Cubiculum CA | Nur der Hauch eines Zweifels

  • Der Drang nach einem weiteren Sohn, einem weiteren Erben, war längst nichtmehr ein Strohfeuer der Nacht, längst nicht mehr ein fixer Gedanke geboren aus einem Albtraum, sondern hatte sich in Gracchus' Denken festgesetzt, nicht vordergründig, doch beharrlich. Nach der ersten Enttäuschung über die Geburt seiner Tochter Flamma war er darob nun um so mehr bestrebt, die nächstmöglichste Gelegenheit zu nutzen, für diesen Erben Sorge zu tragen. Da dies Vorhaben nun ausgiebig geplant war wollte er gleichsam nicht wieder des Nächtens unangekündigt in das Reich seiner Gemahlin eindringen - allfällig war es die derangierende Aufregung gewesen, welche letztlich zu der Zeugung eines Mädchens hatte geführt -, sondern hatte Antonia sein Kommen angekündigt. Nach dem abendlichen Mahl war dies gewesen, Gracchus hatte beinahe schon die Türe des Tricliniums erreicht, als er noch einmal zu seiner Gemahlin sich hatte umgewandt.
    "Antonia? Ich ... ich werde dich später noch einmal in ... deinem Cubiculum aufsu'hen."
    Ein wenig hatte es ihm geklungen wie heimsuchen, doch hatte er sich gezwungen, ruhig zu bleiben und in beiläufiger Weise anzufügen:
    "Zur Na'ht hin."
    Hernach hatte er sich hastig umgewandt und das Triclinium verlassen, auch um nicht etwaigen Nachfragen Minors beiwohnen zu müssen. Zurück in seinem Cubiculum hatte er seitdem nichts anderes gedacht oder getan als auf das bevorstehende Geschehen sich vorzubereiten. Er hatte seinen Leib noch einmal einölen lassen, so dass ihn ein sublimer Hauch nach Mandelöl umfing, hatte noch ein Glas Wein versetzt mit Eryngium und Rumex getrunken und sich innerlich nicht nur versucht in Begierde auf einen Leib - wobei er tunlichst vermied, an jenen seiner Gemahlin zu denken - zu versetzen, sondern vielmehr die Nervosität in sich nieder zu ringen und sich selbst zu kalmieren. In eine einfache Tunika gewandet stand er letztlich im trüben Licht der Öllampen vor der Türe zum Gemach seiner Gemahlin, in deren Holzmaserung er längst jeden Strich, jeden Makel und jede Verfärbung kannte, und überlegte, ob er nicht doch wieder sollte umkehren oder aber ihr nur eine einfache Nachfrage nach dem Befinden Minors - und Flammas - oder ähnliches stellen - denn allfällig hatte Antonia die Intention seiner Worte nicht erreicht, allfällig war sie trotz allem nicht auf ihn vorbereitet, was er in keinem Falle wollte ausnutzen. Doch sein Leib hatte bereits entschieden das Wagnis einzugehen, seine Linke bereits empor sich gehoben, an die Türe geklopft und direkt anschließend diese geöffnet. Er konnte nicht mehr umkehren, er musste eintreten.

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  • Angesichts der Tatsache, dass ihr Gatte sie diesen Abend noch einmal aufsuchen wollte, hatte Antonia sich trotz ihres üblichen Tagesablaufs, welchen sie nur selten zu ändern bereit war, noch nicht bettfertig gemacht. Ihr Haar war noch ordentlich hochgesteckt, die Kleidung frisch von einer Sklavin gerichtet, fast als wolle sie noch zu einer Theatervorführung oder einem Bankett gehen. Aus welchem Grund Gracchus sie aufzusuchen gedachte ahnte sie freilich nicht, fiel es ihr doch seit jeher ausgesprochen schwer die Taten und Worte ihres Gemahls korrekt zu interpretieren. Sie nahm an, es ginge um Minor, um eine Angelegenheit die Ländereien betreffend.. oder ihre Tochter. Sie vermied es ihren Namen auszusprechen oder gar zu denken, denn noch immer konnte sie sich nicht mit dem Gedanken abfinden, keinen Sohn geboren zu haben. Kein Bruder für Minor, kein Sohn für Maior. Das Gewicht des Versagens lastete schwer auf ihren Schultern, als das Klopfen an ihre Ohren drang.
    Ihre junge Sklavin, die konzentriert die Füße ihrer Herrin massiert hatte, hielt inne, schob flink und geübt die ausgezogene Sandale wieder an ihren Platz und erhob sich. Antonia indes rief "Herein", ohnehin sicher, dass um diese Zeit nur der angekündigte Besuch ihres Gatten anstand.
    Innerlich ein wenig unruhig erhob sich die Claudia, strich die Falten ihrer Tunika glatt, wie sie es oft tat, wenn sie nervös war. Irgendwie fühlte sie sich immer wie ein Schulkind vor dem strengen Paedagogus, wenn ihr Gatte vor ihr stand. Zwar war sie sich - von jener unsäglichen Geburt - keiner kürzlichen Verfehlung bewusst, doch bedeutete dies selten, dass sie sich in Sicherheit wiegen konnte. So blieb ihr nichts weiter als zu warten, noch einmal tief Luft zu holen und das Beste zu hoffen.

  • Ein jedes Mal so er das Reich seiner Gemahlin betrat, fühlte Gracchus sich wie ein Eindringling im eigenen Hause oder aber als würde er jenes verlassen und ein fremdes betreten. Allfällig, so überlegte er bei sich, rührte dies aus der Herkunft seiner Gemahlin, dass jede Familie nun einmal ihren eigenen Stil hatte, dass die claudischen Vorlieben einen Bruch darstellten im Hause der Flavier - andererseits indes hatte ein solches Befinden ihn in Epicharis' Räumlichkeiten niemals befallen, welche schlussendlich ebenfalls dem claudischen Hause entstammte, so dass es wohl letztlich doch mehr an der Persönlichkeit seiner Gattin lag denn an dem Raume an sich, ob dessen er ein wenig sich ärgerte, keinen anderen Ort für sein Vorhaben bestimmt zu haben. Indes bereitete es Gracchus ebenfalls Unbehagen, so die Claudia sein eigenes Cubiculum betrat, und ein anderes Cubiculum - ein Gästezimmer etwa - hätte dem ganzen den Anschein einer Art geschäftlicher Beziehung gegeben, was er ebenfalls wollte vermeiden, denn obgleich eine Ehe wohl auch eine Art geschäftliche Beziehung war, so waren sie über solcherlei doch bereits ein wenig hinaus - sollten es zumindest sein.
    "Antonia"
    , sprach er ihren Namen aus, im Ansinnen die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken, welche unweigerlich zwischen ihnen sich auftat. Fort waren alle Gedanken an die wohlgeformten Körper athletischer, junger Männer, fort alle Reminiszenzen an Caius' ölige Haut im Arenensand der Therme, fort alle Gedanken an Hephaistions muskulösen Leibe, mit welchen er hatte versucht, sich in die rechte Stimmung zur leiblichen Vereinigung mit seiner Gemahlin zu setzen, denn die untadelige, perfekte Erscheinung Antonias glich einem ehernen Damm, an welchem alles tosende Brausen des Verlangens sich brach, jede aufgewühlte, schaumige Wellen der Lust wurde zurückgeworfen und jeder unbändige Sturm aus Konkupiszenz sich legte. Gracchus schluckte, sog unbewusst für einige Augenblicke seine Unterlippe zwischen die Zähne und suchte nach den Worten, welche er sich hatte zurechtgelegt, die ihm nun jedoch gänzlich verlustig waren.
    "Ich ...
    , begann er schlussendlich, denn als Anfang eines Ansinnens war dies immer halbwegs tauglich.
    "Ich komme des ... Kindes wegen."
    Es klang ein wenig danach, als hätte er es bereits im Voraus bestellt und käme nun, um es nurmehr abzuholen und mitzunehmen - und wahrlich, diese Prozedur wäre ihm weitaus angenehmer gewesen.
    "Des ... des noch immer aus..stehenden Sohnes."
    Allmählich bemerkte Gracchus, dass er wohl nurmehr Zeit schindete, denn ohnehin würde Antonia dies doch bereits wissen, so dass seine Worte gänzlich überflüssig waren.
    "Wenn dir dies genehm ist"
    , fügte er dennoch hinzu, denn allfällig war es dies nicht und in diesem Falle würde er niemals es wagen, sie zu bedrängen.

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  • Es jagte ihr, wie so oft, einen Schauer - angenehm oder nicht sei dahingestellt - über den Rücken, als ihr Gemahl ihren Namen aussprach. Es war ein jedes Mal wie die Ouvertüre zu etwas Grausamem, die Ankündigung einer knochenzerschmetternden Strafe, mit der der Flavier sie zu belegen gedachte. Dies geschah freilich selten, genauer gesagt nie und doch schaffte Antonia es nicht, jene Angst, jenes ungute Gefühl versagt zu haben abzulegen, wenn Gracchus vor ihr stand. Nicht einmal die Geborgenheit des eigenen Cubiculums vermochte dem entgegen zu wirken. Augenblicklich begann sie nervös an einer Falte ihrer Tunika zu zupfen, immer wieder zu ordnen, wo nichts zu ordnen war.
    Den Grund seiner Anwesenheit hatte sie bereits erahnt und dennoch reckte sie leicht trotzig und zugleich schuldbewusst das Kinn. Des Kindes wegen. Ihrer Unfähigkeit wegen. Der Tochter wegen. Verstehend nickte sie, lauschte mit wachsendem Unglauben den weiteren Worten Gracchus', blinzelte verwirrt und begann sich zu fragen, ob er einen Scherz mit ihr trieb. Des ausstehenden Sohnes wegen? Er wollte doch nicht am Ende.. jetzt schon? Die Geburt war doch erst einige Wochen her, nach Minor hatte es Monate - oder waren es Jahre? - gedauert, bis er wieder ihre Räumlichkeiten zum Zwecke der Zeugung eines Kindes aufgesucht hatte.
    "Äh.. ", war demnach alles, was sie im ersten Moment erwidern konnte, derart überrumpelt fühlte sie sich. Auf ein solches Anliegen war sie nicht vorbereitet. Gut, wenigstens war sie nicht wie sonst bereits bettfertig, sah nicht aus wie ein zerrupftes Huhn, mit locker sitzender Tunika und aufgelöstem Haar. Ihre einzige Rüstung, ihr Aussehen, war unangetastet. Warum nur fühlte sie sich dann so nackt?
    Endlich bemerkte sie, dass sie ihren Gatten anstarrte, riss den Blick los, hin zu ihrem Bett. Nein, das meinte er gewiss nicht. Er wollte reden, wollte erörtern, wann und ob man die Zeugung eines weiteren Sohnes in Angriff nehmen konnte. Wollte diesmal alles besser vorbereiten, damit nicht noch einmal ein solches Desaster passierte. Oder? Unsicher was sie tun sollte fanden ihre Augen die des Flavius, huschten anschließend unstet umher, während ihre Lippen ein "Natürlich. Wie du möchtest." formten.

  • Erleichterung durchströmte Gracchus als sie ihr Einverständnis gab, führte gar dazu, dass er ein klein wenig sich entspannte - wenn auch nur marginal und nur für einen kurzen Augenblick. Gleichwohl war seine Bewegung auf sie zu noch immer von großer Unsicherheit geprägt, bemerkte er die Defizite, welche noch immer in seinem Leibe vorherrschten um so deutlicher, schien die Unausgewogenheit seiner seelischen Verfassung sich augenscheinlich auf das Ungleichgewicht seines Körpers auszuwirken. Je näher er ihr kam, je näher ihr Antlitz an das seine rückte, desto nervöser wurde er, desto gefühlloser schienen seine Fingerspitzen zu werden. Es war ihre opulente Weiblichkeit, die ihn verstörte, gar ein gewisses Maß an Aversion in ihm evozierte. Ein leises, gehässiges Kichern drang in seine Ohren, doch als er ruckartig den Kopf drehte, dorthin von wo er glaubte, es zu vernehmen, die Stirne dabei ärgerlich in Falten legte, war es kein Mensch, waren es nur die Schatten, die sich zeigten. Er wandte sich zu der jungen Sklavin um, welche tunlichst suchte mit dem Raum zu verschmelzen und herrschte sie an.
    "Lösche die Lampen bis auf eine!"
    Es würde noch genügend Restlicht verbleiben, dass sie nicht in vollkommener Dunkelheit würden verharren, doch allfällig wenig genug, um die Realität ein wenig zu kaschieren und die Schatten in sich zu verschlucken. Während die Sklavin der Weisung nachkam, überwand Gracchus den letzten Schritt bis vor Antonia, hob den linken Mundwinkel zu einem schiefen, unglückseligen Lächeln, das doch alsbald erstarb, als das raunende Kichern neuerlich einsetzte, durchdrungen von leisem Wispern.
    Du wirst niemals einen Sohn zeugen,
    stachelte der monotone, farblose Raum um ihn her.
    Nimmermehr!
    Da seine Nerven ohnehin schon blank lagen, zerrte dies nurmehr weiter noch an den Grundfesten seiner Selbstsicherheit, dass er voller Ingrimm seine Kiefer aufeinander biss, dass die Knochen auf seinen Wangen hervortraten, fasste grob nach Antonias Schultern, das leichte Zittern in seinen Händen nicht einmal mehr zu verbergen suchend.
    Nimmermehr! Nimmermehr! Nimmermehr!
    drang das Kichern aus allen Ritzen und Ecken der Dunkelheit, schwemmte wie eine devastierende Woge über Gracchus' Geist hinweg, löschte alles in ihm aus, dass nurmehr der glühende Zorn in ihm verharrte. Ein tiefes Grollen grantiger Gereiztheit drang aus seiner Kehle empor im gleichen Augenblicke da er seine Gemahlin harsch umdrehte, bis dass sie mit dem Rücken zu ihm hin stand, und er unwirsch begann an dem Knoten des gürtenden Bandes, welches ihr Kleid um die Hüften umfasste, herum zu nesteln, im vergeblichen Versuche, ihn zu öffnen, geleitet von dem nun schon im wispernden Chorale ertönenden
    Nimmermehr!
    Der Stoff indes scherte sich nicht um die Hatz, nicht um das feixende Crescendo, welche in seinem Geiste sich zutrug, und blieb standhaft in sich verschlungen.
    Nimmermehr
    , trieb es Gracchus voran, dessen Sinne längst ausgefüllt waren mit seinem Scheitern, dass er schlussendlich in regelrechtem Furor gefangen den Gürtel mit beiden Händen griff und ruckartig auseinander zog, Zornestränen ihm in die Augen trieben da das Band sich ihm widersetzte und nicht im ersten Versuche zur Gänze riss.
    Nimmermehr!

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  • Er kam näher, unaufhaltsam strömte Gracchus auf sie zu, wie das Meer, wie ein Sturm, wie glühende Lava aus einem Vulkan, der danach trachtete alles Leben um sich herum auszumerzen. Doch wollte ihr Gatte nicht Gegenteiliges, wollte er nicht neues Leben schaffen? Sie schluckte, hoffte er würde nicht bei der ersten Berührung ihre Gänsehaut bemerken und ihre Unsicherheit enttarnen.
    Sein Kopf zuckte in eine Richtung, schien etwas zu suchen und fand die Sklavin, die augenblicklich gehorchte. Während es also von Sekunde zu Sekunde düsterer im Raum wurde, fiel ein Stück Angst von Antonia ab. Die Dunkelheit war ihr Verbündeter, verbarg die vielen Unzulänglichkeiten und den stieren Blick. Er grinste, undeutbar für die Claudia. War das Vorfreude? Oder vielmehr eine erzwungene positive Miene, die seine Abscheu kaschieren sollte? Letzteres, glaubte Antonia zu wissen, bis sein Gesicht sich wandelte, angestrengt wurde und sie packte. Zitterte er? Er? War das gar Leidenschaft in ihm? War es nicht das, wovon die Dichter immer schrieben? Dass der Mann in einer solchen Stunde keine Kontrolle mehr über sich selbst hatte und mehr wilde Bestie als Mensch war? In ihr begann es zu kribbeln, die Augen zu funkeln, die Lungen saugten gierig Luft ein und ihre Lippen bogen sich zu einem leichten Lächeln.
    Und da, ein Knurren drang aus seiner Kehle, vermochte wohl nicht mehr das Biest in sich zu zähmen. Er war so anders als zu früheren.. Gelegenheiten dieser Art, wie ausgetauscht. Woran es nur liegen mochte? Sie sträubte sich nicht, als ihr Gatte sie herumwirbelte, feurig an ihrem Gürtel zu nesteln begann - ohne Erfolg, wie sie nach einiger Zeit des Ruckelns und Zerrens feststellte. Mit zunehmender Widerborstigkeit des Kleidungsstückes schien seine Raserei zuzunehmen, er zog und riss, während ihr Gurt wahre Standhaftigkeit bewies. Erst das Geräusch, das das Reissen von Stoff begleitete, signalisierte ersten Erfolg, ließ die Claudia jedoch zugleich erstarren. Bei Iuno und Venus, was trieb ihn nur? Jener Gürtel hatte ein kleines Vermögen gekostet! Ihn scherte es nicht. Ganz offensichtlich, warum auch? Er hatte größeres im Sinn.
    Antonia jedoch fürchtete langsam um ihre Garderobe, das Kleid, das sie bedeckte war schließlich eines ihrer Lieblingsstücke und ganz gleich wie sehr es Gracchus drängte, dieses Kleid sollte er doch nicht zerstören. Sie machte sich los, stieß sich wirsch ab von jenem Satyr, der ihr Cubiculum erobert hatte und löste mit einem geübten Handgriff den Überrest ihres Gürtels von ihren Hüften, keine Sekunde den Gemahl aus den Augen lassend, wie die Maus vor der Schlange. Es blitzte angriffslustig in ihren Augen, als sie das orangerote Gewand von ihren Schultern gleiten ließ.

  • Nimmermehr!
    peitschte der tonale Sturm um ihn her, wurde um so tosender je weniger Gracchus des vermaledeiten Gürtels wurde habhaft, dass alsbald ihm der Schweiß auf die Finger trat, das Unterfangen in gleichem Maße erschwerte wie sein Scheitern den Zorn in ihm anfeuerte. Doch nicht nur das Band widersetzte sich ihm, letztlich entwand gar seine Gemahlin sich aus seinem Griffe, führte ihm durch ihr Entkommen seine eigene Unfähigkeit vor Augen, desavouierte ihn regelrecht als sie selbst mit einem einzigen, behänden Handgriffe ihren Gürtel löste. Das hämische Lachen schwoll an zu einer infernalen Kakophonie, da die Schatten nun auch noch Antonia auf ihre Seite hatten gezogen - und dies war längstens nicht genug der Schmach, wagte sie doch zudem auch noch ihn herauszufordern - ihn, ihren eigenen Gemahl!
    Du wirst niemals mehr einen Sohn zeugen!
    schmetterte sie sardonisch mit ihrem Blicke ihm entgegen und trieb damit den letzten Funken Verstand aus Gracchus' rasenden Sinnen, dass auch das Ballen seiner Linken zur Faust den überbrodelnden Furor nicht mehr aus seinem Leibe konnte ableiten. Bar jeglicher Kontrolle seines selbst, den Irrsinn sichtbar auf seinem Antlitz tragend und mit einem weiteren Grollen aus der Tiefe seiner Kehle setzte er Antonia nach, packte sie erneut an der Schulter und stieß sie mit wutentbrannter Kraft zu ihrem Bett. Er würde einen Sohn zeugen und sie würde ihn gebären - und wenn es das letzte war, was sie beide taten! Nebensächlich war ihr Leib, unbedeutend ihr Wesen, ohne Relevanz ihre Ehe, alles was sie verband oder trennte - nurmehr die Zeugung ihres Sohnes war von Belang als wäre dies der einzige Grund ihrer Existenz. Der nachfolgende, aus diesem dräuenden Verlangen, der jähzornigen Wut und dem flavischen Wahn resultierende Akt glich einem am Ufer vertäuten Ruderboot, das unkontrolliert von den gierigen Fluten eines Unwetters wurde hin und her gepeitscht, zügellos dem reißenden Strom der Brandung ausgeliefert, der Gischt des Lachens und Keiferns, dem animalischen Kreischen und Toben, das erst im euphorischen Blutrausch des Klimax erstarb.

    ~~~


    Stille setzte ein, durchbrochen nur vom raschen, atemlosen Keuchen aus seiner Kehle und dem Atem seiner Gemahlin neben ihm. Stumpf hing Gracchus' Blick im trüben Zwielicht, während er träge sich fragte, weshalb die Flammen der Öllampen nicht mehr brannten. Nimmermehr trieb durch seinen Geist wie eine einsam verlorene Feder auf den endlosen Weiten des Ozeans, und es schien ihm als wäre dies von Bedeutung, doch konnte er nicht sich entsinnen, weshalb.

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  • Wie im Rausch, oder vielmehr im Wahn riss er ihren Leib an sich, forderte Hingabe, Gehorsam, Widerstand. Und je mehr die Tollheit ihres Gemahls wuchs, umso mehr steigerte auch Antonia sich in die Vereinigung, vergaß Zweifel, Angst und unausgesprochene Vorwürfe.
    Nur wenige Augenblicke jedoch, nachdem sie nebeneinander niedersanken, als Schweigen Keuchen und Stöhnen ablöste, kehrten all jene Emotionen zurück, die in die hinterste Ecke des Bewusstseins verbannt worden wahren, erschienen die vielen Unsicherheiten wieder, die die Claudia stets im Würgegriff hielten. Und Erkenntnis kroch in ihr empor. Erinnerungen, die keine halbe Stunde zurücklagen, die sie sich selbst sehen ließen, wie sie sich völlig losgelöst lenken und führen ließ, wie sie Dinge geschehen ließ, die ihr für gewöhnlich die Schamesröte ins Gesicht trieben. Es war ein Glück, dass sie Gracchus nur schemenhaft erkannte, als sie ihren Blick im Raum umher wandern ließ, auf der Suche nach einem Rest ihrer Würde.
    Sie zwang sich wieder an die Decke zu sehen, ihren Atem und sich selbst zu beruhigen. Das war wohl nicht Iuno, welche sie heute geleitet hatte. Aber vielleicht genügte bereits jener eine Akt, um ihrem Gatten seinen zweiten Sohn zu sichern. Obgleich sie sich nicht sicher war, ob sie um Selbiges zu sichern dergleichen wiederholen oder lieber zum vorigen Ablauf der Vereinigung, dem ruhigeren, weniger leidenschaftlichen Liebesspiel eines langjährigen Ehepaares zurückkehren wollte.
    Sie verdrehte schnell die Augen und schloss anschließend selbige, hoffend ihrem Gemahl stünde nicht der Sinn danach noch etwas zu sagen oder zu tun.

  • Nur allmählich kehrten Gracchus' Sinne zurück in seinen Leib, blinzelte er die Desorientierung aus seinem Geiste und kehrte die Konfusion aus den Fluren seines Gedankengebäudes, wenn auch dies ihm nicht mochte gänzlich gelingen, denn augenscheinlich hatte er bereits seine eheliche Pflicht erfüllt, derentwegen er seine Gemahlin hatte aufgesucht, obgleich er nur schemenhaft sich dessen entsann. Etwas war divergent gewesen zu den vorherigen Malen als sie den ehelichen Beischlaf hatten vollzogen, doch Gracchus schob es darauf, dass Antonia diesmalig nicht von ihm war überrumpelt worden, sondern sich zuvor hatte darauf einstellen können. Dies Vorgehen war also zweifelsohne geeigneter - sofern eine neuerliche Kopulation sollte vonnöten werden. Allfällig, so überlegte Gracchus, wäre es vorteilhaft, so er sie von nun an jeden Abend würde aufsuchen so lange bis sein Sohn zweifelsfrei war gezeugt - doch trotz allem widerstrebte ihm dieser Gedanke. Allfällig sollte er besser ein, zwei Wochen abwarten, bis dahin würde unbezweifelt feststehen, ob weiteres Bestreben notwendig wäre. Die aufkommende Müdigkeit in sich bei Seite drängend drehte Gracchus träge seinen Kopf zur Seite hin, um Antonia eine entsprechende Frage zu stellen, doch ihre Augen waren geschlossen und sie schien bereits dem Schlafe erlegen zu sein. Ein leises Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, nicht der ausstehenden Antwort wegen, sondern da zumindest seine Gemahlin die Pflichten ihrer Ehe nicht ebenso in Unsicherheiten zu stürzen schienen wie ihn selbst, da sie so friedlich nun neben ihm ruhte. Vorsichtig stand Gracchus aus dem Bett auf und zog seine Tunika zurecht, welche er nicht hatte abgelegt - dabei ein wenig indigniert bemerkend, dass dort ein Riss am Saume klaffte und hoffend, dass Antonia dies nicht hatte bemerkt als er ihren Raum hatte betreten. Leise suchte er die ledernen Hausschuhe, welche er augenscheinlich irgendwann hatte von den Füßen gestreift, blickte noch einmal ein wenig trübselig auf seine schlafende Gemahlin und verließ den Raum in der Hoffnung, dass unter ihrem Herzen bereits der Genius eines Jungen schlummerte.
    Nimmermehr ...
    hallte es leise in seinen Sinnen nach, doch glaubte er ohne weiter darüber nachzudenken dies auf die Notwendigkeit neuerlichen Beischlafes beziehen zu können, was gar ein schmales, zufriedenes Lächeln um seine Lippen legte.

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  • Vor dem Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, dieser Grundsatz gilt auch in Sachen Kinderzeugung. Manchmal funktionierte es, und die Bemühungen trugen Früchte. Manchmal hingegen musste man mehrmals probieren, bis die Arbeit (was es wohl hier war) zu einem Gelingen führte.


    In diesem speziellen Fall fand kein putziges Kerlchen sein Ziel, der Ehemann musste seiner Frau nochmals beiwohnen, wenn er ein Kind in die Welt setzen wollte. Nix mit Nimmermehr.

  • So kam es, dass seit diesem zurückliegenden Tage - da am folgenden Morgen die Gemahlin keine Schwangerschaft konnte vermelden - der Ehemann einen jeden Abend sie aufsuchte, seine eheliche Pflicht zu vollziehen, zumeist in der gleichen, wenig enthusiastischen Begeisterung wie er etwa der Pflicht folgte den Senatssitzungen beizuwohnen, manches mal erfüllt von Angst, Beklommenheit, Furcht oder Scham, manches mal an Hephaistion denkend, an Sciurus oder Caius oder gar an alle gemeinsam, manches mal - wenn auch selten - neuerlich von Zorn oder Wut auf die larves getrieben in Wahn verfallend - und dies Treiben würde nicht eher ein Ende nehmen, bis dass nicht die Ehefrau ihn mit dem einzigen Grunde würde abwehren, welchen er würde tolerieren: dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trug - und zweifelsohne würde dies ohne eine Gegenmaßnahme ihrerseits früher oder später geschehen, mit oder ohne den Willen jedweder Götter, einzig dem Laufe der Natur folgend.

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  • Und ebenso kam es, dass Antonia, welche sich zu Beginn noch über die gesteigerte Aufmerksamkeit ihres Gatten erfreute, zunehmend wünschte, Priapus möge Gracchus doch seine Gunst entziehen. Doch er tat es nicht, Nacht um Nacht suchte er sie heim, tat was getan werden musste, um der Familie die Zukunft zu sichern. Welch Wahn ihren Gatten auch immer trieb, die Claudia verlegte sich zunehmend darauf, still zu liegen und es zu erdulden. So war es meist am schnellsten vorüber. Es sei denn die Leidenschaft packte hin und wieder ihren Gemahl, Teilnahmslosigkeit war in einem solchen Fall wenig zu empfehlen wie sie feststellte, konnte es doch schnell in blauen Flecken auf der hellen Haut enden, wenn sie sich Gracchus hier nicht hin und wieder anpasste. Bisweilen ertappte Antonia sich gar bei der Befürchtung mittlerweile sei sie unfruchtbar geworden, habe den Zenit der Jugend endgültig überschritten und alle Bemühungen seien vergebens.
    Die Opfer an Iuno fielen indes von Tag zu Tag größer und kostspieliger aus in der Hoffnung, sie möge Antonias Martyrium endlich beenden. Und tatsächlich, eines Tages, nach einer Ewigkeit wie ihr schien, begannen die kleinen Symptome einzusetzen, die sie aus der vorangegangenen Schwangerschaften kannte. Kaum dem Gatten berichtet endeten die nächtlichen Besuche - obgleich die Patrizierin fast befürchtet hatte, Gracchus habe derartigen Gefallen daran gefunden, dass er sich nicht würde zügeln können und trotzdem sein eheliches Recht einfordern.


    Mit der Gewissheit aber nun wieder in Frieden leben zu können zog Antonia sich mit wachsendem Bauch wieder mehr und mehr aus der Öffentlichkeit und dem Leben in der Villa zurück. Denn zwar waren schon die vorigen Schwangerschaften kein leichtes für die zart gebaute Frau gewesen, doch dieses Mal kam die unerträgliche Hitze des Sommers hinzu. Viel mehr als liegen und die Sklaven in den Wahnsinn treiben tat Antonia also nicht dieser Tage. Und vermutlich war es für alle Beteiligten (außer die Sklaven) auch besser so. Allein Minimus kam in den Genuss einer fürsorglichen und liebevollen Mutter, Flamma - in Antonias Augen Grund für ihre Misere - wurde gänzlich den Ammen überlassen.
    Hatte Antonia im Übrigen eine gewisse Furcht vor den beiden ersten Geburten gehabt, so sehnte sie mittlerweile den Tag der Entbindung herbei, der ihre Qualen hoffentlich beenden würde. Obgleich die leise Angst, abermals ein Mädchen empfangen zu haben, sie wie ein Flüstern stetig begleitete.


    Die Götter jedoch und Iuno im Speziellen hatten kein Erbarmen mit der Patrizierin. Die Zeit der Niederkunft rückte näher, kam... und verstrich. Tag um Tag war man sich sicher es müsse heute so weit sein. Doch nein, der neue Flavius - oder die Flavia - dachte nicht im Traum daran sein gemütliches Heim zu verlassen. Sie solle viel umherlaufen, sagte man Antonia. Dieses Mittelchen zu sich nehmen oder jenes. Gymnastische Übungen machen, um die Wehen einzuleiten. Nichts half. Und die Patrizierin fühlte sich zunehmend wie eine Elefantenkuh. Einmal bat sie gar den Medicus das Kind zu holen, ganz gleich was mit ihr geschähe. Er tat es nicht und sie musste weiter warten.
    Dann jedoch, eines Nachts, erwachte Antonia, schweissgebadet wie sie glaubte. Das Laken um sie herum war feucht und irritiert befühlte die Claudia ihre Stirn, welche sich durch eine geradezu närrische Trockenheit auszeichnete. Verwirrt sah sie sich um, als ein stechender Schmerz ihren Körper durchfuhr. Keuchend fasste sie sich an den kugelrunden Bauch, in dem es rumorte. Es war so weit, musste so weit sein - die Fruchtblase war geplatzt! Die Sklavin, die stets bei ihr schlief, war schnell an Antonias Seite, nur halbwach, doch geistesgegenwärtig genug, um loszueilen und die anderen Sklaven zu benachrichtigen, welche für alles weitere Sorgen würden. Und mit der entsprechenden Vorsicht Gracchus Maior aus seinem Schlaf reissen würden.

  • Ein magerer Sklave mit schütterem Haar eilte zu Gracchus' Cubiculum und benachrichtigte dort Sciurus, welcher wie üblich auf seinem Hocker neben der Türe hatte einen sehr seichten Schlaf geschlafen und schon durch das Geräusch der herannahenden Schritte im Flur erwacht war. Mit wenigen Worten teilte der namenlose Sklave das nahende Ereignis mit, woraufhin sich der flavische Vilicus der Aufgabe widmete, seinen Herrn aus dessen tiefen Schlaf halbwegs sanft zu erwecken und ihm vorsichtig zu erklären, dass jeden Augenblick sein Kind das Licht der Welt würde erblicken - was zweifellos kein leichtes Unterfangen würde sein, da Gracchus des Nachts dazu neigte alles um ihn her als Traum zu erachten oder aber nicht ganz bei Sinnen zu sein. Als Sciurus ihn sanft an der Schulter rüttelte, zog der Flavius sich nur weiter in die Decke zurück, denn er wollte nicht bereits aufstehen - merkwürdigerweise war ihm zu diesem Zeitpunkt mehr als präsent, dass an diesem Tage eine überaus dröge Senatssitzung auf ihn würde warten - Aussprachen über diverse Finanzberichte. Doch der Morgen war längst nicht angebrochen und irgendwann drangen die Worte des Sklaven in sein Bewusstsein, dass der Zeitpunkt gekommen sei, dass Antonia in diesen Augenblicken sein Kind zur Welt brachte. Keine Nachricht hätte ihn mehr derangieren, hätte ihn schlussendlich schneller aus seinem Bette emporfahren lassen können, so dass er kurz darauf im goldfarbenen Schein der Lampen stand, welche den Raum ausleuchteten, sich waschen und ankleiden ließ. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie viel enervierende Zeit zuletzt vergangen war zwischen dem Zeitpunkt der bevorstehenden Geburt Flammas und dem tatsächlichen Augenblick, da das Kind endlich das Licht der Welt erblickte, so dass Gracchus nicht allzu sehr sich eilte, denn längst war ein Sklave vor dem Cubiculum seiner Gemahlin abgestellt, um ihn zu benachrichtigen, sobald seine Anwesenheit erforderlich war - nie wäre der Gedanke ihm gekommen, während der Geburt bei Antonia zu weilen, denn abgesehen davon, dass er nicht all das Blut würde mit ansehen können, war die Geburt seit Urzeiten eine Angelegenheit der Frauen, in welche Männer sich in keinem Falle sollten einmischen.

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  • Gleichzeitig mit dem Boten zu Gracchus' Cubiculum setzte auch an anderen Orten in der flavischen Villa geschäftiges Treiben ein. Ein junges Mädchen, dem der Schlaf noch in den Augen stand, wurde ausgeschickt, um die Hebamme zu wecken und herbei zu holen, die in einem der kleinen Gästezimmer in einem Seitenflügel der Villa wohnte. Schon seit einigen Tagen vor jenem, der Antonia als Geburtstermin prognostiziert worden war, erhielt die Frau Kost und Logis in der Villa Flavia, um sich beständig bereitzuhalten. Denn wenn es soweit war, dass Antonia niederkam, so sollte die Hebamme nicht erst noch einen weiten Weg durch die Stadt auf sich nehmen müssen, geschweige denn gerade bei einer anderen Kundin weilen.


    Auch die junge Sklavin, die als Amme für den Nachwuchs ausgewählt worden war, wurde benachrichtigt - wach war sie ohnehin schon, da sie gerade ihren eigenen Sohn stillte - und eilte in das Gemach der Herrin, um dieser bei der Geburt bei zu stehen. Ihr Name war Ariadne und ihr Großvater war im tiefsten Süden Africas für die flavische Sklavenzucht eingefangen worden. Man hatte bei den Kreuzungen darauf geachtet, das tiefe Schwarz der Haut zu erhalten, so dass auch Ariadnes Haut dunkel schimmerte, ebenso wie die ihres Sohnes Ikarus. Vor knapp einem Monat hatte sie diesen auf dem flavischen Anwesen in Baiae zur Welt gebracht und war kurze Zeit darauf nach Rom gesandt worden. Sobald der flavische Nachwuchs an ihrer Brust liegen würde, würde ihr eigener Sohn selbstverständlich verkauft oder zurückgeschickt werden, denn sie sollte niemals in Versuchung kommen, ihr eigenes Kind dem flavischen vorzuziehen, doch bis dahin trug sie das kleine Bündel stets bei sich.


    Die Hebamme und Ariadne erreichten Antonias Cubiculum etwa zur gleichen Zeit und erlösten deren Sklavin, die ein wenig konfus ihrer Herrin beistand. Ikarus hatte seine Mahlzeit während des kurzen Weges durch die Villa beendet und war in den Armen seiner Mutter eingeschlafen, die ihn nun behutsam auf einem kleinen Tisch an der Seite ablegte, um sich ganz der Geburtshilfe und den Anweisungen der Hebamme widmen zu können.

  • Dem Kind musste zugute gehalten werden, dass es sich nach der überaus langen Wartezeit auf die Geburt nun sehr beeilte damit auf die Welt zu kommen.
    Schnell waren die nötigen Helferinnen vor Ort, taten ihr möglichstes um der Patrizierin die Wehen und die Anstrengung ein wenig zu erleichtern. Antonia war selbstredend nichts recht, verwünschte im Stillen sowohl den Gatten, der ihr dies angetan hatte als auch sich selbst, weil sie es zugelassen hatte. Was auch immer in diesem Raum aus- und einging nahm sie bestenfalls schattenhaft wahr und schenkte dem ohnehin keine weitere Bedeutung. Zumeist waren es schließlich Sklaven und wenn jemand das Ignorieren von Haushaltsgegenständen perfektioniert hatte, so war es Antonia.


    Mit zunehmender Wehenfrequenz war sie dann allerdings doch recht froh um jeden Beistand, jede Hand, die ihr tröstend gereicht und jedes Tuch, das ihr kühlend auf die Stirn gelegt wurde. Es solle dieses Mal recht schnell und unkompliziert vonstatten gehen, versicherte die Hebamme, da die Mutter bereits zwei Geburten hinter sich habe. Antonia hätte jedoch nicht bestimmen können, woran genau die Geburtshelferin dies festmachte, ihr schien es als vergingen Tage, bis man sie endlich bat sich auf den Gebärstuhl zu setzen. Schwerfällig und von zwei Sklavinnen gestützt leistete sie jener Bitte Folge, bedeutete jener Umzug doch, wie sie wusste, ein nahendes Ende von Schmerz und Mühe.
    Tatsächlich graute noch nicht einmal der Morgen, als das in der Villa mittlerweile wohlbekannte Schreien eines Neugeborenen die Nacht durchdrang. Doch noch gestattete Antonia es sich nicht, sich erleichtert zurückzulehnen, sich wieder ins Bett helfen zu lassen, um sich auszuruhen. Fest umklammerte sie noch immer die Lehnen ihres Stuhls, so hart war ihr Griff, dass die Knöchel weiss hervortraten. Ihr Blick, bohrend, bittend, fast flehend, ruhte auf der Hebamme, die das Kind bereits in ein Tuch gewickelt hatte. Nur ein einziger Gedanke hatte Platz in ihrem Kopf, eine letzte Sorge galt es auszuräumen.
    "Ein Junge, domina.", verkündete die Hebamme fröhlich, als sie dem Kind das Hinterteil tätschelte.
    Ein Junge. Ein Sohn. Endlich sackte die Patrizierin kraftlos zurück, gestattete sich gar ein sachtes Lächeln. Ob des Kraftaufwands der Geburt zitterten ihre Hände leicht, als sie vorsichtig über den Kopf des Kindes streichelte, ehe sie der versammelten Frauenschwar bedeutete, sie wolle sich hinlegen. Die Hebamme reichte das Kind weiter an die bereitstehende Amme, welche sich aufmachte das Zimmer zu verlassen und das Kind von Blut und Schmutz der Entbindung zu befreien. Indes drapierte man die frischgebackene dreifache Mutter zurück in ihr Bett, von wo aus sie die Frauen entließ. Ruhe... Ruhe war nun alles, was sie wollte. Sie hatte ihre Pflicht erfüllt, hatte endlich ihrem Gemahl den zweiten Sohn geschenkt. Was mehr konnte sie sich nun wünschen, außer Ruhe? Und mit dem letzten verhallenden Sklavenschritt an der Tür schien es, als würde ihr Wunsch erfüllt.

  • Gänzlich unkonzentriert suchte Gracchus auf die Worte Sciurus' sich zu fokussieren, welcher im Schein der Lampen diverse belanglose Schriftstücke ihm vorlas, als endlich der magere Sklave wieder zurückkehrte und erfreut kundtat: "Es ist ein Junge, Herr! Deine Gemahlin hat einen gesunden Sohn zur Welt gebracht!"
    "Ein Junge?!"
    Ungläubig blinzelnd erhob Gracchus sich, umarmte schlussendlich voller Freude strahlend seinen Vilicus.
    "Ich habe einen weiteren Sohn, Sciurus, einen Sohn! Gebe in der Küche Bescheid, dass die Sportulae für die Klienten heute besonders rei'hlich befüllt werden!"
    Rasch trat er an dem Sklaven vorbei und strebte dem Gemach seiner Gemahlin zu. Mit der Geburt seines Sohnes fiel eine erdrückende Last von ihm ab, welche längst über die Furcht war hinausgewachsen, Minor könne künftig etwas zustoßen, denn tatsächlich war Gracchus nicht mehr gänzlich dessen sich sicher, ob sein Erstgeborener durch seine Fehlsichtigkeit gehindert noch den Anspruch würde erfüllen können, welcher an einen flavischen Erben wurde gestellt. Er selbst würde seinem Sohn niemals diesen Weg versagen, wusste er doch nur allzu genau, wie gut sich so manch ein Makel vor der Welt verbergen ließ, doch gleichsam sollte Minor ebenso wenig in diese Spur hinein gedrängt werden, denn Titus würde diesen Weg nun ebenso gut gehen können! Voller Euphorie bog Gracchus in Antonias Cubiculum ein und erblickte sogleich das Kind, das in flachsfarbene Tücher gehüllt auf einem kleinen Tisch lag - kein Auge hatte er in diesem Augenblicke für seine Gemahlin, welche er doch zeitgleich im Herzen vergötterte.
    "Mein Sohn!"
    trat er stolz auf das Bündel zu und wollte bereits den Namen des Jungen festlegen, als im Näherkommen jegliche weitere Silbe im Halse ihm stecken blieb, als seine Züge ihm entglitten und einige Herzschläge lang diverse Emotionen auf seinem Antlitz um die Vorherrschaft kämpften und einen wilden Reigen tanzten - Derangieren, Zweifel an seiner Sicht, bares Erstaunen, Hadern mit der Realität, vermeintliches Erkennen, Zögern ob der bisherigen Perfektion seiner Gemahlin, schlussendlich erste Anzeichen von Zorn. Dieses Kind vor ihm stammte unbestreitbar nicht von ihm ab, war zweifelsohne kein Flavius, denn seine Haut war von dem gleichen dunklen Braun wie die fruchtbare Erde Etrurias, und da es soeben dem Leibe seiner Gemahlin war entbunden worden bezeugte dies fraglos, dass Antonia ihn hatte hintergangen - schlimmer noch, betrogen mit einem Sklaven! Hätte er allfällig über dies noch hinwegkommen können - wenn auch nicht hinwegsehen -, so verharrte sie augenscheinlich zudem auch noch im Glauben, diesen Bankert ihm unterschieben zu können, beabsichtigte ihn vor der gesamten Welt zu blamieren, indem sie ihm dies Kind als sein eigenes präsentierte! Er konnte nicht fassen, dass sie dies tat, konnte nicht fassen, dass sie glaubte, dass er dies nicht würde bemerken, dass sie ihn augenscheinlich als derart einfältig erachtete! Innerhalb weniger Herzschläge entzündete die Empörung in Gracchus eine unbändige Melange aus Zorn, Wahn und Ingrimm, geschürt aus Desillusion und Echauffierung, die in einer raschen Bewegung ausbrach als er mit wutschäumender Kraft das Kind vor ihm am Halse packte und emporhob, dass die Laken um es herum hernieder fielen.
    "Du ... du abominable Gorgo!"
    zischte er zornig zu Antonia in ihrem Bette, den kleinen Leib in seiner Hand dabei schüttelnd, dass der Junge begann zu schreien, was den Furor in Gracchus nur mehr noch antrieb, dass seine Augen beinahe Funken sprühten.
    "Wie ... kannst du es wagen … mir dieses Balg vor..zulegen!?"
    Jähzornig schleuderte er das schreiende Kind gegen das Bett seiner Gattin als wäre es eine Puppe, ein wertloses Ding - und nichts anderes war es für ihn -, dass es dort hart gegen die hölzerne Kante prallte und schlussendlich reglos zu Boden fiel, nach einem leisen Wimmern seinen letzten Atemzug aushauchte. Der lodernde Zorn in Gracchus' Augen erkaltete und wich hartherzigem Hass, in dessen Couleur seine Stimme sich senkte zu einem drohenden Hauch, von welchem begleitet er auf Antonia zutrat.
    "Ich werde dich ..."
    Weiter indes kam Gracchus nicht, denn hinter ihm ertönte die freudige Stimme der Amme Ariadne. "Dein Sohn, Herr! Er ist gesund und ..." Noch als Gracchus verstört der dunkelhäutigen Sklavin in der Türe sich zuwandte, die auf ihren Armen ein weiteres Bündel heller Tücher trug, ertönte deren gellender Schrei. "Ikarus!" Achtlos ließ sie das flavische Kind fallen und hastete stolpernd zu ihrem reglos am Boden liegenden Sohn. "Ikarus! Ikarus!" Verzweiflung spiegelte sich in ihrem Antlitz, als sie sich hernieder kniete, den toten Leib aufnahm und suchte das Leben in ihn zurück zu bringen, damit begann, ihn in ihren Armen zu wiegen, ein Lebenszeichen von ihm zu fordern, schlussendlich in ein wehklagendes Heulen verfallend, in das wieder und wieder der Name ihres Sohnes sich mischte. In der Türe erschien nun Antonias vertraute Sklavin, die das Geschehen nicht konnte einordnen, nicht fähig war, sich zu rühren oder einen Laut von sich zu geben. Gracchus indes erkannte seinen Fehler sehr rasch, begriff, dass Antonias Sohn nicht das dunkelhäutige Balg war, sondern das Kind, welches in die Tücher eingeschlagen war, die nun vor ihm inmitten des Raumes lagen und aus denen übertönt vom Wehklagen und Jammern der Amme ein leises Wimmern drang - und in diesem Augenblicke des Erkennens war nichts um ihn her noch von Relevanz, waren die letzten, kurzen Augenblicke zuvor wie aus seinem Gedächtnis gelöscht, gelangte er wieder an eben jenen Zeitpunkt, da er voller Freude gekommen war, sein Kind zu sehen.
    "Mein Sohn"
    , hauchte er ein wenig verhalten, doch ehrfurchtsvoll, hörte nur den stummen Widerhall seiner eigenen Worte in seinen Ohren und das Weinen seines Sohnes, das wie ein Hilferuf ihn zu drängen schien - doch nichts mehr von der heulenden Kakophonie hinter ihm, und nichts von dem Wortwechsel, der vor der Türe zwischen Antonias Sklavin und Sciurus stattfand, welcher eben von der Küche her war eingetroffen. Ehrfürchtig sank Gracchus in die Hocke, nahm das weinende Bündel mit der gleichen Intensität an Sanftmut auf, mit welcher zuvor sein Zorn war ausgebrochen, und suchte das Kind zu kalmieren.
    "Ruhig, mein Sohn, alles wird gut. Habe keine Furcht, denn du bist Titus Flavius Gracchus, Sohn des Manius Flavius Gracchus, mein Sohn - und niemals soll dir ein Leid geschehen!"
    Wie es kein Zweifel daran hatte gegeben, dass das dunkelhäutige Balg nicht von ihm abstammte, so war dies makellose, unschuldige Kind vor ihm eindeutig flavischen Ursprunges. Gracchus drückte den wimmernden Jungen sanft an sich als er mühevoll sich wieder erhob, einen Augenblick mit seinem Gleichgewicht kämpfend, blickte hernach zu der noch immer am Boden jammernden Sklavin und sodann zu Sciurus. Sein Tonfall war kalt und voller Abhorreszenz.
    "Schaffe sie hinaus und lasse Kosmas herbeiholen! Wenn mein Sohn auch nur den ge..ringsten Schaden davongetragen hat, dann lasse im Garten ein Kreuz aufstellen! Sonstig sei ihr ein schneller Tod gewährt. Doch trage in jedem Falle dafür Sorge, dass jeder noch so wertlose Sklave in diesem Hause sieht, wie es jenen ergeht, die einen meiner Söhne ..."
    Er zögerte kurz.
    "... die eines meiner Kinder in Gefahr bringen!"
    Er trat einen Schritt auf Sciurus zu, beugte sich zu ihm und fügte mit Nachdruck ein wenig leiser an, so dass nur sein Sklave die nachfolgenden Worte konnte hören:
    "Sie soll mit niemandem auch nurmehr ein einziges Wort spre'hen, mit niemandem!"
    Während der Vilicus pflichtbewusst um die Beseitigung der Amme und ihres toten Kindes sich kümmerte, trat Gracchus mit seinem weinenden Sohn zu Antonia hin, zog den linken Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln empor und beugte sich schlussendlich zu ihr hinab, um ihr einen zarten Kuss auf ihre Stirn zu hauchen, ehedem er das Bündel in ihre Arme legte.
    "Titus Flavius Gracchus - unser Sohn."
    Einige Augenblicke zögerte er, denn sein Innerstes drängte ihn zu einer Exkulpierung ob jener Worte, welche er ihr hatte entgegen geschleudert, doch letztlich gewann sein Stolz das innere Ringen, dass er beinahe tonlos anfügte:
    "Wäre es der Bankert gewesen, die Götter mögen meine Zeugen sein, ich hätte dich eigenhändig entleibt und herna'h Minor und Flamma mit mir in den Tod genommen."
    Obgleich allfällig ein feines Flackern des Wahns in seinen Augen schimmerte, so war es doch nur der übersteigerte flavische Familienstolz, der aus ihm sprach, denn was sonst wäre nach solch immenser Schmach anderes ihm geblieben als der Tod, hätte seine Gemahlin die Familie derart in Schande gestürzt?

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ohne ein Wort nickte Sciurus auf die Weisung seines Herrn hin und trat zu der Amme, die noch immer auf dem Boden kniete, ihr nacktes Kind fest an die Brust gedrückt und weinend und jammernd mit dem Oberkörper vor und zurück wiegte. Emotionslos schlug er ihr kräftig mit der Rückseite der Hand ins Gesicht, dass sie halb bewusstlos wurde, und hievte sie vom Boden hoch. Sie war nicht allzu schwer und Sciurus' Muskeln noch immer durchtrainiert, so dass es ihm ein leichtes war, die nurmehr leise wimmernde Sklavin aus dem Raum zu schaffen. Vor der Türe wies er mit schroffer Stimme die nutzlos herumstehende Sklavin seiner Herrin an, Kosmas aus dem Bett zu holen und in das Cubiculum ihrer Herrin zu schicken. Erschrocken riss sie die Augen auf, stammelte dann jedoch eine bestätigende Antwort und rauschte eilig davon.


    Ariadne bemerkte kaum noch wie sie von dem flavischen Vilicus durch die Gänge der Villa Flavia geschleift wurde, die zum größten Teil noch immer im Dämmerlicht der weichenden Nacht lagen. Noch immer drückte sie Ikarus an ihre Brust, ihre Hände verkrampft um seinen kleinen Leib gelegt. Wenn sie ihm nur genügend Wärme abgeben könnte, dann würden die Götter ihm vielleicht noch einmal sein Leben zurückgeben. "Ikarus", keuchte sie leise und konnte nicht verstehen, was geschehen war, konnte nicht verstehen, wieso ihr Kind tot vor ihrem Herrn gelegen hatte.


    Ein wenig umständlich öffnete Sciurus die Türe zum flavischen Keller und nahm sich mit der Linken eine Öllampe, die schräg gegenüber auf einem Wandvorsprung stand. Dann zerrte er die dunkelhäutige Sklavin die steinernen Stufen hinab und ein kurzes Stück den Gang entlang. Hinter einem schmalen Durchgang, der zu den scheinbar niemals endenden Weinvorräten der flavischen Familie führte, lehnte er die Amme schließlich an die Wand und öffnete ihr gegenüber eine Türe, die ihm nur bis an die Hüfte reichte. Hastig drehte er seinen Kopf zur Seite, denn der miefige Dunst, der aus dem dahinterliegende Raum entwich, war üblicherweise besonders widerwärtig. Schlussendlich packte er die Sklavin und schob sie in die winzige Kammer, die in der Villa Flavia unter den Sklaven als 'das Loch' bekannt war: nur durch einen schmalen Spalt drang Licht und Luft durch die Türe, doch wenn die Lampen im Keller gelöscht waren, so war es nurmehr kalte, feuchte Luft und Finsternis; zudem bot der Raum in Höhe, Breite und Tiefe gerade genügend Platz, um in der Hocke zu sitzen oder zusammengerollt zu liegen. Dort eingesperrt zu werden galt als eine der schlimmsten Strafen der Villa - zumindest für jene, denen ihr Leben bleiben sollte, auch wenn schon einige Sklaven - absichtlich oder unabsichtlich - dort vergessen worden waren und nur noch als Leichen wieder das Tageslicht erblickt hatten.


    Da Ariadne sich noch immer fest an Ikarus klammerte, sperrte Sciurus auch den kleinen Leichnam mit ihr ein. Bevor das tote Kind beginnen würde, sich zu zersetzen, würde er ohnehin wiederkommen. Denn die Amme würde nur so lange in der Kammer verweilen, bis der Medicus festgestellt hatte, was sie dem neugeborenen Flavius angetan hatte. Mit jedem Schritt, den Sciurus sich von dem Loch entfernte, griff mehr Dunkelheit nach Ariadne und ihrem Kind.

  • Ruhe war Antonia nicht vergönnt. Denn die Sklaven waren zwar verschwunden, doch der stolze Vater wollte seinen Sohn begutachten. Ein Wunsch, den die Claudia ihm natürlich nicht verdenken konnte, obgleich ein Sohn ihres vollkommenen Gemahls kaum irgendwelche Makel haben könnte. Die Patrizierin hörte den Besucher jedoch nur ehe sie ihn sah, lag sie schließlich mit geschlossenen Augen auf ihrem Bett, froh nun die Tortur hinter sich zu haben. So glaubte sie wenigstens. Gracchus' Stimme war es, die sie aufblicken ließ, müde aber dennoch mit einem Lächeln zu ihrem Gatten sah, der ein Kind - sein Kind... welches sonst? - betrachtete.
    Die folgende Reaktion jedoch stürzte die Mutter zunächst in tiefste Verwirrung. Was war denn nur los? Wieso schien Gracchus so erschrocken über den Anblick seines Sohnes? Matt stützte sie sich auf ihre Ellbogen und stemmte sich nach oben, sodass sie aufrecht im Bett saß und mit gerunzelter Stirn dem Gemahl entgegen blicken konnte. Ein greller Schrei entfuhr ihr, als das Kind (nicht ihres, doch dessen war sich Antonia derzeit nicht bewusst) quer durch den Raum geschleudert wurde und auf dem Boden landete. Gepaart mit den ungeheuerlichen Vorwürfen vermochte jener Akt blanke Panik in ihr auszulösen. Sie wagte nicht sich zu rühren, konnte vor Furcht nicht einmal über den Rand ihres Lagers spähen, um nach dem vermeintlichen Sohn zu sehen. Stattdessen schoben ihre Füße sie nach hinten, in Richtung der Wand, die sie jedoch auch nicht vor dem Zorn des Flaviers würde schützen können. "Ich...", setzte Antonia kopfschüttelnd an, verstummte jedoch augenblicklich, als der Gatte näher kam.
    Er würde sie umbringen. Was auch immer es war, das seinen Ärger ausgelöst hatte, er würde es ihr nicht vergeben, diesmal nicht. Schon fast konnte sie seine Hände um ihren Hals spüren, als die Sklavin zurückkehrte. Mit ihrem Sohn. Mit seinem Sohn. Mit ihrem Lebensretter. Doch welches Kind hatte Gracchus dann...? Völlig entgeistert verfolgte sie die Szenerie, als befände sie sich im Theater, als sei sie nur unbeteiligter Zuschauer. Geschrei, Gewimmer, Wehklagen und Säuglingslaute mischten sich im Raum. Am liebsten würde sie sich die Ohren zuhalten, sich abschirmen von alldem und selbst anfangen zu schreien. Doch sie tat es nicht, konnte noch immer nicht recht glauben, was sie da sah. Erst recht nicht, als Gracchus seinen Sohn aufhob, ihn in seine Arme nahm, ganz so als sei all dies nicht geschehen. Nun, sofern er es vergessen oder verdrängen konnte, war dies der Claudia nicht vergönnt. Noch immer spürte sie ihr Herz gegen die Rippen trommeln, noch immer rauschte das Blut in ihren Ohren und ließ blanke Panik sie die Bettlaken umkrallen.
    'Titus Flavius Gracchus' benannte er den jüngsten Spross der flavischen Familie und nahm ihn damit als den Seinen an, sicherte ihm das Leben. Doch mit Antonias innerer Ruhe war es vorerst entgültig vorbei. Die Sklavin, die beinahe ihr Unglück gewesen wäre, wurde fortgezerrt, entschwand Antonias Blickfeld und vermutlich war es noch das Glück der Amme. Denn sobald die Patrizierin wieder einen klaren Gedanken würde fassen können, so würde sie dafür sorgen, dass jenes dumme Ding zu leiden hatte. Wenn sie solange lebte.


    Zunächst jedoch wandte Gracchus sich wieder ihr zu, was seine Gemahlin mit einem angstvollen Blick und kurzem Zusammenzucken quittierte. Sein Lächeln, vielleicht sollte es beruhigend wirken, vermochte ihre aufgewühlten Gefühle nicht zu beschwichtigen, ließ sie gar gegenteilig sich die Frage stellen, ob dies nur ein Trick war und sie den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben würde. Gracchus wäre gewiss nicht der erste Flavier, der sich seiner Frau entledigte.
    Sie widerstand den Drang sich abzuwenden, Gracchus' Liebkosung zu entgehen und ehe sie es sich versah ruhte Titus in ihren Armen, dem sie zärtlich, aber mit zittrigen Fingern über das verknautschte Gesicht strich. Die drohenden Worte ließen sie wieder aufblicken, stumm und doch vorwurfsvoll dem Flavier entgegen starren. Wie hatte er auch nur eine Sekunde lang annehmen können... wie war er auf den Gedanken gekommen... für wie dumm er sie halten musste. Für wie unsagbar dumm. Natürlich verstand sie durchaus seine Beweggründe, hätte es in einem anderen Fall sogar gutgeheißen, dass ein Römer seiner Familie derartige Schande ersparte. Schließlich entstammte auch sie einer uralten Gens, konnte ihren Stammbaum bis in die Zeit der Könige zurückverfolgen. Und das war es wohl, das diese Sache noch schlimmer machte. Wäre sie eine X-beliebige Tochter eines reichen Händlers, ein stupides Betthäschen, ja, dann wäre sein Ausbruch gerechtfertigt gewesen. Doch ihr.. hätte er ihr nicht wenigstens ein bisschen mehr Verstand zutrauen können?
    "Lass mich bitte allein.", sagte sie tonlos, nicht recht wissend ob sie sich empören oder noch immer Angst vor ihrem Gatten haben sollte.

  • Selbstredend mochte Gracchus den Wunsch seiner Gemahlin halbwegs nachvollziehen können, obgleich er ohnehin nach der Geburt ihres Sohnes jeden Wunsch ihr hätte erfüllt, wiewohl er nicht gänzlich dessen sich sicher war, ob sie mit allein tatsächlich allein meinte oder mit ihrem Sohn allein. Letztlich indes war die Entscheidung längst getroffen, denn der Medicus würde sich den Jungen ansehen müssen und so Antonia allein wollte sein, so mochte Gracchus als letztes ihr den Griechen Kosmas zumuten.
    "Gewiss"
    , nickte er nun wieder mit einem feinen Lächeln um die Lippen, denn die Euphorie über Titus' Geburt ließ noch immer sein Blut durch die Adern rauschen.
    "Ruhe dich nur aus, ich werde Minimus wecken."
    Wer sonst würde die Freude über die Geburt des kleinen Flavius noch derart mit ihm teilen können als sein Sohn? Behutsam, wenn auch ein wenig unbeholfen, hob der Vater das Kind von Antonias Decke empor und drehte zur Türe sich hin, in welcher bereits der Medicus stand, wortlos in den Raum blickend, so als hätte er dort bereits geraume Zeit verbracht, obgleich er durchaus ein wenig verschlafen wirkte. An diesem Tage indes störte Gracchus sich nicht an der merkwürdigen Art Kosmas', trat auf den Medicus zu und präsentierte ihm den Jungen.
    "Sieh nach, ob er Schaden genommen hat."
    Obgleich der Medicus nicht wusste, was geschehen war, so begann er doch das Kind auf Gracchus' Armen oberflächlich zu untersuchen, schlug das Tuch bei Seite, in welches Titus war eingewickelt, um an der Brust den Herzschlag zu fühlen, prüfte dies und das während Gracchus ungeduldig und argwöhnisch jeden Handgriff des Medicus begutachtete.
    "Es ist alles in Ordnung."
    , kommentierte Kosmas schlussendlich wortkarg, was den Vater dazu veranlasste, Titus wieder in sein Tuch zu hüllen und freudigen Schrittes sich auf den Weg zum Cubiculum seines Ältesten zu begeben. Die Konsequenz der ärztlichen Worte für die Amme war ihm dabei längst wieder aus den Sinnen, ob dessen er auch nicht bemerkte, dass Sciurus nicht ihm folgte, sondern seiner Weisung nachging.

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