." Sie sprach ihre Sprache, war jung und zudem nicht hässlich. Und im Haushalt kannte sie sich angeblich ja auch aus. Wer zum Henker verscherbelte sie mit lediglich einer alten Tunika am Leib an den nächsten Sklavenhändler? Da war doch irgendwo der Wurm drin.
    In den Augen der Sklavin blitzte es auf, Furcht, Hass, Trauer … ein Durcheinander an Gefühlen. Er hatte vollkommen unbeabsichtigt irgendeinen wunden Punkt getroffen.
    "Er … ich … sie sind gestorben, Dominus. Die Kinder", stammelte Fusca, räusperte sich leise und riss sich zusammen. "Mein früherer Herr züchtet Sklaven. Er hat eine ganze Menge. Aber ich konnte bisher keine gebären." Nicht lebend jedenfalls. Sie presste die Lippen zusammen und schwieg wieder, was Avianus auch recht war, denn spätestens jetzt war ihm die Fragerei nach ihrer Vergangenheit unangenehm geworden. Selbst Sosius blickte von einer Ecke des Marktes zur nächsten, um sich nicht die traurige Geschichte seiner Ware anhören zu müssen.
    "Aber du kannst mit Kindern umgehen, ja?"
    "Natürlich, Dominus. Ich habe den anderen immer mit ihren Kindern …"
    Avianus schüttelte den Kopf. "Du musst nicht …"
    "Ich habe ihnen geholfen", beendete Fusca ihre Ausführungen dennoch.
    Keine Mitleidskäufe. Keine Mitleidskäufe. Das war es, was Avianus in Gedanken gerade vor sich hinbetete. Aber sie war doch gewissermaßen genau das, was er suchte. Dann war es ja kein Kauf aus Mitleid, oder? Avianus wog nachdenklich den Kopf hin und her, hinter ihm wippte und scharrte Dicon, Sosius wartete mit zappeligen, geldgierigen Fingern auf eine Antwort und Fusca blickte betreten in die Runde. Für Passanten musste die Gruppe sicherlich ein eigenartiges wie auch amüsantes Bild abgeben.
    "Ich nehm sie mit."

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