Ein Wirrkopf, der Gedanken bringt

  • An diesem Tage war nur mäßig etwas am Forum Romanum los. In der nahe gelegenen Curia Iulia hielt der Senat heute keine Sitzung ab, was auch die Chance erheblich reduzierte, dass noch etwas spannendes geschehen mochte. So z.B. dass einer der Senatoren aufgebracht, ob eines abgelehnten Antrags, hinaus und direkt zur Rostra lief, um von dort dann dem Volke Roms sein Vorhaben zu verkünden.
    In den alten repulikanischen Zeiten hatte das durchaus noch einen beträchtlichen Machtfaktor dargestellt. War ein ehrgeiziger Römer mit seinen Gesetzen vor dem Senat gescheitert, so hatte er von der Rostra aus kurzerhand die Volksversammlung einberufen und eben dort seine Vorhaben durchgebracht. Auch heutzutage lief noch der eine oder andere beleidigte Senator auf die Rostra, um seine Ideen dann dem Volke vorzutragen. Doch natürlich verlief das immer dann im Sande, denn das Volk wusste, dass es keine Macht mehr hatte und erfreute sich dann lieber der Clownsfigur da oben auf der Rostra, die dachte, die Zeit sei auf über hundert Jahre zurückgedreht und diese Aktion würde noch etwas gelten. Deshalb waren Sitzungstage des Senats auch immer Tage, an dem besonders viel Volk das Forum bevölkerte, in der Hoffnung, dass es wieder so ein Spaßvogel versuchte.


    Doch da das heute nicht der Fall war und auch die Rostra verwaist bleiben würde, hielt sich das tagesaktuelle Foreninteresse eher in Grenzen. Natürlich bedeutete eine große leere Rednertribüne am anderen Ende des Platzes nicht, dass es keine kleineren Redner gab! Als Caesoninus nämlich das Forum erreichte, sah er, dass sich überall wieder einmal kleinere und größere Gruppen rund um selbsternannte "Meinungsmacher" gebildet hatten, die von ihren verschiedenen Plätzen an den Platzrändern aus dem Volke klarzumachen versuchten, was ihrer Meinung nach falsch in Rom lief.


    Da kam Caesoninus an einem vorbei, der meinte, dass der kürzlich stattgefundene Sklavenaufstand in Wahrheit von den Frauen ausgelöst worden sei. In einer anderen Ecke meinte ein Redner zum gleichen Thema die wahren Schuldigen unter den makedonischen Zwiebelbauern ausgemacht zu haben, die angeblich kurz davor stünden, in Rom die Macht zu übernehmen. Amüsiert ging Caesoninus nach kurzem Zuhören weiter.


    Da vor ihm, in der Nähe der Curia Iulia, stand noch so ein Held. Er erweckte Caesoninus Interesse durch seinen Bart und seinem Turban. So mischte sich Caesoninus unter das Grüppchen, um zu lauschen, was diesen alten Burschen denn an Rom stören mochte.



    Sisyphus Simplicissimus


    "Äähm.. also versteht mich nicht falsch, aber, hmm.. dieser Kaiser, ja? Also dieser Kaiser da oben am Palatin, wenn ihr wisst wen ich meine. Dieser Kaiser.. äh, was TUT dieser Mann eigentlich für uns? Weiß das jemand? Wieso sollten, oder tuten, oder.. ach was rede ich, wieso füttern wir ihn durch?!"


    Belustigt hob Caesoninus eine Augenbraue. Da war wohl jemand mit dem amtierenden Augustus unzufrieden. Doch natürlich sagte er nichts und lauschte weiter den wirren Worten des Redners. Denn welche Unterhaltung war besser, als einem völlig Irren zu lauschen?


    "...bin ich der Meinung, dass wir, also ihr uns.. hmm, ja darum kümmern sollten! Ich finde es nicht richtig, arme, hart arbeitende Bürger Tag für Tag auszu... ähm, auszunutzen, bloß dass er gefüllte Gänsehälse und so essen kann! Versteht ihr, was ich meine? Warum, ähm.. WARUM haben wir einen Kaiser? Kann mir das bitte jemand erklären? Ich mein ja nur, aber wenn ihr mal so denkt, dass..."


    Je länger Caesoninus den Worten des Alten lauschte, desto mehr und mehr wich die Belustigung von ihm und das rationale Denken setzte ein. Natürlich, das was der Mann dort vor ihm von sich gab war in einer grässlichen Rhetorik vorgetragen, die jedem Berufsredner die Zehennägel abfallen ließ, aber der Kern seiner Gedanken waren interessant. Wieso hechelte Rom wirklich einem Kaiser, also einem Alleinherrscher, hinterher, wo es vor nicht allzu langer Zeit noch so sehr stolz auf seine Freiheit und Unabhängigkeit gewesen war und darauf, die alten Könige der Altvorderenzeit vertrieben zu haben?


    "Und meine Freunde! Dieses, dieses, ja... POMERIUM ist ja wohl ein Witz! Der ägyptische König von Gallo-Parthien darf nicht darüber, aber, aber dieser Kaiser schon? Was ist das bitte für ein Witz? Volksrömer und so weiter! Schläft ihr?! Wieso kümmert sich da, ähm, da denn keiner darum?! Wieso schläft das Volk?! Wo doch..."


    Wieder glitten Caesoninus' Gedanken von den wirren Reden vor ihm ab. Diese Frage blieb in Caesoninus hängen; "Wieso schläft das Volk". Tat es das nicht wirklich? Zu ruhen, während Kaiser und Senat ihnen allen eine lange Nase zeigten und ihnen dann die Steuer diktierten? Hatte es da nicht einmal eine Zeit gegeben, wo es noch SPQR geheißen hatte? "Der Senat und das Volk von Rom"? Jetzt wo Caesoninus so darüber nachdachte, kam er darauf, dass es auch heute noch SPQR (= Senatus Populusque Romanus) hieß, doch war das "P" darin (populusque = und das Volk) seit Kaiser Augustus ziehmlich rasant abgeschafft worden. Oder anders gefragt; wann hatte z.B. das letzte Mal einer der Volkstribune von sich Reden gemacht? Wo sie doch angeblich das Volk vertreten sollten?


    Gedanken über Gedanken begannen sich in Caesoninus aufzutürmen, sich einander zu überrollen und sich zu vermischen, während er weiterhin den Redner da vorne ansah, ohne ihm noch wirklich zuzuhören.

  • Obwohl er ja nun doch schon seit einiger Zeit in Italia war, hatte Caius Verginius Mamercus es noch nie auf das Forum Romanum geschafft. Es hatte dort für ihn bisher einfach noch nichts zu tun gegeben, und da er zu dem - vielleicht im Aussterben begriffenen - Teil der Bevölkerung gehörte, der sein Geld nicht auf der Straße fand, sondern von seiner eigenen Hände Arbeit leben musste, hatte es für ihn bis zu diesem Ort bisher nie gereicht.


    Nun hatte Mamercus sich aber durch eben seiner Hände Arbeit eine kleine Ersparnis zurecht legen können, so dass er sich einmal einen freien Tag gönnen und diesen auf den Foren verbringen wollte. Viel hatte er sich davon versprochen, doch je länger er über die Plätze schritt, desto mehr stieg seine Enttäuschung. Irgendwie... hatte er sich hier was anderes erwartet, hitzige politische Diskussionen zum Beispiel oder philosophische Gespräche. Die gab es zwar auch hier und da, aber Mamercus war da aus Alexandria einfach an ein ganz anderes Niveau gewöhnt. - Oder war das nur Nostalgie, die ihn das glauben machte?


    Gerade kam er an einem - soll man sagen: Redner? - vorbei, der irgendein ziemlich zusammenhangloses Zeug über das Volk und den Kaiser von sich gab - pikanterweise irgendwie vor allem gegen den Kaiser gerichtet. Caius blieb stehen und wartete nur darauf, dass einer der Zuhörer dieses Mannes sich als Speculator der Prätorianer zu erkennen geben und den Mann mitsamt seinem Turban abführen würde. Doch nichts dergleichen geschah, jedenfalls noch nicht. Caius war ein bisschen enttäuscht, aber sofort auch wieder abgelenkt, denn sein Blick fiel auf einen der Zuhörer, den er zwar nicht für einen Speculator hielt, der in seinen Augen hier an diesem Ort aber auch ziemlich deplatziert wirkte. Es handelte sich um einen jungen blonden Mann im gleichen Alter wie der Verginier, der von seiner ganzen prächtigen Aufmachung her eher aussah wie einer, der von der kaiserlich-römischen Allmacht kräftig profitierte. Was machte so einer bei einer solchen Rede?


    Caius trat an ihn heran - was hatte er schon zu verlieren? - und sagte zu ihm: "Salve! Ich bin gerade erst hier angekommen und habe nicht alles mitgekriegt. Du siehst aus wie einer, der Dinge ein bisschen einordnen kann. Kannst du mir sagen, worüber der Mann mit Bart und Turban da gerade spricht? - Ah, übrigens, ich heiße Verginius Mamercus."

  • Caesoninus stand teilnahmslos in der Menge und ließ die Worte des Redner kalt wie Wasser über sich plätschern. Sie hatten nur zweitrangige Bedeutung für ihn. Wichtig waren jedoch der Kern dieser wirren Aussagen. Hatte Rom vielleicht wirklich sein wichtigstes Element, das Volk, zu sehr aus den Augen verloren? Wie kam es, dass aus dem Volk wirklich niemand mehr gegen diese mittlerweile auch schon politisch zementierte Mundtotmacherei aufbegehrte, wieso...


    Plötzlich wurde Caesoninus aus seinen Gedanken gerissen. Jemand hatte ihn angesprochen. Mit dem Kopf nach Links sah er, dass da vor ihm ein junger Mann mit eher maskulinem Gesicht vor ihm stand. "Tut mir leid ich war in Gedanken. Um was geht es? Worüber der Gockel da vorne spricht? Nun, ähm, ich habe mitbekommen, wie er etwas davon faselte, dass Roms Kaiser einem gekrönten Herrscher gleichkommt und wieso wir Bürger seine Herrschaft tolerieren, wo wir ja früher so stolz auf die Vertreibung unserer alten Könige und auf unsere Freiheit waren. Und..." Caesoninus unterbrach sich.
    Freiheit, das war ein richtiger Begriff! Kein Aufbegehren gegen die Herrschaft des Augustus, doch politische Freiheit für das Volk. Gerade wollte er seine weiteren Gedankengänge mit seinem neuen Gesprächspartner mitteilen -außerdem kannte dieser ja auch seinen eigenen Namen noch nicht- als ihnen Sisyphus Simplicissimus in die Quere kam.


    Diesem waren nämlich schön langsam die Ideen ausgegangen, über was und wen er sich in seiner geschliffenen Rhetorik noch so aller mokieren könnte. Dann war sein Blick auf Caesoninus und Mamercus in der Zuschauermenge gefallen. Er hatte nur mehr schlechte Augen, dafür aber noch sehr gute Ohren. Er sah, dass die beiden die Köpfe zusammensteckten und nach kurzem innehalten hörte er auch, dass offensichtlich über seine Themen gesprochen wurde.
    So schritt er zu den beiden.



    Sisyphus Simplicissimus


    "Freunde! Seht, ähm, seht nur! Hier sind noch...hm, noch zwei junge und, hmm, starke Männer, die s-sicher meiner Ansicht sind! Wollen wir, äh, also ihr, uns doch einmal an-anhören, was sie zu dieser...dieser Sache zu sagen haben!"


    Und mit diesen Worten schnappte er sich aufs Geratewohl einen der beiden und schleifte ihn zu seinem vorigen Rednerplatz. Dort richteten sich alle Augen und Ohren der kleinen Menschenmenge jetzt auf den armen Tropf, der da vor ihnen über seine Gedanken eine Art Rede zum Thema halten sollte.
    Sisyphus Simplicissimus hatte nicht darauf geachtet, wer von den beiden vorher der Wortführer gewesen war. Er hatte sich einfach einen geschnappt und es hatte ausgerechnet Caius Verginius Mamercus erwischt.

  • Sofort nachdem Caius seine Anrede an den jungen, gutgekleideten Mann abgeschlossen hatte, schalt er sich innerlich schon wieder dafür, denn ihm wurde erst jetzt bewusst, dass er seinen Noch-nicht-aber-vielleicht-bald-Gesprächspartner aus dessen eigenen Gedanken gerissen hatte, was der junge Mann denn auch sogleich mit seiner ersten Äußerung bestätigte. Caius hatte ihn also: gestört. Und das war natürlich nicht seine Absicht gewesen.


    Der Verginier war daher erleichtert, dass der Jüngling ihm trotzdem antwortete: Bürger, Vertreibung der Könige, Freiheit... Die Worte des jungen Mannes zeigten Caius zunächst, dass er die Satzfetzen des Turban-tragenden Redners nicht gänzlich falsch zusammengesetzt hatte. Schön für den Verginius, doch half ihm das noch nicht sehr dabei, diese Lehren auch inhaltlich zu verarbeiten, auch wenn er natürlich wusste, welche geschichtlichen Ereignisse durch die wenigen Andeutungen aus dem Mund des jungen Mannes bezeichnet wurden.


    Tiefere Gedanken über diese Themen hatte Caius sich allerdings noch nie gemacht, ganz zu schweigen davon, dass er sich über sie eine eigene, fundierte Meinung gebildet hätte. Die Themen waren ihm zwar bekannt wie wohl fast jedem Einwohner des Reiches, waren ihm vermittelt worden von Eltern und Lehrern in der Elementarschule. Diskussion und Reflexion über diese Fragen waren für jemanden wie ihn, der von der Hand in den Mund lebte, jedoch nicht vorgesehen gewesen.


    Eigentlich, so stellte Caius nun gerade an sich fest, fand er das alles aber ziemlich interessant, und es betraf ihn ja auch, gerade ihn in besonderer Weise. Gerne hätte der Verginius deshalb mit dem jungen Mann, der ihm soeben bereitwillig Auskunft gegeben hatte, weiter über diese Themen gesprochen, und das konnte bei seinem Wissensstand nur heißen: dem jungen Mann zuzuhören. - Aber es sollte ganz anders kommen.


    Denn auf einmal stand der Redner mit dem Turban vor dem jungen Mann und ihm selbst und zerrte ausgerechnet den Verginier zu der Stelle auf dem Forum, von der aus er selbst bis vor Kurzem seine wirren Gedanken vorgetragen hatte. Beschäftigt mit seinen eigenen Überlegungen, hatte Caius gar nicht bemerkt, dass sich dieser Redner dem jungen Mann und ihm selbst zugewandt hatte. So war er vollkommen überrumpelt, ließ sich ohne Widerstand von dem Alten fortschleifen und brachte in Richtung des jungen gutgekleideten Mannes, dessen Meinung er so gerne kennengelernt hätte, nur noch die folgenden Worte über den Turban tragenden Redner hervor: "Auweia, der Typ hier muss ja vollkommen verrückt sein..."


    Gleich danach sah Mamercus sich allerdings auch schon einer gewissen Schar von Leuten gegenüber, die bisher dem bärtigen Redner gelauscht hatten und nun ihn, Caius Verginius Mamercus, erwartungsvoll ansahen - manche auch mit einer Portion Schadenfreude im Gesicht, so kam es dem Verginier jedenfalls vor. Er fühlte sich natürlich furchtbar unwohl; nichts in seiner Schullaufbahn hatte ihn je darauf vorbereitet, vor fremden Menschen zu sprechen. Gleichwohl erkannte Caius, dass Weglaufen hier nicht galt, und er wollte auch von sich aus auf keinen Fall kneifen. Einen kurzen Moment lang sah Mamercus an sich und seiner schon ziemlich abgestoßenen grünlichen Tunika hinunter, dann hob er seinen Kopf wieder und wandte sich an die Umstehenden: "Quirites!" Caius war sich ganz und gar nicht sicher, ob diese Anrede hier überhaupt passend war, aber er hatte sie irgendwann halt mal aufgeschnappt. "Quirites! Wir stehen hier auf dem Forum Romanum und sind umgeben von all den Gebäuden, in denen das, was Rom ausmacht, Gestalt angenommen hat. Hier gehen wichtige Teile der Verwaltung ihrer Arbeit nach, hier tagt der Senat, hier treffen sich die Bürger Roms, um ihre Gedanken über ihre Stadt und ihr Reich auszutauschen. - Gar nicht weit von hier liegt der Palatin mit den Palästen des Kaisers. Und die Frage ist nun, so habe ich es wenigstens verstanden: Gehören diese Paläste mit ihren Bewohnern auch zu den Gebäuden, in denen das, was Rom ausmacht, Gestalt angenommen hat? Oder lebt der Kaiser in einer Welt, die abgehoben ist von dem Volk auf dem Forum und auch auf den Märkten?" Gerade dieser letzte Punkt mit den Märkten war dem Verginier wichtig, hatte er doch dort weit mehr zu tun als auf Foren.


    "Ich sage euch jetzt, was ich darüber denke. Mein Name ist Verginius Mamercus. Ich bin Abkömmling einer etruskischen Familie, die ursprünglich aus Vetluna - ihr nennt es: Vetulonia - stammt. Etrusker, habe ich gesagt, ich gehöre also dem Volk an, das einst die Könige über Rom stellte, die dann von den Bürgern Roms vertrieben wurden." An dieser Stelle machte sich unter den Zuhörern Unmut breit, aber damit hatte Mamercus gerechnet. "Ich gehöre weiterhin einem Volk an, das nach tapferem Kampf von den Römern besiegt wurde. Stadt für Stadt haben Römer die Gebiete meines Volkes erobert. Und doch, obwohl ich also einem Volk angehöre, dessen König die Römer vertrieben haben und dessen Gegner sie waren in langen Kriegen - trotzdem bin jetzt auch ich ein römischer Bürger und stehe hier mit euch allen auf dem Forum im Herzen Roms. Und schaut doch euch selber an -" der Verginier deutete mit seiner Hand nacheinander auf bestimmte seiner Zuhörer, "hier steht ein Nubier, dort ein Germane oder Brite, dort ein Grieche - und wir alle gehören jetzt geeint dazu zu diesem Rom mit seinen prächtigen Gebäuden, mit seinem Wohlstand, mit seinen Gesetzen und mit seinem Frieden, den die Kaiser uns gebracht haben." Der Verginier holte Luft, um zum Schlussakkord anzusetzen: "Ja, die Kaiser. Denn erst mit den Kaisern ist Rom zu einer Heimat für alle seine Bewohner geworden und bietet allen die Chance auf ein Leben in relativem Wohlstand und Frieden."


    Caius Verginius Mamercus wusste nur zu gut, dass er selbst diese Chance, jedenfalls was den Wohlstand anging, noch nicht hatte nutzen können. Er wusste auch, dass viele Reiche nur danach trachteten, immer noch reicher zu werden, und zu diesem Zweck die einfachen Menschen aus dem Volke ausbeuteten. Dem Kaiser kam dabei aber nach Meinung des Verginius noch die geringste Schuld zu.


    Ob er diese und andere seiner Ansichten hatte verständlich machen können, das wusste Mamercus freilich nicht, und so war er gespannt darauf, was andere nun erwidern würden. Langsam wandte er seinen Kopf zu dem jungen, gutgekleideten Mann, mit dem er anfangs gesprochen hatte.

  • Gaius Iulius Caesoninus brach in schallendes Gelächter aus, als er den fremden jungen Mann da oben so ernst daherreden hörte. Mehrere Umstehende drehten sich mit verwunderten Blicken nach Caesoninus um. Immer noch lachend ging Caesoninus langsam nach vorne und zog Mamercus zurück in die Menge. "Komm, Verginius Mamercus, für heute hast du die Leute genug unterhalten."


    Sisyphus Simplicissimus hingegen, der froh gewesen war, endlich auch einmal einen Redner vor sich zu haben, der seine Gedankenwelt ausdrücken konnte, ohne derart zu radebrechen, dass Vögel und nicht erfundene Flugzeuge tot vom Himmel fielen, war alles andere als begeistert, dass Caesoninus ihm seine neue Stimme prompt wieder abnehmen wollte.



    Sisyphus Simplicissimus


    "H-He! Du! Nimm....ähm nimm diesem guten Bürger nicht sein...sein Recht auf freie Meinungsäußerun..ung!" rief er und wollte hinterhereilen. Caesoninus sah ihn mit kaltem Blick an. "Für heute hat dieser Spaß lange genug gedauert, du durchgeknallter alter Turbanträger, oder willst du, dass ich es für dich vollends beende? Die Prätorianer und die Urbaner würde es bestimmt sehr interessieren, welche Hetze du gegen jenen Imperator betreibst. Bestimmt würden sie dir hierzu die eine oder andere..."Frage" stellen wollen." Dass mit "Frage" Folter und Verhör wegen Volksverhetzung gemeint war, erschloss sich jedem Zuhörenden sofort an der Art, wie Caesoninus das Wort betont hatte. Sisyphus Simplicissimus war vorsichtig geworden. Mit einem berechnenden Blick betrachtete er Caesoninus. Bluffte er nur, oder meinte der gut aussehende Römer es ernst? Caesoninus wiederholte seine Drohung. "Du lässt uns jetzt in Ruhe, verstanden? Und du stellst deine Hetze ein, auch verstanden? Ich kenne den einen oder anderen hochstehenden Optio bei den Urbanern, also mach was man dir sagt." Nach einem erneuten drohenden Blick wandte sich Caesoninus mit einem freundlichen Lächeln zu Mamercus um. "Komm! Gehen wir zusammen ein Stück!" Dann zog er ihn auch schon vom alten Wirrkopf Simplicissimus weg, mehr in Richtung Forenmitte. Zusammen schlugen sie einen leichten Spaziergang in Richtung des oberen Endes des Forums an.


    Währenddessen wollte sich Caesoninus ein wenig mit dem Fremden unterhalten. Die Art, wie er mit dieser unverhofften Situation umgegangen war, hatte Caesoninus imponiert. "Tut mir leid, dass du das gerade mitansehen hast müssen, aber so mancher selbsternannter Volksvertreter weiß nur zu oft nicht, wann er die Grenze erreicht. Übrigens, mein Name ist Gaius Iulius Caesoninus. Du kannst mich Gaius nennen. Deine Reaktion vorher hat mir gefallen. Keine Ahnung von nichts in der Situation und trotzdem hast du sie mit Bravour gemeistert. Ich bin beeindruckt." Und mit seinem freundlichen Lächeln streckte er Mamercus seine Hand entgegen, als offizielle Begrüßung, Vorstellung und auch Anerkennung seiner Person.

  • Zitat

    Original von Caius Verginius Mamercus
    Ob er diese und andere seiner Ansichten hatte verständlich machen können, das wusste Mamercus freilich nicht, und so war er gespannt darauf, was andere nun erwidern würden. Langsam wandte er seinen Kopf zu dem jungen, gutgekleideten Mann, mit dem er anfangs gesprochen hatte.


    Eben dieser junge Mann war es nach Beendigung der Rede des Verginiers nun auch, der auf Mamercus zuschritt und ihn von seinem Rednerplatz wegholte, wobei er den Turban-tragenden "Weisen", der zuvor von dort aus agitiert hatte, mit denselben Bedrohungen bedachte, die Caius selbst am Anfang im Stillen für ihn erwogen hatte: Prätorianer und so weiter wegen seiner ganzen Schimpferei auf den Kaiser.


    Als sich Mamercus und der andere junge Mann ein Stück von der Gruppe rund um den Turban- und Bartträger entfernt hatten und sich der Mitte des Forums näherten, nannte der andere junge Mann dem Verginier seinen Namen. Dass er ihm darüber hinaus auch noch anbot, ihn mit dem Praenomen anzusprechen, überraschte Mamercus aus dem Munde dieses offenbar doch recht hochgestellten Einwohners der ewigen Stadt, machte ihn allerdings natürlich auch seinerseits zutraulich: "Oh, danke! Du kannst Caius zu mir sagen. Caius Verginius Mamercus." Der Verginius meinte sich zwar daran erinnern zu können, Caesoninus ganz am Anfang, noch vor seiner "Rede", seinen Namen gesagt zu haben, er war sich allerdings nicht mehr sicher, ob dabei auch sein Vorname "Caius" gewesen war oder was er sonst noch so alles dem Iulier gegenüber geäußert hatte. Zu aufgewühlt war Mamercus noch immer nach der für ihn vollkommen unverhofften und vor allem auch ungewohnten Situation einer Ansprache auf dem Forum Romanum, und innerlich war er immer noch ziemlich damit beschäftigt, diese Erfahrung zu verarbeiten. Denn so sehr ihn die Aktion des alten Turban-Trägers, ihn so einfach in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu ziehen, zunächst auch schockiert hatte, so sehr hatte er selbst Feuer gefangen, während er seine Gedanken in öffentliche Rede goss.


    Nicht, dass ihm eine solche öffentliche Ansprache wirklich behagt hätte, noch dazu auf dem Forum Romanum, aber ihn interessierte jetzt doch, ob er irgendwas von dem hatte rüberbringen können, was ihm in seinem eigenen Kopf umhergegangen war - und was sein neuer iulischer Bekannter denn selbst so für eine Meinung darüber hatte: "Ja, ich würde sehr gerne ein Stück mit dir gehen, Gaius! Aber sag mal: Was hältst du von dem, was ich gesagt habe? Als ich eben vor allen anderen stand, hast du ja laut gelacht - sah, ehrlich gesagt, wie Auslachen aus." Gerade eben hatte Caesoninus dem Verginier zwar auch Anerkennung gezollt, aber Caius war sich doch noch nicht ganz sicher, was er von seinem neuen Bekannten halten sollte - schließlich kannte er ihn kaum eine Stunde -, und das Lachen während seiner Ansprache hatte ihn stutzig gemacht. Kritik konnte Mamercus ertragen, sogar auch Gespött über seine ungeschliffene Art, wenn ihm aber jemand etwas vormachen wollte, war bei Caius Schluss mit lustig.


    Um seine neue Bekanntschaft zu dem an und für sich ja sehr sympathisch wirkenden Iulier nicht mit derartigem Misstrauen zu belasten, hatte Mamercus entschieden, gleich zu Anfang alle Missverständnisse auszuräumen. Er war gespannt auf die Erwiderung des Caesoninus und natürlich auch darauf, wie er, also der Iulier, denn wohl zum Kaiser stand.

  • Auf die Antwort von Mamercus hin zog Caesoninus wieder amüsiert die Augenbrauen hoch und schnaubte. "Nein, nein, versteh mich nicht falsch. Das was du da vorher vor all diesen Leuten vorgetragen hast klang schon sehr vernünftig, auch wenn du dabei die Rolle des Kaisers für meinen Geschmack doch ein wenig ZU sehr gelobt hast. Was natürlich nichts schlimmes ist. Aber der übrige Rahmen war für mich einfach nur zum lachen, den dieser komische alte Kauz da aufgezogen hat und du eben leider darin mitspielen hast müssen. Doch die Ernsthaftigkeit, die du bei dieser lächerlichen Veranstaltung an den Tag gelegt hast, hat das ganz erst recht ins Komische gezogen. Ich habe mich prächtig amüsiert." grinste er. Als sie an der Basilica Iulia vorbeikamen fragte er: "Sag einmal, wurdest du eigentlich schon einmal in Rhetorik ausgebildet? Ich denke nach deiner heutigen kleinen Vorstellung am Forum, dass du durchaus das Zeug zum Redner hättest, nach ein wenig Feinschliff, versteht sich. Hast du über so einen Weg schon einmal nachgedacht?" Caesoninus wusste eigentlich nicht, ob er ihm das Handwerk eines Orators zutraute. Mamercus wirkte eher wie ein bodenständiger, etwas grobschlächtig aussehender Kerl, der eher körperliche Arbeit, als das Vorantreiben des Tagespolitik gewohnt war. Auch wie er sprach und sich bewegte ließen Caesoninus nicht gerade auf einen politisch-familiären Hintergrund schließen. Eher gewöhnliche Mittelschicht, oder etwas darunter. Als Besitzlosen stufte er ihn hingegen nicht ein, dazu wirkte er doch ein wenig zu gepflegt und dann hätte er so auch nicht vorher bei Sisyphus Simplicissimus gesprochen, wie er gesprochen hatte.


    "Ich schätze das Genießen einer guten Rede. Du weißt sicher, was ich meine. Eine die einen gut unterhält, die unter die Haut geht. Eine wo du merkst, dass der Orator Feuer und Flamme für sein Thema ist und es versteht die Leute mitzureißen. Ich hoffe, dass ich auch einmal ein guter Redner werde. Ich meine ich will in die Politik, da wird es bestimmt unumgänglich werden, sich noch einmal durch einen Rhetorik-Kurs zu quälen. Ich freu mich aber darauf." Caesoninus lächelte.

  • Caius' eben noch von Misstrauen leicht verdunkelte Gesichtszüge hellten sich nach den ersten Sätzen Caesoninus' schlagartig wieder auf, und er stimmte in das Lachen des Iuliers ein: "Naja, einer muss doch wenigstens was Gescheites sagen bei soviel Blödsinn, oder?! - Aber dass du dich da mal nicht täuscht: In Alexandria sieht und hört man solche Typen öfter, also natürlich nicht am Museion, aber schon auf öffentlichen Plätzen oder Straßenecken. Nur gegen den Kaiser darf man in Aegyptus natürlich gar nichts sagen, da kennen die Rhomäer keinen Spaß."


    Spaß, das war das Stichwort. Denn der Spaß, den Mamercus nun immer mehr bei der Unterhaltung mit Caesoninus empfand, machte ihn ganz vergessen, überhaupt erst einmal zu erwähnen, dass er in Alexandria aufgewachsen war. Der Verginier redete über die ägyptische Metropole, als habe man ihm auf die Stirn gebrannt, dass er dort groß geworden war.


    Mamercus' Spaß steigerte sich noch, als der Iulier eine Rhetorik-Ausbildung für Caius ins Spiel brachte: Nun war es der Verginius, der sich vor Lachen fast bog. "Ich in Rhetorik ausgebildet, ha! - Gaius, du gefällst mir! Der war gut!" Beinahe hätte Mamercus seinem neuen Bekannten vor Vergnügen auf die Schulter geklopft, aber soviel Erziehung war denn doch noch in ihm, dass er das einstweilen unterließ. "Weißt du, da wo ich her komme, gibt's auch öfter was auf die Ohren. Das sind aber oft nicht gerade Worte", fügte Caius hinzu, wobei er "Worte" derart betonte, dass es keinen Zweilfel daran geben konnte, dass er hier von etwas ziemlich Handfestem und oft auch Schmerzhaftem sprach.


    Caesoninus' anschließende Äußerungen über seine eigenen Vorlieben und Pläne hörte der Verginier aufmerksam an. Dann erwiderte er ernsthaft: "Ja, ich kann dich schon verstehen, eine gute Rede ist eine echte Kunst, und auch ich lausche ihr gerne. Vor einiger Zeit war ich bei der Einweihung des Ulpianums, das war kurz nach meiner Ankunft hier in Rom. Da wurden ja auch so einige Reden gehalten, und ich muss sagen, dass die mich sehr beeindruckt haben, obwohl ich die Personen, die da gewürdigt wurden, ja gar nicht kannte." Dass Caius zu dem erwähnten Ereignis damals auch deshalb gegangen war, weil es dort kostenlose Speisen und Getränke gegeben hatte, verschwieg er jetzt lieber. Die Reden hatten es ihm damals aber wirklich angetan. "Du", Mamercus fiel plötzlich etwas ein, "es gab bei der Feier damals doch einen Senator Iulius Cerco vorne auf den Stufen des Ulpianums. Du bist doch nicht etwa mit dem verwandt? Ich meine, 'Iulius' heißen ja furchtbar viele Leute, allein schon wegen des vergöttlichten Caesars, aber weil du doch in die Politik willst..."


    Der Verginier zögerte: "Caesar" - "Caesoninus" - "Politik" - konnte das alles nur Zufall sein?

  • Überrascht horchte er auf, als sein Gegenüber etwas vom fernen Alexandria erwähnte und die Römer mit ihrem griechischen Namen Rhomäer ansprach. Interessant, also war er gar nicht von hier aus Rom? Caesoninus wäre es nicht weiters aufgefallen, wenn Mamercus sich nicht "versprochen" hätte. Schlagartig tauchte eine exotische Traumwelt vor Caesoninus innerem Auge auf. Alexandria! Ägypten! Große, weite Wüsten, Oasen mit Schatten spendenen Palmen und dem besten und süßesten Wasser, das man sich nur vorstellen konnte. Kamelkarawanen die langsam vor den majetätischen Pyramiden vorüberzogen, immer unter dem hypnotischen Blick der Sphinx, während sich Krokodile am Ufer des ewigen Nil sonnten und ihre Mäuler weit öffneten, um sich die Zähne von Vögeln pflegen zu lassen. Caesoninus' Blick leuchtete. "Oooh, Ägypten! Du bist also in Ägypten aufgewachsen? Sag das doch Mann! Ich bin so derart von diesem Land fasziniert, wow!" und lachend klopfte Caesoninus Mamercus auf die Schulter. Er kannte da keine Skrupel. "Sag mal wie ist es so da? Stimmt es, dass alle Frauen immer barbusig auf die Straßen gehen müssen? Ich habe mal gehört, dass ein Junge das auf der Straße gesagt hat, der anscheinend auch aus Alexandria kam. Ich würde gerne einmal den Leuchtturm und die berühmten Pyramiden sehen! Wie stehts mit dir? Warst du schon Zeuge dieser Wunderwerke?" Wie unschwer zu merken war, war der Iulier ganz aus dem Häuschen. Für ihn gab es kaum eine zweite so faszinierende Provinz wie Ägypten im Imperium. Römische Ordnung herrschte dort verbunden mit dem Mysterium des Ostens. Nicht so wie in Parthien, dass sich Caesoninus zwar auch als sehr geheimnisvoll und exotisch vorstellte, doch dort herrschten bestimmt Wildheit und Barbarei. Wie sonst hätten die Parther sonst so lange und erbittert Widerstand gegen Rom leisten können?


    Kurz nach seinem Frageschwall platzte aus Caesoninus heraus: "He Caius, du bist ein echt toller Kerl, wie würdest du es finden, mir im Rhetorik-Kurs Gesellschaft zu leisten? Dann hätte ich wenigstens schon jemanden wo ich jetzt schon weiß, dass ich mich mit ihm verstehe" Caesoninus grinste. "Es wäre mir eine Freude, falls du mich begleiten wolltest. Jeder kann Rhetorik brauchen, egal ob jetzt als Politiker vor dem versammelten Senat, oder als einfacher Händler, der seine Kunden mit geschickten Redeweisen über den Tisch zu ziehen vermag. Was diesen Iulius Cerco angeht, so kenne ich niemanden, der so heißt. Aber ich weiß, dass mein Vetter, der Augur Iulius Centho damals in seiner kultischen Funktion an der Feier teilgenommen hatte. Ich selbst konnte leider nicht dort sein, weil mich damals ein ganz schlimmes Fieber geschüttelt hatte. Doch jetzt ist wieder alles gut."


    Die Idee mit dem gemeinsamen Rhetorik-Kurs war ihm spontan gekommen. Er mochte Mamercus und zusammen würden sie bestimmt viel Spaß dort haben. Und falls sie einmal Übungen machen sollten, die einen Partner erforderten, hätte er schon jemanden parat. Außerdem würde es auch bestimmt Mamercus selbst einmal nutzen, wie Caesoninus fand. Er sprach wunderbar Latein seiner Meinung nach, doch das war ja noch lange kein Grund, wieso man nach Erwerb der Alltagssprache plötzlich mit dem Lernen aufhören sollte, wo es doch noch so viele weitere spannende Themen in dieser Sprache zu entdecken gab.

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